Als eine Art Appendix zu seinem Methusalem-Komplott darf man sein ein Jahr später erschienenes Buch "Minimum" in die Betrachtung einbeziehen. Die Erkenntnis, die Schirrmacher faszinierte: Familie und persönliche Bindung machen das Leben der Menschen sicherer und angenehmer und dies allemal in gefährlichen Situationen. Eine alte Weisheit, die immer mehr Menschen aus den Augen und aus dem Sinn verlieren. Aber wäre das in den letzten dreißig/vierzig Jahren außer Schirrmacher noch nie jemandem aufgefallen? Muss sich nicht das Institut der Familie, im Grundgesetz sogar explizit geschützt, im Rahmen eines ganz anderen "Gesellschaftsspiels", als Unterdrückungsinstrument (vor allem der Frau) oder als Keimzelle des Faschismus gar, ebenfalls seit Jahrzehnten, öffentlich beschimpfen lassen? Kämpfen nicht die Kirchen, kämpfen nicht die Konservativen zum Spott dieses ganz konträr laufenden Zeitgeistes seit Jahrzehnten für die Familie, für die Ehe? Welchen Mehrwert lieferte Schirrmacher damals 2005 und 2006 mit seinen beiden dünnen Bändchen über das Altern und über die Familie, die teilweise in alarmistisch großen Lettern daherkamen?
Schirrmacher, dem es in genialischer Weise gelingt seine Fans glauben zu machen, dass er es sein könnte, der die Weltformel mit seinen intellektuellen, visionären, kühnen, allerdings naturwissenschaftsfernen Mitteln und Sensorien tatsächlich finden könnte, verkauft seine Statusmeldungen und Prognosen zur Überalterung, zur Familie, formal als Weltanalyse. Die Welt oder die Menschheit würde in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf den Untergang zusteuern. Dies sei erst das Vorstadium: "Übersetzt man sich die Schätzungen in Bilder, dann wird die Erde wie ein riesiges Altersheim durchs Weltall kreisen.(..) Wieviel Senilität, Vergesslichkeit, Altersdemenz, wie viel Krankheit wird in diesem kollektiven Bewusstsein sein? Wieviel Angst und schlechtes Gewissen, Selbsthass und -Hass?"
Tatsächlich wird die Welt immer jünger
Tatsächlich wird die Welt, genau andersherum als Schirrmacher es vor neun Jahren unterstellte, derzeit wahrscheinlich immer jünger. An vielen Orten der Welt sinkt das Durchschnittsalter der Gesellschaften auf ein nie gekanntes geradezu jugendlich zu nennendes Alter, dank höchster Geburtenraten und sinkender Kindersterblichkeit. In China wirkt die Ein-Kind-Doktrin des menschenfeindlichen Diktators Mao Tse Tung noch nach, aber es gibt durchaus Anzeichen, das sich das gesellschaftliche Klima in China ändern und sehr viel kinderfreundlicher werden könnte. Gesellschaftliche Deformierungen wie das Töten oder Vermeiden von weiblicher Nachkommenschaft wie es in China oder Indien zu beobachten war, werden dort überwunden werden und dies wird die Geburtenrate steigern.
Der Medienmacher Frank Schirrmacher
Schirrmacher ist der Sohn eines Beamten geboren. Nach dem Abitur 1979 an der privaten Humboldt-Schule in Wiesbaden studierte Schirrmacher bis 1984 Germanistik, Anglistik, Literatur und Philosophie an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und an der Universität Cambridge sowie in Montpellier und an der Yale University (New Haven).
1987 promovierte er mit der Dissertation „Schrift als Tradition – die Dekonstruktion des literarischen Kanons bei Kafka und Harold Bloom“ an der Universität-Gesamthochschule Siegen zum Dr. phil..
2004 veröffentlichte Schirrmacher „Das Methusalem-Komplott“. Darin warnte er vor der Vergreisung der Gesellschaft aufgrund niedriger Geburtenraten und ruft zu einem „Aufstand der Alten“ aufruft. Das Buch wurde in 14 Sprachen übersetzt und 400.000 Mal verkauft.
1984 begann alles mit einer Hospitanz bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, ein Jahr später wurde er bereits Feuilleton-Redakteur. 1994 Nachfolger von Joachim Fest als einer der fünf Herausgeber, zuständig für das Feuilleton.
Die US-Zeitschrift Newsweek rühmte Schirrmacher als einen der führenden Intellektuellen. Nach der Figur des unkonventionellen, von Clint Eastwood dargestellten Inspektors Harry Callahan nannte ihn Jakob Augstein in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 2. März 2006 den „Dirty Harry des Feuilletons“.
Schirrmacher prägte das Feuilleton massiv. Im Jahre 2000 weitete er die Rubrik erheblich aus und warb namhafte Journalisten von anderen Zeitungen ab. Doch die allgemeinen Zeitungskrise machte auch Schirrmacher zu schaffen. Seitenumfänge wurden wieder reduziert. Auch die von Schirrmacher ins Leben gerufenen „Berliner Seiten“ wurden 2003 eingestellt.
Unvermeidliche Folge besserer Ernährung, besserer und fortschreitender Medizin ist tatsächlich ein längeres Durchschnittsleben der Menschen. Eine längere Verweildauer des Einzelnen auf dieser Erde, um es in Schirrmacherischer Blumigkeit zu sagen, bedeutet zwingend, dass mehr Menschen gleichzeitig auf diesem Planeten leben, also wächst die Erdbevölkerung auch am oberen Ende der Altersskala. Und dieses Alterswachstum wird sich rapide erhöhen, wenn die jetzt geborenen geburtenstarken Generationen in vielen Teilen der Welt ihrerseits in 50 bis 100 Jahren alt werden. Ganz ungewiss ist die Vermehrungsrate der heute geborenen Baby-Boomer in der zweiten und dritten Welt in den nächsten 20 Jahren. Konkret: Werden die heutigen Baby-Boom-Länder geburtenstark bleiben oder werden sie einen eigenen Geburtenknick erleben?
Schirrmacher beschäftigt sich also in Wahrheit mit einem deutschen, einem westlichen Phänomen und ganz speziell mit seiner eigenen Generation. Und um nicht allzu deutschtümelnd zu wirken globalisiert er sein Thema kurzerhand.