BND und Spionage unter Freunden „Für das Abhören fehlt jegliche Rechtfertigung“

3.300 Ziele in EU- und Nato-Staaten hatte der Bundesnachrichtendienst im Visier. Ende 2013 wurde diese Art der Spionage klar verboten. Eine Untersuchung zeigt jetzt: Viele Aktionen waren unverhältnismäßig.

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Der BND hat mehr überwacht, als er durfte. Quelle: dpa

Berlin Es ist ein bislang einzigartiger Blick in Details und Hintergründe der Arbeit eines deutschen Geheimdienstes. Auf 22 Seiten haben die Geheimdienst-Kontrolleure des Bundestages ihre Erkenntnisse und Bewertungen über die eigentlich verbotene „Spionage unter Freunden“ des Bundesnachrichtendienstes (BND) zusammengetragen. Doch in den Regeln für die deutschen Auslandsspione gibt es Ausnahmen und Schlupflöcher.

Selbst wenn der Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) auf operative Details und das Nennen konkreter Namen von Staats- und Regierungschefs, Ministern oder EU-Institutionen verzichtet: Die aufgelisteten Einzelheiten dürften für jene Staaten in EU und Nato interessant sein, die davon ausgehen können, dass sie jahrelang Ziel deutscher Spionage waren.

Die wesentlichen Erkenntnisse der Task-Force des PKGr zu jeweils anonymisiert dargestellten Einzelfällen:

Ausländische Regierungseinrichtungen

In der Liste von rund 3300 Spionagezielen des BND in EU- oder Nato-Ländern findet sich eine niedrige zweistellige Anzahl von Staats- oder Regierungschefs beziehungsweise Ministern von EU/Nato-Staaten oder aus deren Umfeld. Dabei wurden Amtssitze genauso abgehört wie Stäbe oder Büros. Auch militärische Einrichtungen wurden zum Ziel. Nach dpa-Informationen geht es um mehrere Dutzend Ziele aus dieser Kategorie.

Regierung

Die Kontrolleure beurteilen das Abhören eines nicht näher genannten Staats- und Regierungschefs beziehungsweise dessen enger Mitarbeiter als unverhältnismäßig. Hintergrund für den Beginn der Spionage war demnach ein Entführungsfall. Der BND erwartete sich Informationen zum internationalen Terrorismus. Brauchbare Ergebnisse brachte die Abhöraktion nicht.

Der BND habe in der Begründung für die Aktion Bezüge zu einem seiner Kernthemen hergestellt, schreiben die Ermittler. Sie kritisieren: „Mit einer solchen Argumentation, die zulässt, dass selbst hochsensible politische Ziele aufgeklärt werden können, um auf diesem (Um)Weg Informationen zu relevanten Themen und Ländern zu erhalten, wäre jedoch nahezu eine unbegrenzte Aufklärung potentiell vielversprechender politischer Akteure weltweit möglich.“

Zudem sei „nicht erkennbar, dass eine Abwägung zwischen dem möglichen nachrichtendienstlichen Mehrwert der Informationen und den politischen Risiken stattgefunden hat“.

Ministerium

Hintergrund der begutachteten Aktion dürften demnach Informationen über Waffentransporte gewesen sein, die durch das betreffende Land gingen, sowie die Zusammenarbeit der Polizei mit Krisenstaaten. Ernüchternd liest sich das Fazit: Relevante Ergebnisse aus dem jahrelangen Abhören seien „nur in sehr bescheidendem Umfang und auch nur aus einer E-Mail-Adresse entstanden“.

Die Aktion gegen das Ministerium sei nicht angemessen, zumal das Land auch nicht zu den im Aufgabenprofil der Bundesregierung für den BND aufgeführten wichtigen Zielländern gehöre. Auch sei „nicht erkennbar, dass eine Abwägung zwischen dem möglichen nachrichtendienstlichen Mehrwert (...) und den politischen Risiken“ stattgefunden habe. Der Aufklärungsauftrag des BND „rechtfertigt in dieser Hinsicht keinen derart tiefgreifenden Eingriff gegenüber einem Partner“.


„Deutschen Staatsbürger mit Wissen und Wollen gesteuert“

EU-Institution

Die Zahl der EU-Institutionen zuzuordnenden Ziele sei zwar „eher überschaubar“, schreiben die Kontrolleure. Bei der untersuchten Stichprobe kommen sie allerdings zu einem eindeutigen Ergebnis: „Selbst bei wohlwollender Betrachtung fehlt jegliche Rechtfertigung für die Steuerung (also das Abhören, d. Red.) dieser EU-Institution, so dass die Maßnahme unverhältnismäßig war.“

Hintergrund der Aktion sei die Erwartung gewesen, Informationen aus Krisenländern zu erhalten. Weit über die Hälfte der Meldungen habe aber lediglich die tägliche Zusammenstellung von Medien-Informationen zu Aspekten verschiedener EU-Institutionen betroffen.

Der BND habe vor allem die Angemessenheit der Operation unzureichend dargelegt. Als EU-Organ sei die Institution „ein besonders sensibles Zielobjekt (wenn überhaupt)“, an der Deutschland durch die Entsendung von Mitarbeitern selbst maßgeblich beteiligt sei.

„Das schwerste Problem liegt aber darin, dass der BND hier zumindest einen deutschen Staatsbürger mit Wissen und Wollen gesteuert hat“, empören sich die Parlamentarier. Deutsche Bürger sind per Gesetz auch im Ausland besonders vor Ausspähung durch deutsche Geheimdienste geschützt. Ihre Kommunikation darf nur mit Genehmigung durch die sogenannte G10-Kommission des Bundestags abgehört werden.

Der BND argumentiert, bei „Funktionsträgern“ sei das anders. Dabei geht es um Deutsche, die etwa für internationale Organisationen im Ausland arbeiten. Diese Theorie ist erheblich umstritten.

Deutscher Staatsbürger

Beim konkreten Fall dürfte es sich um den deutschen Diplomaten Hansjörg Haber handeln. Der RBB-Rundfunk hatte schon im Oktober 2015 berichtet, Haber sei vom BND abgehört worden. Er war von 2008 bis 2011 Leiter der EU-Beobachtermission in Georgien, leitete danach den Planungsstab des Diplomatischen Dienstes der EU in Brüssel, und war zuletzt als EU-Botschafter in der Türkei. Von diesem Posten trat er Mitte Juni wegen des Zerwürfnisses der EU mit der Türkei unter anderem in der Flüchtlingspolitik zurück.

Diplomatische Vertretungen

Mehr als zwei Drittel der BND-Spionageziele mit EU- oder Nato-Bezug fallen in diese Kategorie. Der von den Kontrolleuren untersuchte Fall wird als unverhältnismäßig bewertet. Nachrichtendienstlich relevantes Meldungsaufkommen aus der jahrelangen Aktion sei „nicht erkennbar“.

Nichtregierungsorganisationen / Wirtschaft

Dabei geht es um eine mittlere zweistellige Zahl von Organisationen und Einrichtungen aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Rüstung, Transport, Medien und Beratung. Details etwa zu den Medien werden nicht genannt.

Bei der Stichprobe im Bereich der Nichtregierungsorganisationen handelt es sich um eine Organisation, bei der Deutschland Mitglied ist. Die vom BND generierten Meldungen wären jedoch aus Sicht der Kontrolleure auch „auf direktem Wege oder über das Auswärtige Amt zu erlangen gewesen“. Schwer wiege zudem, „dass mindestens eine Meldung gefertigt wurde, die als Gegenstelle aus der Erfassung einer E-Mail eines deutschen Staatsangehörigen bei anderen Institutionen stammt“.

Nach früheren, der dpa bestätigten Medieninformationen hatte der BND unter anderem auch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, das UN-Kinderhilfswerk Unicef oder die Weltgesundheitsorganisation auf seiner Zielliste.

Unternehmen

Das von den Kontrolleuren untersuchte Unternehmen auf der BND-Liste kommt aus einem der Bereiche Luft- und Raumfahrt, Rüstung, Transport und Beratung. Hier heißt es, die Erwartung, nachrichtendienstlich wichtige Informationen zu erhalten, sei inhaltlich nachvollziehbar. Die Aktion sei dazu grundsätzlich geeignet gewesen und habe auch entsprechende Erkenntnisse gebracht.

Wieder sei aber nicht erkennbar, ob es eine Abwägung zwischen dem nachrichtendienstlichen Mehrwert der Informationen und den möglichen politischen Risiken gegeben habe. Zudem sei mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit zu hinterfragen, ob Zielrichtung der Aufklärung dieses konkrete Unternehmen habe sein müssen. In Medienberichten war der Airbus-Vorgänger EADS als BND-Ziel genannt worden.

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