Der Tierschutzbund hat eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch ins Spiel gebracht, um den Fleischkonsum in Deutschland zu reduzieren. Genügend Alternativen zum Billigfleisch gibt es heute schon. Dominik Enste ist Leiter des Kompetenzfelds Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik am Institut der deutschen Wirtschaft und erklärt, warum wir, auch wenn wir uns der Nachteile und Haltungsbedingungen bewusst sind, immer wieder zur preiswerten Fleischalternative greifen.
Warum schimpfen die Menschen auf unhaltbare Haltungsbedingungen bei Tieren, greifen aber dennoch zum Billigfleisch?
Der wichtigste Grund liegt in dem sogenannten Mind-Behavior-Gap. Das heißt, dass Menschen eben nicht immer das tun, was sie eigentlich für richtig erachten.
Welche Gründe gibt es dafür?
Da gibt es zum einen das Problem der Versuchung in dem jeweiligen Moment. Wenn man normal und nüchtern über das Thema spricht und vielleicht sogar im Fernsehen zuletzt eine Dokumentation über die Haltungsbedingungen von Tieren gesehen hat, sagt man: Das geht gar nicht, beim nächsten Mal kaufe ich Biofleisch oder bei meinem Bauern um die Ecke.
Vor der Fleischtheke sieht es dann aber doch anders aus?
Genau. Wenn man dann noch unter Zeitstress ist, nicht viel Geld dabei hat und das Sonderangebot sieht, dann greift man doch wieder zur Billigvariante. Denn dann sind andere Hirnareale und Einstellungen aktiviert.
Gibt es noch weitere Gründe?
Ein zweiter Grund ist der, wie ich ihn nenne, Darth-Vader-Effekt, der beschreibt, wie man Schritt für Schritt sich von seinen Idealen entfernt. So könnte es den ganzen jungen Menschen ergehen, die momentan zu den Fridays-for-Future-Demonstrationen strömen. Wenn sie dann im späteren Leben in Situationen kommen, in denen sie feststellen, dass es gar nicht so leicht ist, dieser altruistische Mensch zu sein, sondern mit finanziellen Sorgen zu kämpfen haben oder andere an ihnen vorbeiziehen.
Wie hängt das mit Darth Vader zusammen?
Anakin Skywalker war ein ganz lieber, altruistischer Junge und wird später zu diesem Bösewicht, der aus verschiedenen Motiven Dinge tut, die man eigentlich nicht tun sollte und seine Talente auf der „dunklen Seite der Macht“ einsetzt. Wenn man den ersten Schritt aber einmal getan hat, folgt meist der zweite, dritte, vierte. Von dieser schiefen Bahn kommt man nur schwer wieder herunter.
Streitthema: Standards bei der Tierhaltung
Hühner dürfen seit 2009 in Deutschland und seit 2012 EU-weit nicht mehr in Legebatterien gehalten werden. Außerdem muss es in ihren Ställen Sitzstangen, Nester und einen Scharrbereich geben. Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder hatte ursprünglich beschlossen, dass das Verbot bereits ab 2007 gelten sollte. Das allerdings scheiterte am Widerstand der Länder im Bundesrat.
Streitthema Kükenschreddern: Millionen männliche Küken werden unmittelbar nach dem Schlüpfen getötet, weil aus ihnen keine Legehennen werden, deren Eier man verkaufen könnte. Das Land Nordrhein-Westfalen versuchte 2013, die Praxis per Erlass zu beenden. Dagegen klagten zwei Brütereien. Im Juni entschied das Bundesverwaltungsgericht: Männliche Küken dürfen weiterhin getötet werden. Allerdings nur noch so lange, bis zuverlässige technische Verfahren zur Verfügung stehen, die verhindern, dass die Tiere überhaupt ausgebrütet werden.
Einem 50 bis 110 Kilogramm schweren Mastschwein müssen heute mindestens 0,75 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Tragende Sauen wurden früher häufig einzeln in sogenannten Kastenständen gehalten. Das ist seit 2013 verboten. In ökologischer Haltung stehen einem Schwein mindestens 1,3 Quadratmeter und zusätzlich ein Quadratmeter Auslauf im Freien zu.
Streitthema Ferkelkastration: Der Bundestag hat 2013 beschlossen, dass Schmerzen bei der Kastration „wirksam ausgeschaltet“ werden müssen. Damals räumte das Parlament den Züchtern eine Frist bis 2019 ein, damit sie schmerzfreie Methoden testen können, die das Kastrieren ohne Betäubung ersetzen. Diese Frist wurde kürzlich trotz massiver Kritik von den Grünen und Tierschutzverbänden um zwei Jahre verlängert.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) will mit einem staatlichen Tierwohlkennzeichen die Transparenz der Tierhaltung erhöhen. Durch verschiedene Stufen sollen Verbraucher erkennen können, wenn Erzeuger bei der Haltung von Schweinen höhere Standards erfüllen als die gesetzlichen Mindestanforderungen. Tierschützer kritisieren, dass die Teilnahme großer deutscher Handelsketten freiwillig und nicht verpflichtend sei. Die Verbraucherzentralen stellten zudem fest, dass bisher kaum Produkte mit den vermeintlich besseren Haltungsstufen angeboten würden.
Also wenn man einmal zum Billigfleisch greift, tut man es immer wieder.
Ja, denn es schmeckt ja gar nicht so viel anders und ich will nicht das Drei- oder Vierfache für ein sehr gutes Biofleisch bezahlen. Da sagt man dann: Einmal ist keinmal. Das schlechte Gefühl redet man sich schön. Außerdem neigen die Menschen zur moralischen Selbstüberschätzung, sagen sich also: In allen anderen Dingen bin ich schon ein sehr guter Mensch, dann ist es nicht schlimm, wenn ich in diesen wenigen Fällen zum preiswerten Fleisch greife.
Wie kann man denn eine Verhaltensänderung erreichen?
Jedenfalls nicht, indem wir nur versuchen Menschen ein schlechtes Gewissen einzureden.
Das hilft nicht?
Nein, denn häufig tut man es dann trotzdem. Es hilft der Umwelt außerdem wenig, wenn jetzt Menschen das billige Fleisch kaufen, es auf den Grill legen und essen – nur eben mit einem schlechten Gewissen. Damit ist der Umwelt nicht geholfen und der Einzelne fühlt sich schlechter.
Wie kann man denn der Umwelt helfen?
Indem man versucht etwa den Kauf des Biofleisches mit einem größeren Glücksgefühl zu verbinden.
Also ein positives Gefühl mit dem Biofleisch verknüpfen.
Genau. Also eher ein positives Bild auf die Produkte kleben, als wie beim Rauchen ein abschreckendes Bild.
Hübsche Tierbilder gibt es aber ja auf vielen Packungen. Wie kann es noch zu einer Verhaltensänderung kommen?
Ein weiterer Schritt wäre es, mit kleinen Dingen anzufangen. Im Moment hat man eher das Gefühl, dass man sich in allen Bereichen besser verhalten muss. Aber die Forschung zeigt sehr schön, dass sich Menschen schnell von zu vielen Anforderungen überfordert fühlen. Dann resignieren sie und tun gar nichts.
Was also tun?
Man sollte sich stattdessen Ziele setzen, die man auch erreichen kann. Zum Beispiel, wenn ich Fleisch kaufe, dann greife ich einmal in der Woche zum Biofleisch. Oder ich kaufe nur noch biologischen Aufschnitt. Es hilft ganz klare Regeln zu setzen und so einfach neue Gewohnheiten zu entwickeln. Und jeden Monat vielleicht einen weiteren Schritt zu planen.
Aber eine höhere Mehrwertsteuer scheint nicht das richtige Mittel zu sein?
Nein, nicht wirklich. Wenn wäre eine systematische CO2-Bepreisung sinnvoll, wenn es um den Klimaschutz geht und für das Tierwohl sind bessere Kontrollen der schon jetzt geltenden Vorschriften erforderlich, so dass die Verbraucher informiert konsumieren können.
Warum eine CO2-Bepreisung?
Über eine CO2-Bepreisung würde indirekt die Fleischproduktion teurer werden, wenn man davon ausgeht, dass dabei mehr CO2 entsteht als bei fleischlosen Produkten. Da bin ich ganz Ökonom und sage, dass wir die sogenannten externen Effekte im Preis des Produkts spüren sollten. Externe Effekte meinen dabei den Schaden, den ich anderen zufüge und der bei meiner Abwägung, ob ich Fleisch esse oder nicht, nicht enthalten ist.