Bildung Privatschulen: Der neue Klassen-Kampf

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Die Frankfurterin Marie-Luise Stoll-Steffan, Geschäftsführerin der Internationalen Schule Frankfurt-Rhein-Main, kennt diese Probleme. An ihrer Schule hat sie ein aufwendiges Personalmanagement eingeführt, das eine leistungsabhängige Vergütung der Lehrer ermöglicht. Sie sucht ihr Personal längst nicht nur in Deutschland, sondern weltweit auf speziellen Lehrer-Messen: „Man muss sich als Arbeitgeber ganz schön ins Zeug legen, um talentierte Lehrer an die Schule zu holen.“ All dies führt dazu, dass die privaten Schulen mitnichten in Geld schwimmen. Sie müssen im Gegenteil mit weniger Geld besseren oder zumindest gleichwertigen Unterricht machen. Um über die Runden zu kommen, sind viele freie Träger gezwungen, immer höhere Schulgelder zu erheben. Bernd Ruf vom Bund der Freien Waldorfschulen etwa kritisiert, dass sich an Waldorfschulen die finanzielle Beteiligung der Eltern so stark erhöht habe, dass die Kosten von inzwischen 1700 Euro pro Jahr viele Familien abschreckten. Auch Peter Ferres, Leiter der neuen Metropolitan School in Frankfurt, muss die Eltern mit stattlichen 550 Euro Schulgeld pro Monat zur Kasse bitten. „Anders“, sagt Ferres, „ist es einfach nicht zu machen.“ Mit Zahlen kann der Mann umgehen. Der Bruder der Schauspielerin Veronica Ferres dürfte in Finanzfragen Deutschlands kompetentester Schulleiter sein – er arbeitete 20 Jahre lang als Investmentbanker, zuletzt bei Credit Suisse in London. Dann schulte er um, ging mit 47 Jahren noch mal an die Uni, um Lehrer zu werden. Damit seine internationale Schule, die in zwei Wochen startet, auch weniger Begüterten offensteht, ist Ferres auf der Suche nach Unternehmen, die Stipendien geben. Doch die sind an vielen privaten Schulen die Ausnahme. Und so tritt ein, was die Väter des Grundgesetzes mit Artikel 7 Absatz 4 verhindern wollten: eine „Sonderung nach Besitzverhältnissen der Eltern“. Manchen ist das sogar ganz recht. Nur wenige Eltern reden so offen wie Pamela Langrehr. Ihre Tochter La Toya besucht seit zwei Jahren die begehrte Berliner Kant-Grundschule, die zu einem Schulverbund mit insgesamt 1800 Schülern gehört. Langrehr ist froh, dass es „an der Schule nur handverlesene Kinder gibt, deren Eltern aus gewissen Kreisen kommen und ein gewisses Niveau mitbringen“. Dafür sei sie gerne bereit, das Schulgeld von knapp 400 Euro im Monat zu zahlen.

Werden sich durch die Privatschulen die Milieus noch weiter verkapseln? Schon jetzt kritisieren Forscher das deutsche Bildungssystem als ungerecht, weil es nicht gelingt, Kinder aus bildungsfernen Schichten zu höheren Abschlüssen und an die Hochschule zu führen. Die Daten des Hannoveraner Hochschul-Informations-Systems HIS sind eindeutig: 95 Prozent der Beamtenkinder, von denen mindestens ein Elternteil einen akademischen Abschluss hat, nehmen ein Studium auf. Von den Arbeiterkindern sind es nur 17 Prozent. „Wenn wir es nicht schaffen, den Bildungserfolg von der familiären Herkunft abzukoppeln“, sagt IW-Forscher Klein, „wird der Zugang zu Bildung zur sozialen Frage des 21. Jahrhunderts.“ Die Selektion qua Herkunft hat nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die technologiegetriebene deutsche Volkswirtschaft gravierende Folgen. Ihr wichtigster Rohstoff ist Wissen. Wird der knapp, leiden ganze Branchen. Bereits heute fehlen Zigtausende Absolventen aus den Ingenieurwissenschaften – eine bei Bildungsaufsteigern besonders beliebte Studienrichtung. Die soziale Unwucht des Systems kann nur ein fairer Wettbewerb zwischen privaten und staatlichen Schulen korrigieren, glauben Bildungsforscher. In einer idealen Welt konkurrieren private und staatliche Schulen unter gleichen Bedingungen miteinander. Experten fordern deshalb, Privatschulen finanziell mit den staatlichen Schulen auf eine Stufe zu stellen und im Gegenzug Schulgelder zu streichen. Parallel dazu müsse ein Gutscheinsystem eingeführt werden, fordert etwa der Aktionsrat Bildung, ein Zusammenschluss führender Bildungsexperten. Diese Gutscheine könnten die Eltern an der Schule ihrer Wahl einlösen. Sie würden als echte Nachfrager in einem transparenten Markt auftreten. Ein solcher Wettbewerb wirkt „im Idealfall wie eine Flut, die alle Boote nach oben hebt“, sagt der Münchner Bildungsökonom Ludger Wößmann. Sprich: Auch die Staatlichen werden besser. Es sind also nicht die Privatschulen, die einen sozialen Keil in die Gesellschaft treiben. „Es ist der Staat selbst, indem er die Dinge einfach laufen lässt“, kritisiert Bildungsforscher Klein. Die Schulpolitiker wehren sich gegen grundlegende Reformen, aber der Druck wächst. „Die Konservativen sträuben sich gegen den Abbau der Selektionsmechanismen“, bemängelt Wößmann, „und die Sozialdemokraten haben Angst vor Wettbewerb, Autonomie und Leistungstransparenz.“ Viele staatliche Schulen wollen nicht warten, bis die Politik in die Gänge kommt. Sie überlassen den Privaten nicht kampflos das Feld. Etwa die Berliner Grundschule am Falkplatz. Rektorin Carola Melchert arbeitet gerade an einem völlig neuen Profil als Umweltschule. Einen aufwendig angelegten Schulgarten hat sie schon, jetzt folgen anspruchsvolle Projekte zum Thema Natur- und Klimaschutz, auch ein Umwelttheater ist geplant. Melchert macht sich auf die Suche nach Sponsoren und holt sich unternehmerisches Know-how in die Schule. „Was die Privaten können“, sagt sie lächelnd, „das können wir auch.“

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