
Bei manchen Vorträgen ist am interessantesten, was der Redner nicht sagt. Als IG-Metall-Chef Berthold Huber vergangene Woche in Böblingen rund 500 Metaller auf das Tarifjahr 2010 einstimmte, redete er viel von „Erhalt“ und „Sicherung“ der Jobs und Einkommen – und darüber, welche Gegenleistung die Gewerkschaften bei Lohnverzicht in Krisenbetrieben fordern wollen. Das Wort „Lohnerhöhung“ fiel kein einziges Mal.
Das deutet auf eine ungewöhnliche Tarifrunde hin. Wenn im April 2010 die Tarifverträge für die 3,4 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie auslaufen, will die IG Metall mit einem überwiegend „qualitativen“ Forderungskatalog in die Verhandlungen ziehen. Dazu zählen etwa temporär sinkende Arbeitszeiten, die Übernahme von Auszubildenden oder die tarifliche Gleichstellung des künftig wieder wachsenden Heers der Zeitarbeiter. Beim Tarifentgelt aber, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, könnte sich die IG Metall mit einem Inflationsausgleich begnügen. Das wäre ein für Branchenverhältnisse mikroskopisches Plus von rund 0,6 Prozent.
Gegensätzlichen Kurs in der Tarifpolitik
Mit diesem pragmatischen Kurs, der schwere Nachwehen der Rezession für das kommende Jahr einkalkuliert, verabschiedet sich Huber de facto von der bei Gewerkschaften seit Jahrzehnten propagierten Kaufkrafttheorie der Löhne. Danach müssen die Löhne nur kräftig genug steigen, dann geht es auch der Wirtschaft – dank vermeintlich höheren Konsums – bald wieder gut.
So denkt zum Beispiel nach wie vor Frank Bsirske, der Chef von Verdi. Er sieht keinen Grund für Lohnzurückhaltung, wenn 2010 die Verhandlungen im öffentlichen Dienst anstehen (wo es weder Kurzarbeit noch Kündigungswellen gibt). Damit aber stehen die Gewerkschaften vor einem strategischen Dilemma. Wenn die beiden mächtigsten Gewerkschaften in der Tarifpolitik einen völlig gegensätzlichen Kurs fahren, gerät das gesamte Gewerkschaftslager in ökonomische Erklärungsnot. Man darf gespannt sein, wie sie diesen Knoten auflösen.