Böhmermann und Erdogan Ein Gag vor Gericht

Mit dem Strafantrag gegen Jan Böhmermann vor der Staatsanwaltschaft Mainz zerrt der türkische Präsident einen Satire-Beitrag vor Gericht. Der Ausgang ist unklar – und könnte vom Verfassungsgericht entschieden werden.

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Hat Jan Böhmermann mit seiner „Schmähkritik“ gegen den türkischen Präsidenten Erdogan eine rechtliche Grenze überschritten? Das muss womöglich das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Quelle: dpa

Düsseldorf Es sind zehn Zeilen – zusammengenommen keine hundert Wörter – die das Potenzial haben, eine regelrechte Staatskrise auszulösen: Mit seinem Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat der TV-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann eine teils heftig geführte Diskussion über das Wesen und die Grenze von Satire, den Anfang von Schmähkritik und über das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Diplomatie angestoßen. Die Türkei verlangt eine Strafe für die Autoren des Textes; deutsche Kabarettisten, Politiker und Prominente dagegen berufen sich auf die Freiheit des Wortes und solidarisieren sich mit Böhmermann.

Doch wo die Kunst gerne behauptet, Satire dürfe alles, da sehen zahlreiche Juristen den Fall bereits vorm Bundesverfassungsgericht. Denn die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts ist nach Paragraph 103 des Strafgesetzbuches mit einer Geldstrafe oder einem Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren belegt – und Böhmermann wies in der Einleitung zu seiner „Schmähkritik“, so der Titel des Gedichts, sogar selbst darauf hin, dass seine Aussagen womöglich strafrechtlich relevant sein könnten.

Tatsächlich geht der Straftatbestand der „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“, der in der Diskussion meist für die Bewertung der Satire herangezogen wird, auf den Tatbestand der „Majestätsbeleidigung“ zurück. Der stammt aus einer Zeit, als die Bundesrepublik noch „Deutsches Kaiserreich“ hieß und von Wilhelm I. regiert wurde. Wer den Monarchen damals beleidigte, musste mit einer lebenslangen Haftstrafe im Zuchthaus rechnen; in minderschweren Fällen konnte die Strafe auf mindestens fünf Jahre reduziert werden. Unter Wilhelm II. wurde die Majestätsbeleidigung wieder abgeschafft, findet aber der veränderten Form des §103 StGB weiterhin Anwendung – wenn auch nur noch in Bezug auf die Vertreter ausländischer Staaten und in sehr seltenen Fällen.

So verklagte etwa 1964 der damalige Schah von Persien, Mohammed Resa Pahlewi, mehrere Mitarbeiter des „Kölner Stadt-Anzeigers“, weil diese ihn in einer Fotomontage verarbeiteten. In der fiktiven Szene macht Pahlewi dem damaligen saudi-arabischen König Saud ein unmoralisches Angebot: Er bietet ihm seine Ehefrau an – gegen eine Zahlung von 30.000 D-Mark. Pahlewi stellte einen Strafantrag gegen die Urheber und bekam recht. Die Autoren mussten eine Geldstrafe zahlen.

Auch Erdogan hat inzwischen einen Strafantrag gegen Jan Böhmermann bei der Bundesregierung gestellt. Denn anders als beispielsweise Mord ist die Beleidigung kein Offizialdelikt, das die Staatsanwaltschaft von Amts wegen, also ohne vorherige Anzeige des oder der Betroffenen, verfolgen müsste.


„Ich habe solch einen Fall noch nicht erlebt“

Gleiches gilt für die Beleidigung ausländischer Politiker. Auch hier werden Behörden nur aktiv, wenn die ausländische Regierung ein Strafverlangen anmeldet. Allerdings müssen vor der Aufnahme der Ermittlungen weitere Voraussetzungen erfüllt sein, die in §104 StGB aufgeführt sind: Der betroffene Staat muss etwa diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik unterhalten. Spannender im Fall Böhmermann/Erdogan ist allerdings: Die Bundesregierung müsste der Staatsanwaltschaft zusätzlich die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen.

Wohl auch deshalb ist Erdogan gleichzeitig noch einen weiteren Weg gegangen. Vor der Staatsanwaltschaft Mainz, wo das ZDF sitzt, stellte der türkische Präsident laut dpa als Privatmann zusätzlich einen Strafantrag nach §185 StGB, der die „klassische“ Beleidigung abdeckt. Darunter verstehen Juristen „die Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung in beliebiger Form“. Je nach Schwere der Tat könnte Böhmermann zwar hier „lediglich“ eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren Haft drohen – weniger also als bei einer Verurteilung nach §103 StGB. Der Vorteil für Erdogan ist jedoch: Die Zustimmung der Bundesregierung ist in diesem Fall nicht notwendig; die Einleitung eines Verfahrens damit relativ sicher.

Experten wie der Medienrechtler Stefan Engels vermuten, dass der Streit durch alle Instanzen bis nach Karlsruhe verhandelt werden könnte. Der dpa sagte der Jurist: „Ich habe einen Fall in dieser Zuspitzung noch nicht erlebt.“ Spannend sei die Frage, ob Böhmermann mit seinem Gedicht die Grenze zur Herabwürdigung überschritten habe – und ob es für einen Freispruch ausreiche, dass Böhmermann behauptet, gar nicht schmähen zu wollen, sondern lediglich ein Beispiel für eine Schmähung zu geben.

Der Göttinger Verfassungsrechtler Alexander Thiele sieht die Causa Böhmermann schon als potenzielles Thema für Examensklausuren im Fach Jura. Auf der Fach-Website „Verfassungsblog“ verweist auch er auf den Kontext, in den Böhmermann sein Schmähgedicht eingebettet hat: „Entscheidend ist der Umstand, dass Böhmermann dieses Gedicht in einen quasi-edukatorischen Gesamtkontext einbettet, um auf diesem Wege die Grenzen der Meinungsfreiheit zu verdeutlichen.“ Es erscheine mehr als lebensfremd anzunehmen, dass Böhmermann tatsächlich davon ausgehe, dass der türkische Präsident die darin geschilderten Praktiken betreibt.

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