Bildung Privatschulen: Der neue Klassen-Kampf

Seite 2/4

Ganz Ausgebuffte täuschen gar eine Ehekrise vor, um Schulbezirksgrenzen zu überwinden. Der Trick, den sich Eltern beim Kindergarten-Barbecue zuraunen, ist simpel: Eine Mutter verlässt pro forma ihren Partner, schlüpft bei ihrer Freundin unter und meldet mit einem fingierten Mietvertrag im Stadtteil der Wunschschule ihren Wohnsitz an. Und schon darf das Kind auf die begehrte Schule. Selbst große Distanzen schrecken Eltern nicht. Schulleiter Wolfgang Boeckh vom renommierten Evangelischen Schulzentrum Leipzig erhält mitunter Anfragen aus dem 150 Kilometer entfernten Brandenburgischen. Den jugendlichen Söhnen und Töchtern wollen die Eltern WG-Zimmer mieten, Hauptsache, sie machen ihr Abitur im Schulzentrum Leipzig. Für den Bielefelder Bildungssoziologen Klaus Hurrelmann ist das nicht überraschend. Er beobachtet seit Jahren ein „ständig ansteigendes Bildungsbewusstsein der Eltern“. Sie setzten alle Hebel in Bewegung, um dem Kind eine optimale Ausbildung zu bieten. In gleichem Maße stiegen die Erwartungen, nicht immer zum Wohl des Nachwuchses. Kindergarten? Möglichst mit einer Fremdsprache. Einschulung? Möglichst schon mit fünf Jahren. Abitur? Selbstverständlich, aber bitte mit einem Notendurchschnitt von besser als 2,0 – damit es auch klappt mit der Elite-Uni. All dies, glaubt Hurrelmann, spiele den Privaten in die Hände. „Die Eltern trauen dem staatlichen System nicht zu, dass es die Kinder richtig auf die Herausforderungen einer globalisierten Welt vorbereitet“, bestätigt Katherina Reiche, Bildungsexpertin der CDU und Mutter von drei Kindern. Auf den mehrsprachigen Unterricht haben es Eltern besonders abgesehen: „Als die siebenjährige Nachbarstochter uns kürzlich dem Au-pair-Mädchen in perfektem Englisch vorstellte, war für uns klar: Unser Sohn muss auf eine bilinguale Schule“, sagt eine 39-jährige Bankerin aus München. Gerade Fremdsprachen sind die Domäne der Privaten. Bei der Phorms AG, die in ganz Deutschland eine Kette von Privatschulen aufbaut, läuft der Unterricht durchgehend von 8 bis 16 Uhr auf Deutsch und Englisch. In den ersten Grundschuljahren überwiegt sogar der Englisch-Anteil, bis die Schüler nach der vierten Klasse beide Sprachen beherrschen. Die erste Grundschule startete Phorms (der Name ist aus „Form“ und „Metamorphose“ abgeleitet) im vergangenen Sommer mit 48 Kindern in Berlin. Mittlerweile lernen dort 99 Kinder, nach den Ferien werden es 250 sein. Auf einen Platz bewerben sich im Schnitt drei Schüler. In diesem Sommer eröffnen die Phorms-Gründer Grundschulen in Köln, München und Frankfurt. Das Schulgeld ist einkommensabhängig und beträgt derzeit zwischen 220 und 670 Euro monatlich.

Die Volkswirte Sabine und Lars Beukel (Name geändert) haben ihren Lennart jetzt in der Berliner Phorms Vorschule angemeldet. „Staatliche Schulen gehen doch immer nach Schema F vor“, sagt Sabine und hofft bei Phorms auf das Gegenteil. Auch Lennarts Schwesterchen Klara soll später auf die Privatschule. Die Beukels verzichten dafür auf den Hauskauf, wohnen weiter zur Miete. „Ich finde es wichtiger, in die Ausbildung meiner Kinder zu investieren“, sagt Vater Lars. Doch ist das Geld gut angelegt? Sind die Privatschulen wirklich besser? Für Helmut Klein, Schulforscher am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, ist die Antwort klar: „Würden sie schlechtere Arbeit als staatliche Schulen leisten, würden die Privaten sofort von ihren Kunden abgestraft.“ Tatsächlich schneiden im Pisa-Vergleich die Länder mit höherem Privatschulanteil besser ab. Auch die deutsche Schulstatistik spricht für die Privaten. Der Anteil der Privatschüler mit Abitur oder Fachhochschulreife ist in den meisten Bundesländern höher als der staatlicher Schüler von Gymnasien oder Gesamtschulen. In acht Bundesländern ist ihr Anteil sogar doppelt so hoch. Allerdings haben es die Privaten auch leichter: Ihre Schüler stammen häufig aus bildungsnahen bürgerlichen Haushalten. Diese Kinder können auf ein breites, familiär vermitteltes Wissen zurückgreifen – ein unschätzbarer Vorteil. Zum Zweiten haben freie Schulen auch mehr Freiheiten. Sie können die Lehrer auswählen, den Unterricht individueller gestalten, pädagogische Innovationen ausprobieren, ihr Profil schärfen. „Das Management einer Privatschule“, sagt Bildungsforscher Klein, „ist in der Regel besser als das einer staatlichen.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%