Bildungspolitik Welche Bildungsangebote brauchen Flüchtlinge?

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Was die Bildungspolitik leisten muss

Ernüchternder, weil noch wichtiger als eine Analyse aus bildungsökonomischer Sicht, ist ein Blick auf die Lebenskulturen von Flüchtlingen: Die Kultur des Glaubens, die Kultur der Familie, die Kultur der Arbeit und in diesem Sinn auch die Kultur der Bildung sind nicht miteinander vergleichbar. Während das christliche Abendland im Licht der Aufklärung steht und somit eine Bildungstradition im Zeichen der Humanität vorweist, zeichnet sich der Nahe Osten durch andere, weit weniger humanistische Traditionen aus.

Die Rolle der Religion, die Rolle der Frau, die Rolle der Arbeit und letztendlich auch die Rolle der Bildung sind völlig anders zu bewerten. Bildungsangebote für Flüchtlinge lassen sich folglich nicht nur aus bildungsökonomischer Sicht beleuchten, sondern erfordern eine tiefgreifende Analyse der Lebenskulturen, die das ganze Ausmaß der Herausforderung sichtbar werden lässt.

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Dieser Blick auf die Flüchtlinge soll nicht, dies sei an dieser Stelle betont, als Argument gegen die Aufnahme von Flüchtlingen dienen. Dennoch soll er deutlich machen, dass politisch keine unrealistischen Erwartungen geweckt werden dürfen. Letztendlich ist auch aus bildungspolitischer Sicht eine noch nie da gewesene Herausforderung zu bewältigen. Am günstigsten für erfolgreiche Bildung erscheinen vor diesem Hintergrund folglich die Jüngsten unter den Flüchtlingen, sofern durch Krieg und Flucht die traumatischen Erlebnisse und die Brüche in familiären Beziehungen noch zu bewältigen sind.

Der Aspekt „Unter Unterstützung von wem?“ stellt die Frage nach dem Lehrer: Während in der Vergangenheit vielfach das Ehrenamt diese Aufgabe übernommen hat, versuchen Bildungspolitik und Bildungsorganisationen langsam aber sicher einen Masterplan für die Qualifizierung von Integrationspersonal zu erstellen.

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Die Ideen, die sich hier aber auftun, überzeugen lediglich aus finanzieller Sicht, weniger aber aus erziehungswissenschaftlicher: So gibt es beispielsweise den Vorschlag, frische Absolventen eines Lehramtsstudiums mit der Aufgabe zu betrauen, Flüchtlinge zu unterrichten. Für den Staatshaushalt mag dies durchaus überzeugen, weil durch befristete und kostengünstige Verträge Personallücken geschlossen werden können. Mit Blick auf die bildungspolitische Herausforderung ruft dieser Vorschlag aber mehr Bedenken hervor: Wie sollen Neulinge im Lehramt ohne zweite Phase die großen Aufgaben der Integration angehen können? Auf welche Erfahrungen, gerade im Umgang mit schwierigen Kindern und Jugendlichen, können Neulinge zurückgreifen? Welche didaktischen und pädagogischen Kompetenzen haben Neulinge im Hinblick auf Migration und Integration? Welche Voraussetzungen sind notwendig, um auf Traumatisierung infolge von Krieg und Flucht sinnvoll eingehen zu können?

Pensionierte Lehrer statt Lehramtsstudenten

All diese Fragen werden aktuell nur am Rand beantwortet. Für eine erfolgreiche Bildungsarbeit sind sie aber evident und entscheiden nicht nur darüber, ob Integration gelingt, sondern auch, ob die ersten Berufserfahrungen zur Stärkung der Pädagogenpersönlichkeit führen oder zu seiner Schwächung. Letzteres wäre vor dem Hintergrund einer bildungspolitischen Verantwortung und einer damit verbundenen Fürsorgepflicht des Dienstherren durchaus ein nicht zu unterschätzendes Problem.

Sinnvoller als frische Absolventen eines Lehramtsstudiums mit der Aufgabe zu betrauen, Flüchtlinge zu unterrichten, erscheint es, die ältere Generation zu gewinnen. Dies nicht nur deswegen, weil angesichts eines demographischen Wandels ein große Quantität vorhanden ist, sondern auch bezüglich einer Berufsprofessionalität eine große Kapazität aus qualitativer Sicht. Warum also nicht pensionierte Pädagogen für diese Aufgabe gewinnen und das Ehrenamt, das von diesen schon so häufig bedient wird, attraktiver machen?

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