Breitscheidplatz in Berlin Der Tag danach

Am Tag nach dem Anschlag in Berlin suchen viele Menschen den Unglücksort auf. Die Stimmung ist geprägt von stiller Anteilnahme und Fassungslosigkeit. Doch nur wenige Meter weiter geht das Leben ganz normal weiter.

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Passanten legen Kerzen und Blumen am Ort des Anschlags nieder. Quelle: dpa

Berlin Berlin rund um den Breitscheidplatz am Tag danach. Dort, wo sonst reger Autoverkehr die Straße hoch und runter fährt, wo Straßenlärm, Gespräche und Musik aus den Geschäften zu hören sind, herrscht heute vor allem: Stille. Die Polizei hat den Platz rund um den Weihnachtsmarkt, in den am Montagabend ein Mann mit einem Lkw hineinraste und dabei zwölf Menschen tötete und viele weitere verletzte, weiträumig abgesperrt.

Kein Auto darf passieren, Polizisten passen bei minus einem Grad auf, dass niemand durch die Absperrung geht, der das nicht darf. Trotz Absperrung dürfen aber auch Passanten so nah an den Unglücksort heran, dass sie die halb kaputten Buden sehen können. Sich vorstellen können, wie es gewesen sein muss, als der tonnenschwere Lastwagen in den Markt fuhr, wo die Menschen gerade Glühwein tranken und Currywurst aßen.

Am Tag danach laufen Touristen und Berliner mit fragenden Augen an dem Markt vorbei, bleiben stehen, halten inne, schauen sich um. Niemand scheint so recht zu wissen, wie er sich verhalten soll. Neben dutzenden Polizisten in blauer Uniform steht auch ein ehrenamtlicher Seelsorger. Die Menschen sollen einen Ansprechpartner für ihre Ängste haben. Seit 21 Uhr am Montag sind die freiwilligen Helfer im Einsatz. Oft hilft vor allem Zuhören, sagt der Helfer.

Immer mehr Menschen kommen mit Blumen in der Hand zu dem Unglücksort. An einer Ecke an der U-Bahnhaltestelle Zoologischer Garten wurden Grablichter aufgestellt und Blumen niedergelegt. Journalisten und Passanten fotografieren die Szene. Ein Mann schiebt einen Wagen mit Plastikkörben voller Brötchen vorbei. Er rattert über den Boden. Ansonsten: Stille. Die Menschen sprechen wenig miteinander, wenn dann nur leise und gedämpft.

Es ist eine fast schon bizarre Situation. Auf der einen Seite scheinen viele das Bedürfnis zu haben, innezuhalten. Auf der anderen Seite geht nur wenige Meter neben ihnen das Leben weiter. Eine Briefträgerin steigt von ihrem gelben Fahrrad, schnappt sich ihre gelbe Tasche, klingelt bei einem der Büros und ruft „Post“ in die Gegensprechanlage. Um die Ecke vor einer Bäckerei unterhalten sich drei Frauen über ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch. Manche Menschen machen Selfies von sich vor der Unglücksstelle.

Gegen 11 Uhr verlagern Polizisten die Absperrung weiter nach vorne. Eine Drohne soll den Platz von oben fotografieren und so dabei helfen, den Tathergang genau zu rekonstruieren. Mit surrendem Geräusch fliegt das Gerät den Platz Meter für Meter ab.

Am anderen Ende des abgesperrten Breitscheidplatzes ist seit 9 Uhr die Gedächtniskirche geöffnet worden. Sie soll ein Platz der Zuflucht sein. Politiker gehen ein und aus: Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller, die Grünen-Politikerin Renate Künast, der Vorsitzende der FDP-Fraktion in Berlin Sebastian Czaja.

Seit 11.30 Uhr liegt im Inneren der Kirche neben dutzenden brennenden weißen Kerzen ein Kondolenzbuch aus. Die Lichter am großen Weihnachtsbaum neben dem Altar sind ausgeschaltet. Eine Frau in den hinteren Stuhlreihen spricht mit dürrer Stimme, schluchzt immer wieder leise, fragt sich, wie das Leben nun weiter gehen soll.

Schon um 12 Uhr ist die Schlange für das Buch mehrere Meter lang. Geduldig und still warten die Menschen, bis sie an der Reihe sind.

Auch draußen liegen schon mehrere kleine Haufen mit Blumen, aufgestellten Kerzen, Plüschtieren, Pappschildern, die Mut machen sollen. Mut, für die Zeit, die all denjenigen die gekommen sind, noch bevor steht.

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