
Im Streit über den Umgang mit Spählisten des US-Geheimdienstes hat sich die Koalition offenbar angenähert. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte am Montag, sie erwarte in den nächsten Tagen eine Lösung. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert kündigte eine "abgewogene Entscheidung" an, sobald die Gespräche mit der US-Regierung abgeschlossen seien. Als eine Variante gilt, Vertretern der Kontrollgremien des Bundestags in einem geschütztem Raum Zugang zu den Akten zu ermöglichen.
"Ich bin zuversichtlich, dass es eine Einigung über ein geeignetes Verfahren in den nächsten Tagen geben kann", sagte Fahimi. Ihrer Partei gehe es darum, ausgewählten Vertretern des NSA-Untersuchungsausschusses einen Einblick zu gewähren. Unions-Fraktionsvize Thomas Strobl sagte, die SPD scheine "auf den Weg der Vernunft und zu einem vertrauensvollen Umgang in der Koalition zurückzukehren".
Der neue Skandal um BND und NSA
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben, Ziele auch in Europa auszuforschen. Es geht dabei um große Datenmengen, die der BND an seiner Abhörstation in Bad Aibling abgreift und die die NSA nach europäischen Unternehmen und Politikern durchforstet haben soll. In Bad Aibling belauscht der BND internationale Satellitenkommunikation, angeblich vor allem aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia. Es ist aber nicht ganz klar, was dort tatsächlich alles abgefischt wird.
BND und NSA vereinbarten vor Jahren, dass die Amerikaner nach bestimmten Suchmerkmalen (Selektoren) Zugriff auf diese Daten bekommen - zur Terrorbekämpfung und unter Einhaltung deutscher Interessen. Die Amerikaner hielten sich aber wohl nicht an diese Vereinbarung, sondern nutzten die Daten keineswegs nur für den Kampf gegen den Terror, sondern möglicherweise auch zur Wirtschaftsspionage und für andere Zwecke, die deutschen und europäischen Interessen zuwiderlaufen.
Um aus den großen Datenmengen relevante Informationen herauszusuchen und die Kommunikation von Verdächtigen aufzuspüren, filtern sie diese nach bestimmten Suchmerkmalen - zum Beispiel E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Die NSA hat dem BND massenhaft solche Suchkriterien übermittelt, damit dieser die Daten aus Bad Aibling danach maschinell durchkämmt und anschließend an die USA weitergibt. Wie viele Selektoren die Amerikaner geliefert haben, ist unklar. Die Rede ist von mehreren Hunderttausend oder mehr als einer Million. Sie werden ständig überarbeitet und ergänzt.
Der BND prüft nach eigenen Angaben durchaus, was die NSA an Daten anfragt und welche Suchkriterien sie übermittelt. Und der Geheimdienst beteuert, dass er Selektoren, die deutschen Interessen widersprechen, aussortiert und keine Daten dazu liefert. Angesichts der riesigen Mengen an Daten und Selektoren sind die Prozesse aber computerbasiert. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, geht deshalb davon aus, dass alles grundsätzlich automatisiert und ohne Prüfung der einzelnen Suchmerkmale abläuft. „Dieses System ist unkontrollierbar“, sagt er. „Und der BND wusste das auch.“
Der BND bemerkte schon 2005, dass die NSA in dem Wust an abgehörten Daten auch nach europäischen Zielen suchte - nach den Firmen EADS und Eurocopter und nach französischen Behörden. Nach den Enthüllungen der NSA-Affäre 2013 schaute sich der BND die Suchanfragen noch genauer an und stieß auf rund 2000 kritische Selektoren der NSA. Insgesamt hat der BND über die Jahre rund 40 000 solcher Suchkriterien der USA abgelehnt. Nach eigenen Angaben fischten die BND-Mitarbeiter diese heraus, gaben den Amerikanern dazu also keine Daten.
Doch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, glaubt nicht an diese Version. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Selektoren auch eingesetzt wurde.“ Wen genau die Amerikaner alles ausforschen wollten und bei welchen Stellen ihnen das in welchem Umfang gelang, ist noch unklar. Das Kanzleramt erfuhr angeblich erst vor ein paar Wochen von der ganzen Sache - nachdem der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte.
Zuvor hatten Unions-Politiker noch scharfe Kritik an den Attacken der SPD-Spitze gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der BND-Affäre geübt. Das Verhalten Gabriels sei in Form und Stil in einer Koalition inakzeptabel, sagte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. "Das entspricht nicht der Staatsverantwortung, die eine Regierungspartei hat." Unions-Fraktionschef Volker Kauder nannte die "schrillen Töne aus der SPD-Parteizentrale" eine Belastung für das schwarz-rote Bündnis.
Bei dem Streit geht es um Suchbegriffe, die der US-Geheimdienst NSA auch zur Spionage gegen europäische Regierungen und Unternehmen genutzt haben soll. Der BND steht im Verdacht, dem Partnerdienst dabei geholfen zu haben. Gabriel hatte gefordert, die Vorwürfe der Wirtschaftsspionage so schnell wie möglich auszuräumen, da sie das Zeug zu einer "Staatsaffäre" hätten.
Deutschland verhandelt derzeit mit den USA darüber, ob und in welchem Rahmen Bundestagsabgeordnete Einblick in die Listen nehmen dürfen. Die letzte Entscheidung liegt jedoch bei der Bundesregierung. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hält es einem Sprecher zufolge durchaus für möglich, die von den Geheimdiensten verlangte Vertraulichkeit mit dem Aufklärungsinteresse von Bundestag und Öffentlichkeit in Einklang zu bringen.
Gabriel hatte Merkel am Wochenende aufgefordert, gegenüber der US-Regierung "Rückgrat zu zeigen" und die Spählisten der NSA notfalls auch gegen deren Willen freizugeben. Fahimi hielt Merkel Unterwürfigkeit gegenüber Washington vor.