Bettina Röhl direkt

Frank Schirrmacher - der Aufreger

Seite 3/5

Schirrmacher hatte nicht die Weltformel

Als eine Art Appendix zu seinem Methusalem-Komplott darf man sein ein Jahr später erschienenes Buch "Minimum" in die Betrachtung einbeziehen. Die Erkenntnis, die Schirrmacher faszinierte: Familie und persönliche Bindung machen das Leben der Menschen sicherer und angenehmer und dies allemal in gefährlichen Situationen. Eine alte Weisheit, die immer mehr Menschen aus den Augen und aus dem Sinn verlieren. Aber wäre das in den letzten dreißig/vierzig Jahren außer Schirrmacher noch nie jemandem aufgefallen? Muss sich nicht das Institut der Familie, im Grundgesetz sogar explizit geschützt, im Rahmen eines ganz anderen "Gesellschaftsspiels", als Unterdrückungsinstrument (vor allem der Frau) oder als Keimzelle des Faschismus gar, ebenfalls seit Jahrzehnten, öffentlich beschimpfen lassen? Kämpfen nicht die Kirchen, kämpfen nicht die Konservativen zum Spott dieses ganz konträr laufenden Zeitgeistes seit Jahrzehnten für die Familie, für die Ehe? Welchen Mehrwert lieferte Schirrmacher damals 2005 und 2006 mit seinen beiden dünnen Bändchen über das Altern und über die Familie, die teilweise in alarmistisch großen Lettern daherkamen?

Frank Schirrmacher starb vergangene Woche. Mittlerweile erscheint sein Name nicht mehr unter den Herausgebern. Quelle: dpa

Schirrmacher, dem es in genialischer Weise gelingt seine Fans glauben zu machen, dass er es sein könnte, der die Weltformel mit seinen intellektuellen, visionären, kühnen, allerdings naturwissenschaftsfernen Mitteln und Sensorien tatsächlich finden könnte, verkauft seine Statusmeldungen und Prognosen zur Überalterung, zur Familie, formal als Weltanalyse. Die Welt oder die Menschheit würde in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf den Untergang zusteuern. Dies sei erst das Vorstadium:  "Übersetzt man sich die Schätzungen in Bilder, dann wird die Erde wie ein riesiges Altersheim durchs Weltall kreisen.(..) Wieviel Senilität, Vergesslichkeit, Altersdemenz, wie viel Krankheit wird in diesem kollektiven Bewusstsein sein? Wieviel Angst und schlechtes Gewissen, Selbsthass und -Hass?"

Tatsächlich wird die Welt immer jünger

Tatsächlich wird die Welt, genau andersherum als Schirrmacher es vor neun Jahren unterstellte, derzeit wahrscheinlich immer jünger. An vielen Orten der Welt sinkt das Durchschnittsalter der Gesellschaften auf ein nie gekanntes geradezu jugendlich zu nennendes Alter, dank höchster Geburtenraten und sinkender Kindersterblichkeit. In China wirkt die Ein-Kind-Doktrin des menschenfeindlichen Diktators Mao Tse Tung noch nach, aber es gibt durchaus Anzeichen, das sich das gesellschaftliche Klima in China ändern  und sehr viel kinderfreundlicher werden könnte. Gesellschaftliche Deformierungen wie das Töten oder Vermeiden von weiblicher Nachkommenschaft wie es in China oder Indien zu beobachten war, werden dort überwunden werden und dies wird die Geburtenrate steigern.

Der Medienmacher Frank Schirrmacher

Unvermeidliche Folge  besserer Ernährung, besserer und fortschreitender Medizin ist tatsächlich ein längeres Durchschnittsleben der Menschen. Eine längere Verweildauer des Einzelnen auf dieser Erde, um es in Schirrmacherischer Blumigkeit zu sagen, bedeutet zwingend, dass mehr Menschen gleichzeitig auf diesem Planeten leben, also wächst die Erdbevölkerung auch am oberen Ende der Altersskala. Und dieses Alterswachstum wird sich rapide erhöhen, wenn die jetzt geborenen geburtenstarken Generationen in vielen Teilen der Welt ihrerseits in 50 bis 100 Jahren alt werden. Ganz ungewiss ist die Vermehrungsrate der heute geborenen Baby-Boomer in der zweiten und dritten Welt in den nächsten 20 Jahren. Konkret: Werden die heutigen Baby-Boom-Länder geburtenstark bleiben oder werden sie einen eigenen Geburtenknick erleben?

Schirrmacher beschäftigt sich also in Wahrheit mit einem deutschen, einem westlichen Phänomen und ganz speziell mit seiner eigenen Generation. Und um nicht allzu deutschtümelnd zu wirken globalisiert er sein Thema kurzerhand.

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