Bettina Röhl direkt

Sarrazin und die Propagandisten des politisch korrekten Mainstream

Bettina Röhl Publizistin

Thilo Sarrazin schreibt ein Buch und die Protagonisten des politischen Feuilletons stürzen sich darauf. Sie selber belegen allerdings die Existenz der politischen Korrektheit, von der sie behaupten, dass es sie nicht gibt.

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Die umstrittensten Zitate aus dem Sarrazin-Buch
Sarrazin zum Vorwurf des Rassismus"Die beliebteste Verunglimpfungsmasche ist dabei der Vorwurf des Rassismus. Natürlich ist es stets richtig, nicht die eigene Gruppe zu überhöhen, um die andere zu verteufeln. Falsch aber ist es, mit einer Gleichheitsideologie die Existenz von Unterschieden per se zu tabuisieren bzw. als einizge Erklärung einen Mangel an Gerechtigkeit zuzulassen. In dieser Perspektive gibt es einen "Rassismus der Intelligenz", einen "Rassismus des Geschlechts", einen "Rassismus gegen Muslime", und wenn man etwa auf die unterdurchschnittlichen PISA-Ergebnisse von Schülern türkischer Herkunft in Deutschland verweist, so ist dies selbstverständlich "Rassismus gegen Türken"." Quelle: dpa/dpaweb
Sprache und 'Political Correctness' als Instrument der Meinungslenkung"Ein Beispiel aus der Gegenwart ist Angela Merkels Standardsatz "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa". Er dient dem Zweck der Meinungslenkung und Beeinflussung. Aus Sicht der meisten Bürger ist ja "Europa" fraglos etwas Gutes. Wer vom Euro nicht viel hält, ist also offenbar gegen das Gute und damit gleich moralisch verdächtig. Vorgaben zur Wahl der Worte dienen dazu, eine bestimmte Sicht durchzusetzen, ohne groß zur Sache zu argumentieren." Quelle: dpa
Bildungsreformen"Die Hilfsschule hieß deshalb Hilfsschule, weil die Schüler, die dort waren, besondere Hilfe benötigten. Dies so offen zu sagen empfand man irgendwie als taktlos bzw. diskriminierend. So wurde die Hilfsschule zuerst zur Sonderschule - das klang aber immer noch zu abgesondert - und schließlich zur Förderschule. Das klang besser, war aber sachlich ganz unsinnig, denn jede gute Schule sollte eine Förderschule sein, indem sie das vorhandene Begabungspotential bestmöglich zur Geltung bringt. Zudem wurde ja die grundlegende Diskriminierung nicht abgeschafft, dass man Kinder nach ihren Begabungen sortierte. [...] Durch diese Operationen sind die sichtbaren Formen der Ungleichheit zwischen begabten und weniger begabten Schülern abgeschafft worden." Quelle: dpa
Bildungsreformen und Leistungsunterschiede"Einerseits soll das Lernen mit Begabten die Unbegabten fördern, andererseits wird heftig bestritten, dass das Lernen mit Unbegabten den Lernfortschritt der Begabten beeinträchtigen könne. Nach dieser Logik könnte ja der FC Bayern München seine Profimannschaft gemeinsam mit der Kreisklasse trainieren. Und die GSG9 könnte auch Übergewichtige und unsportliche beschäftigen, dem Training ihrer Spitzenkräfte würde es nicht schaden." Quelle: dpa
Politische Reaktionen auf 'Deutschland schafft sich ab'"Eine spontan negative Reaktion auf Deutschland schafft sich ab konnte ich bei vielen Politikern noch am ehesten verstehen. Sie waren durch viele der darin enthaltenen Analysen auf dem falschen Fuß erwischt worden. Sie sollte plötzlich Antworten auf Probleme geben, deren Existenz sie am liebsten leugneten und für deren Lösung sie auch gar keine Konzepte hatten." Quelle: dpa
Falschaussagen und Fehlzitate?"Diese in den Medien über viele Monate (eigentlich bis heute) wiederholten Falschaussagen und Falschzitate führte ich zunächst darauf zurück, dass viele Journalisten nicht selber lesen, sondern das übernehmen, was sie woanders gelesen oder gehört haben." Quelle: dpa
Ist Ungleichheit unvermeidbar?"Eine bestimmte Ungleichheit von Einkommen und Vermögen ist die unvermeidliche Folge einer jeden funktionierenden Marktwirtschaft. Der Korrektur durch staatliche Eingriffe seid deshalb stets Grenzen zu setzen." Quelle: AP

Ach Gottchen, da sind sie nun wieder. Reflexartig gehen die Pferde mit ihnen durch. Es geht um das sogenannte politische Feuilleton im weitesten Sinn, mindestens um einzelne Protagonisten aus diesem Genre. Dieser furchtbar gebildete Stammtisch auf logischerweise höchstem Niveau verbindet nicht selten größte Ahnungslosigkeit und Ignoranz mit größtmöglicher Selbstherrlichkeit und dem schier unbändigen Druck, die wahre, die höhere Erklärung für die Politik im Allgemeinen und im Besonderen beisteuern zu sollen. Damit kann man leben, damit muss man leben. Und man sollte auch gelassen auf die gelegentlichen Nervereien schauen.

Zudem hat das Feuilleton in den vergangenen Jahren die Wirtschaft entdeckt. Feuilleton goes Ökonomie und erklärt den Euro oder den Kapitalismus oder das Finanzsystem oder gleich das Große und Ganze, das die Welt, die Ökonomien zusammen hält. Das ist jedenfalls noch schwerer zu ertragen, als wenn der schöne Geist sich aufs Politische beschränkt.

Reflexartig reagieren die feuilletonistischen Propagandisten des politisch korrekten Mainstreams auf einen gewissen Herrn, der auf den Namen Thilo Sarrazin hört. Und dieser Herr hat ein neues Buch geschrieben, mit dem Titel "Der neue Tugendterror". Darin geht es um die politische Korrektheit, um Denkge- und verbote und um die implodierende Meinungsfreiheit, die in den millionenfach gedruckten Exemplaren des Grundgesetzes mindestens noch auf dem Papier steht.

"Sir, Geben Sie Gedankenfreiheit!" lässt Friedrich Schiller den spanischen Infanten Don Carlos  verlangen. Das waren noch lebenswerte Zeiten. Ein Hirn und ein Herz voller freier Gedanken und Zensoren aus Fleisch und Blut, denen man mit Schneid oder einem Tritt in den Hintern Gedankenfreiheit abringen konnte.

Woran erkennt man die Propagandisten des politisch korrekten Mainstreams?

Die Feuilletonisten werden zu Heulbojen und schießen Gift und Galle, wenn Gefahr für den Mainstream auch nur drohen könnte. Und sie schießen Gift und Galle ganz selbsttätig, ohne, dass sie dazu angehalten oder speziell dafür bezahlt würden. Seit langem kontern sie alles, was sie als negativ für den Status quo fürchten und dabei gehen sie eisenhart und extrem humorlos vor.

Man erkennt die Mainstream-Propagandisten daran, dass sie stereotyp, wortreich, ein bisschen von oben herab näselnd, auf eine extrem dümmliche Art historisierend und in einer Lässigkeitsattitüde, die etwas Armseliges hat, behaupten, den offensichtlichen politisch korrekten Mainstream gäbe es gar nicht. Weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart noch sei ein solches Phänomen für die Zukunft zu befürchten (siehe beispielsweise  Joachim Käppner in der Süddeutschen Zeitung vom letzten Wochenende "Schreck lass nach", nicht online verfügbar). Und dieser Propagandistentypus ist zugleich kraft seiner Existenz der schlagende Beweis dafür, dass es den furchtbaren, politisch korrekten Mainstream gibt und dass dieser Mainstream die Gehirne der Menschen und die ganze Gesellschaft vergiftet.

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