Bildung Privatschulen: Der neue Klassen-Kampf

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Das führt zu weniger Unterrichtsausfall, zu motivierten Lehrern und zu frischen Ideen. Die experimentierfreudigen Privaten sind der „Motor schulischer Innovationen“, sagt der Hamburger Erziehungswissenschaftler Peter Struck. Mit dem Argument der pädagogischen Leistung parieren Privatschulen auch das ewige Vorurteil, sie würden weniger hart durchgreifen und noch die letzten Luschen sanft zum Abschluss schaukeln. „Um einen fleißigen und intelligenten Schüler zum Abitur zu führen“, sagt Gustav Huber, Leiter des privaten Schulverbunds München, „muss ich kein pädagogischer Riese sein.“ Erst bei schwierigen » Kindern zeigten Privatschulen, was sie zu leisten imstande seien. Die Privaten reüssieren sogar auf einem längst verloren geglaubten Terrain – bei den Hauptschulen. Die katholische Bodensee-Schule St. Martin in Friedrichshafen ist eine der wenigen privaten Hauptschulen in Deutschland. Rektor Gerhard Schöll kann eine glänzende Bilanz vorweisen: Die Hälfte seiner Schüler besucht nach der neunten Klasse die hauseigene Realschule, ein Viertel beginnt eine berufliche Ausbildung. Aus dem aktuellen Jahrgang hat jeder den Abschluss geschafft, während im Bundesdurchschnitt zehn Prozent der Hauptschüler ohne Abschluss abgehen. Bestsellerautor Bernhard Bueb („Lob der Disziplin“) sagt über die Bodensee-Schule, sie mache sogar besseren Unterricht als das Edelinternat Salem, das Bueb 30 Jahre lang leitete. Inhaltlicher Kern ist der Marchtaler Plan, ein von Maria Montessori inspiriertes pädagogisches Konzept, das den Kinder Lernfreiheiten bietet und den Schulalltag strukturiert. Vieles davon ist inzwischen auch an staatlichen Schulen Standard. Besonders liegt Rektor Schöll am Herzen, dass sie sich mit der „Schule identifizieren“. Die Kinder sollten Schule als Dorf erleben: Schöll folgt damit der Philosophie Hartmut von Hentigs, des Nestors der deutschen Pädagogik. Laut von Hentig übe eine gute Schule den Status von Bürgern ein, der Klassenverband sei „eine Polis im Kleinen“. Im Mittelpunkt der Bodensee-Schule steht das Musische Haus. Es ist der Treffpunkt auf dem schulischen Dorfplatz, ein Ort zum Reden, Singen, Tanzen, Beten oder Entspannen. Obschon Schöll keinerlei Werbung macht, kann er sich vor Anfragen kaum retten. Die benachbarten staatlichen Schulen – wen wundert’s – empfinden das als Bedrohung. Dieser Wettbewerb um die Schüler wird sich in Zukunft noch verschärfen. Der Rückgang der Geburten bedroht die Existenz vieler Schulen. In Ostdeutschland, wo bereits jetzt viele staatliche Schulen mangels Schülern schließen, besetzen die freien Schulen gern Nischen. Weil sie ihre Sache gut machen, luchsen sie auch benachbarten Staatsschulen Schüler ab. Mit der Folge, dass diese dann unter die vorgeschriebene Mindestschülerzahl fallen – und dichtmachen müssen. Am Ende gibt es in einer Region nur noch eine private Schule – die Eltern haben keine Wahl mehr, müssen Schulgeld zahlen oder lange Fahrten in Kauf nehmen.

Für Schulpolitiker ein Albtraum. Die staatliche Grundversorgung dürfe „durch freie Schulen nicht gefährdet werden“, warnt etwa Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD). Das sagt sich leicht, doch der Staat tut sich im Umgang mit den Privaten schwer: Von seinem Selbstverständnis her lehnt er sie eher ab, gleichzeitig profitiert er aber von ihnen. Denn die Privaten sind eine riesige Steuersparmaschine. Der Staat erstattet ihnen im Schnitt 80 bis 85 Prozent der Kosten. Wären die staatlich anerkannten Ersatzschulen in öffentlicher Hand, müssten die deutschen Steuerzahler rund 870 Millionen Euro mehr für die Schulen ausgeben, hat Bildungsforscher Klein errechnet. Tatsächlich ist die Ersparnis sogar noch größer, weil der Staat mit knapp 5000 Euro pro Schüler und Jahr die Bildungskosten zu niedrig ansetzt – nach Berechnungen des Steinbeis-Transferzentrums Heidenheim um 20 bis 40 Prozent. IW-Forscher Klein schätzt, dass die Privatschulen in Wahrheit den öffentlichen Haushalt jährlich um 1,7 Milliarden Euro entlasten. Würde der Staat seinen Beitrag auf Basis der tatsächlichen Kosten leisten, könnten die Privaten ihre Schulgelder senken und den staatlichen Schulen noch mehr Schüler abwerben. Also belassen es die Kultusminister in vielen Bundesländern lieber bei der bisherigen Regelung. Auch die Schulgesetze machen den Privaten das Leben schwer. Wer als freier Träger für eine neue Ersatzschule Zuschüsse beantragt, muss den Betrieb in der Regel drei Jahre vorfinanzieren, bis der Staat zahlt. Die Gründung wird damit zum finanziellen Wagnis. Noch dazu haben es die privaten Schulen erheblich schwerer, gute Lehrer zu finden. Mathematiklehrer oder naturwissenschaftliche Experten sind besonders begehrt. Gerade Einsteigern können die Privaten nicht das Gehalt staatlicher Schulen zahlen, von den Vorteilen der Verbeamtung ganz zu schweigen.

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