




In der Affäre um den BND und den US-Geheimdienst NSA verstärken die Parlamentsaufklärer den Druck auf die Bundesregierung, die US-Spionagelisten vorzulegen. Die Regierung müsse diese bis zur nächsten Ausschusssitzung am Donnerstag liefern, verlangten mehrere Obleute am Samstag. „Wir werden nicht zulassen, dass sich das weiter verzögert“, sagte der SPD-Obmann Christian Flisek der Deutschen Presse-Agentur. Der Grünen-Obmann Konstantin von Notz mahnte: „Frau Merkel muss jetzt zeigen, ob sie aufklären oder vertuschen will.“ Der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) sagte dpa, die Regierung müsse sich notfalls auch über ein Nein der Amerikaner hinwegsetzen.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll der NSA über Jahre geholfen haben, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen - darunter die französische Regierung und die EU-Kommission. Die NSA lieferte dem BND demnach für die Überwachung des Datenverkehrs in seiner Abhörstation in Bad Aibling viele Suchmerkmale (Selektoren) wie Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern, die gegen deutsche und europäische Interessen verstießen. 40 000 davon sortierte der BND nach eigenen Angaben über die Jahre vorab aus. Mehrere Tausend unzulässiger Selektoren fielen aber erst in der aktiven Suche auf. Das genaue Ausmaß der Affäre ist noch unklar.
Der neue Skandal um BND und NSA
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben, Ziele auch in Europa auszuforschen. Es geht dabei um große Datenmengen, die der BND an seiner Abhörstation in Bad Aibling abgreift und die die NSA nach europäischen Unternehmen und Politikern durchforstet haben soll. In Bad Aibling belauscht der BND internationale Satellitenkommunikation, angeblich vor allem aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia. Es ist aber nicht ganz klar, was dort tatsächlich alles abgefischt wird.
BND und NSA vereinbarten vor Jahren, dass die Amerikaner nach bestimmten Suchmerkmalen (Selektoren) Zugriff auf diese Daten bekommen - zur Terrorbekämpfung und unter Einhaltung deutscher Interessen. Die Amerikaner hielten sich aber wohl nicht an diese Vereinbarung, sondern nutzten die Daten keineswegs nur für den Kampf gegen den Terror, sondern möglicherweise auch zur Wirtschaftsspionage und für andere Zwecke, die deutschen und europäischen Interessen zuwiderlaufen.
Um aus den großen Datenmengen relevante Informationen herauszusuchen und die Kommunikation von Verdächtigen aufzuspüren, filtern sie diese nach bestimmten Suchmerkmalen - zum Beispiel E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Die NSA hat dem BND massenhaft solche Suchkriterien übermittelt, damit dieser die Daten aus Bad Aibling danach maschinell durchkämmt und anschließend an die USA weitergibt. Wie viele Selektoren die Amerikaner geliefert haben, ist unklar. Die Rede ist von mehreren Hunderttausend oder mehr als einer Million. Sie werden ständig überarbeitet und ergänzt.
Der BND prüft nach eigenen Angaben durchaus, was die NSA an Daten anfragt und welche Suchkriterien sie übermittelt. Und der Geheimdienst beteuert, dass er Selektoren, die deutschen Interessen widersprechen, aussortiert und keine Daten dazu liefert. Angesichts der riesigen Mengen an Daten und Selektoren sind die Prozesse aber computerbasiert. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, geht deshalb davon aus, dass alles grundsätzlich automatisiert und ohne Prüfung der einzelnen Suchmerkmale abläuft. „Dieses System ist unkontrollierbar“, sagt er. „Und der BND wusste das auch.“
Der BND bemerkte schon 2005, dass die NSA in dem Wust an abgehörten Daten auch nach europäischen Zielen suchte - nach den Firmen EADS und Eurocopter und nach französischen Behörden. Nach den Enthüllungen der NSA-Affäre 2013 schaute sich der BND die Suchanfragen noch genauer an und stieß auf rund 2000 kritische Selektoren der NSA. Insgesamt hat der BND über die Jahre rund 40 000 solcher Suchkriterien der USA abgelehnt. Nach eigenen Angaben fischten die BND-Mitarbeiter diese heraus, gaben den Amerikanern dazu also keine Daten.
Doch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, glaubt nicht an diese Version. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Selektoren auch eingesetzt wurde.“ Wen genau die Amerikaner alles ausforschen wollten und bei welchen Stellen ihnen das in welchem Umfang gelang, ist noch unklar. Das Kanzleramt erfuhr angeblich erst vor ein paar Wochen von der ganzen Sache - nachdem der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte.
Der NSA-Ausschuss will nun die Listen mit den unzulässigen Suchmerkmalen einsehen. Die Bundesregierung hat aber zunächst die Amerikaner um Erlaubnis gefragt, ob sie die Informationen dazu offenlegen darf. Dies sogenannte Konsultationsverfahren läuft noch.
Flisek mahnte, das Konsultationsverfahren mit den USA dürfe nicht dazu eingesetzt werden, um Zeit zu schinden. „Das Kanzleramt muss eine eigene souveräne Entscheidung treffen. Man kann nicht von Aufklärung reden und das Schlüsselelement dazu nicht vorlegen“, rügte er. „Da ist mir herzlich egal, wie die Amerikaner das sehen.“ Das Parlament werde sich die Listen nicht vorenthalten lassen. „Das letzte Druckmittel wäre eine gerichtliche Klärung“, drohte Flisek.
Der NSA-Ausschuss will bei seiner Sitzung am Donnerstag mehrere BND-Mitarbeiter zu den neuen Vorwürfen befragen. Möglicherweise muss aber auch BND-Präsident Gerhard Schindler dort erscheinen. Das Gremium erwäge, Schindler als „präsenten Zeugen“ zu laden, sagte die Linke-Obfrau Martina Renner. Das heißt, der BND-Chef müsste sich bereithalten und bei Bedarf kurzfristig in den Ausschuss kommen.
Zzdem ist Generalbundesanwalt Harald Range für den kommenden Mittwoch im Rechtsausschuss des Bundestags geladen. "Die Affäre hat auch eine strafrechtliche Dimension", sagte der Innenexperte der Grünen, Hans-Christian Ströbele, der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". Range solle zu den "neuen Erkenntnissen Stellung nehmen, wonach auch Wirtschaftsunternehmen und Politiker in Europa ausspioniert worden sind", sagte Ströbele, der auch Mitglied im Rechtsausschuss ist.
Das Parlament wird sich auch an anderer Stelle mit der Affäre beschäftigen. Die Grünen wollen dazu im Bundestag eine Aktuelle Stunde beantragen. Am Mittwoch berät zudem das Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste über die Vorwürfe. Erwartet wird dort der heutige Innen- und frühere Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU).
Die „Bild“-Zeitung berichtete am Samstag unter Berufung auf „Beteiligte des NSA-Untersuchungsausschusses“, der BND habe die für den US-Geheimdienst abgefangenen Daten selbst ausgewertet, um von den Erkenntnissen zu profitieren. Der BND wollte sich auf dpa-Anfrage nicht äußern. Mitglieder des NSA-Ausschusses reagierten zurückhaltend. Dass der BND Daten, die er selbst in Bad Aibling sammele, auch auswerte, sei im Grunde selbstverständlich, sagte Sensburg. Er habe bislang aus den Akten aber keine Erkenntnisse, dass der BND auch Daten, die auf unzulässige Weise erfasst worden seien, selbst genutzt haben könnte. Auch von Notz sagte zu dem Bericht: „Ich wäre damit vorsichtig.“ Das genaue Prozedere des BND im Umgang mit den Daten für die NSA sei noch unklar.