„Bock auf Politik“ Deutschlands Partei-Junioren haben große Ziele

Nach der Schule zur Parteiversammlung: In allen Parteien sind Jugendliche aktiv und drängen in Ämter. Offenheit statt Erfahrung, heißt die Devise.

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Mit 24 Jahren zog Amthor als jüngster direkt gewählter Abgeordneter in den Bundestag ein. Quelle: dpa

Ulm Jung, jünger, Julius. Genauer gesagt: Julius Bernickel. Mit 18 Jahren ist der Abiturient aus dem Donaustädtchen Ehingen bei Ulm kürzlich zum jüngsten SPD-Kreischef Deutschlands gewählt worden. Trotz der Warnung einer altgedienten Genossin, er sei zu unerfahren, bekam Bernickel 88 Prozent.

Nun steht er an der Spitze des SPD-Kreisverbandes Alb-Donau. „Unsere Partei braucht wieder Visionen und dafür braucht sie aktive junge Leute in führenden Positionen“, sagt der Gegner der Großen Koalition von SPD und CDU in Berlin.

Generell müssten sich mehr junge Leute „um die Zukunft Deutschlands“ kümmern, findet er. „Wer soll denn die nächsten Jahrzehnte in diesem Land arbeiten und sich wohlfühlen? Die heute 60-jährigen Abgeordneten oder die heute 18-Jährigen?“

Jugend ans Ruder - das wollen auch Nachwuchspolitiker in anderen Parteien. „Es können sich gar nicht genug junge Menschen politisch engagieren“, sagt etwa Fabian Griewel, der 21 Jahre alte Vorsitzende des FDP-Kreisverbandes Soest (Nordrhein-Westfalen). Und Dylan Rubisch, mit 18 schon Sprecher des Kreisverbands Calw der Linkspartei, findet: „Wir Jungen sind unverbraucht und haben eine ganz andere und offene Sicht auf die Welt.“

Schon als Schülerin war auch die Münchnerin Jamila Schäfer politisch aktiv. „Junge Leute haben Bock auf Politik und keine Angst, Verantwortung zu übernehmen“, sagt die 24 Jahre alte stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen. „Ich kenne viele junge Leute, die sich die Nächte um die Ohren schlagen, weil sie sich neben Schule, Ausbildung oder Studium politisch engagieren.“

Über unterschiedliche Ansichten und Überzeugungen können sich die Parteijüngsten genauso fetzen wie die Alten. Migration, Europa, Soziales – bei einigen Themen liegen sie weit auseinander. So hat sich Eric Markert (20) einst der AfD angeschlossen, um etwas „gegen das Erstarken des Linksextremismus in Deutschland“ zu tun, während der Linke Rubisch dafür eintritt, in Deutschland „den Sozialismus neu zu gestalten“. Doch wenn es allgemein um die Rolle von Jugendlichen in der Gesellschaft geht, gibt es viel Übereinstimmung.

„Es ist unbedingt zu begrüßen, wenn sich mehr junge Menschen entscheiden, in eine Partei einzutreten“, sagt Markert, der 2015 mit 18 in Marburg-Biedenkopf (Hessen) der jüngste AfD-Kreisvorsitzende wurde. Alle Parteien stünden in der Verantwortung, politisches Engagement für junge Leute attraktiver zu gestalten.

Das Bemühen darum ist auch in den Unionsparteien spürbar. So wurden 2016 in Regensburg-Süd und 2017 in Nürnberg-Worzeldorf jeweils 20-Jährige zu den jüngsten CSU-Ortsvorsitzenden gewählt. Die CDU punktet mit ihrem Jungstar Philipp Amthor. Im vergangenen Jahr ließ er im Nachbarwahlkreis von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Mecklenburg-Vorpommern die AfD-Konkurrenz hinter sich.

Mit 24 Jahren zog Amthor als jüngster direkt gewählter Abgeordneter in den Bundestag ein. Seit er dort einen AfD-Antrag zum Burkaverbot rhetorisch glanzvoll auseinandernahm, sehen manche ihn als CDU-„Geheimwaffe“ gegen Rechtspopulismus.

Eines Tages am Rednerpult unter der Reichstagskuppel und damit im Rampenlicht stehen – so manchem Nachwuchspolitiker gefällt die Vorstellung. Aber wofür würden sie dann ihre Stimme erheben?

Grundsätzlich natürlich für Ziele ihrer Parteien. Doch vieles liegt jungen Politikern parteiübergreifend gemeinsam am Herzen: So nennt der Linke Rubisch die „Schaffung von bezahlbarem Wohnraum“. Der Liberale Griewel will „ein modernes Infrastruktur- und Glasfasernetzwerk“. AfD-Mann Markert sagt: „In einem Land wie Deutschland darf bestmögliche Bildung keine Frage des Geldes sein.“

Sozialdemokrat Bernickel will „erreichen, dass wir das Land sind, dass am besten den Digitalisierungsprozess übersteht“. Das alles könnte wohl so oder ähnlich in allen Programmen stehen

Bereits 2015 zeigte die Shell-Jugendstudie ein wachsendes politisches Interesse von Jugendlichen, aber auch viel Misstrauen. Der Aussage „Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken“, stimmten 69 Prozent der 15- bis 25-Jährigen zu.

Solche Politikverdrossenheit gebe es nicht nur bei Jugendlichen, sagt der Forscher Robert Vehrkamp, der bei der Bertelsmann-Stiftung das Programm „Zukunft der Demokratie“ leitet. „Aus der Wahlforschung wissen wir, dass steigende Unzufriedenheit auch das Resultat von Bildung und demokratischer Emanzipation sein kann.“ Mit dem Bildungsgrad nehme die Urteils- und Kritikfähigkeit zu. „Und das gilt natürlich auch für Jugendliche.“

Laut einer Emnid-Umfrage vom Januar im Auftrag der „Bild am Sonntag“ wollen 81 Prozent der Deutschen mehr Macht für Politiker unter 40. Allerdings dringt das bei Bundestagswahlen kaum durch: Als sich Ende 2017 der neue Bundestag konstituierte, lag das Durchschnittsalter bei knapp 50 Jahren, ganz ähnlich wie in vielen Wahlperioden davor. Am niedrigsten war das Durchschnittsalter im nationalen Parlament bisher mit 46,6 Jahren zum Beginn der siebten Wahlperiode. Das war 1972. Damals waren die Folgen der „68er“ noch deutlich spürbar.

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