Leider belässt es Sarrazin nicht dabei, sondern kommt unweigerlich auf Länder- und Kulturgrenzen zu sprechen. Er zweifelt an, dass der Islam eine Kultur des Friedens ist und Deutschland und Europa bereichert – und philosophiert darüber, welche (negativen) Eigenschaften „Zigeuner“ und Schwarzafrikaner hätten (schlechter gebildet, öfter kriminell) – und warum diese auch durch Umbenennung in „Sinti und Roma“ und von „Neger“ zu „Afroamerikaner“ blieben. „Die Verbindung von Roma mit Vorgängen wie Betteln, Diebstahl, Prostitution soll offenbar tabuisiert werden, indem man allenfalls von Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien redet. Das ist etwa so, als würde man im Zusammenhang mit dem Wort Mafia die Benutzung des Adjektivs „italienisch“ unterbinden wollen“, findet Sarrazin.
Er zündelt gern, das hat er gelernt. Es verschafft ein Maximum an Aufmerksamkeit. Denn natürlich ist es nicht rassistisch, in Polizeimeldungen die Nationalität eines Straftäters zu nennen. Doch Verallgemeinerungen – wie Sarrazin sie hier betreibt – überschreiten auch schnell die Grenze des guten Geschmacks. Sarrazin sollte sich darauf besinnen, dass, wie er selbst auch schreibt, grundsätzlich jede Gruppe das Recht hat, „den eigenen Namen selbst zu wählen. Außerhalb dieser Gruppe sollte man diese Wahl respektieren.“ Genau dieses Recht stellt Sarrazin aber infrage.
Und so verletzt er und grenzt aus, wobei die von ihm pauschaliert abgewerteten Gruppen ja ihrerseits auch Opfer falscher Etikettierungen sind: Dass der Multikulti-Opportunismus sie in die Opferrolle und der stets betreuungsbedürftigen Halbidioten zwingt und sie der Gängelung durch die selbsternannten Opferverbände unterwirft ist ja auch offensichtlich. Sarrazin hätte groß werden können, wenn er seine Kritik auf die deutschen Meinungstäter konzentriert hätte, die genannten Gruppen als Objekte des Gutmenschentums anerkennen würde und dadurch geholfen hätte, sie aus diesem Ghetto zu befreien. So aber grenzt er aus und ab.
Damit geraten viele der lesenswerten Diskussionen in den Hintergrund, weil der Leser nicht mehr nur der an sich richtigen Medienanalyse folgt, sondern auch in anderen Fragen Partei ergreifen soll. In dem Wunsch, zu polarisieren und seine Ausgangsthese zu rechtfertigen, schießt Sarrazin übers Ziel hinaus. Die Frage, wie es zu der Begrenzung der Meinungsfreiheit kommt, einer "freiwilligen Gleichschaltung" (so Evelyn Roll schon vor Jahren in der Süddeutschen Zeitung) in einer sonst so freiheitlichen, jeder Zensur abholden Gesellschaft, beantwortet er nur fragmentarisch und argumentiert über lange Strecken selbstbezüglich. Aber ohne Zweifel: Die Debatte ist notwendig - und beginnt sich Raum zu schaffen.