Bücher Politisch korrekte Säuberungsaktion

Verlage streichen "Neger" und "Zigeuner" aus Kinderbuchklassikern und Dr. Oetker verkauft schon länger keine "Negerküsse" mehr. Der Widerstand gegen die sprachliche Glattbügelei bleibt aus.

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Der Räuber Hotzenplotz (Armin Rohde) entführt die Großmutter (Christiane Hörbiger) in der Verfilmung des Kinderbuchklassikers

Der Philosoph Robert Spaemann hat bei Gelegenheit darauf hingewiesen, dass unsere Sprache mehr und mehr zum Objekt der Manipulation wird. Begriffe, die unter Diskriminierungsverdacht stehen, würden aus dem Verkehr gezogen. So müssten Hochbetagte, die am Bahnschalter nach einem günstigen Greisentarif fragen, damit rechnen, zurechtgewiesen zu werden: Bei der Bahn gebe es keine Greise, sondern nur Senioren. Ähnliches ist vor Jahren der Putzfrau widerfahren, die zur Raumpflegerin promoviert wurde. Auch Vater und Mutter sind schon auf dem Index gelandet, sie sollten durch das gender-neutrale Kunstwort „Elter“ ersetzt werden. Jetzt hat es – wieder einmal – Neger und Zigeuner erwischt: Die Kinderbuchklassiker „Die kleine Hexe“ und "Der Räuber Hotzenplotz" von Otfried Preußler werden künftig ohne diskriminierende Begriffe wie „Neger“ erscheinen. Der Stuttgarter Verlag folge darin dem Beispiel des Verlags Friedrich Oetinger aus Hamburg, der Worte wie „Neger“ und „Zigeuner“ schon vor vier Jahren aus den Übersetzungen von Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ gestrichen habe.

Nun unterliegen Worte zweifellos einem Bedeutungswandel. Konnte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ganz unschuldig von „Negerplastiken“ gesprochen werden, wenn von afrikanischer Kunst die Rede war, so hat das Wort Neger hierzulande spätestens seit den Siebzigerjahren einen Beigeschmack von Herabsetzung, weshalb etwa Dr. Oetker seine Eis-Sorte „Negerlein“, ein „mit Schokolade überzogenes Vanilleeis“, wie es bei Wikipedia heißt, Anfang der Neunzigerjahre vom Markt nahm. Dass das Unternehmen seine berühmten „Negerküsse“ seither unter dem unverdächtigen Namen „Schokoküsse“ anbietet, ist schon als Kotau vor der Politischen Korrektheit zu verbuchen.

Klaus Willberg, Geschäftsführer der Thienemann Verlag GmbH, hält am 08.01.2013 in Stuttgart das Kinderbuch «»Die kleine Hexe« von Otfried Preußler in den Händen. Der Begriff «Negerlein» soll in einer überarbeiteten neuen Version des Kinderbuchs ersetzt werden.    Quelle: dpa

Wenn nun aber auch rückwirkend ein Buch aus den Fünfzigerjahren wie „Die kleine Hexe“ „durchforstet“ werden soll, wie der Verlag ankündigt, um seine Textgestalt dem sprachlichen und politischen Wandel anzupassen, kann man getrost von einer Säuberungsaktion unter dem Deckmantel pädagogischer Fürsorge sprechen: Alles, was als nicht zeitgemäß gilt, also den herrschenden, diskriminierungssensiblen Sprachnormen widerspricht, soll glattgebügelt, neutralisiert werden. Astrid Lindgrens „Negerkönig“ wird zum „Südseekönig“ und die „Zigeuner“, denen wir immerhin Johannes Brahms‘ Zigeunerlieder verdanken, werden allenthalben zu „Roma und Sinti“. Da kann man froh sein, dass das Wort Hexe noch geduldet wird. Eine Ausnahme sind übrigens die Homosexuellen: Sie haben es, wie Spaemann sagt, geschafft, aus einem einstigen Schimpfwort eine Auszeichnung zu machen – und sind heute stolz darauf Schwule zu sein. Man müsse sich der Tendenz zur sprachlichen Gleichschaltung „erwehren“, hat Spaemann seinerzeit gefordert. So wie es jetzt die Journalistin Marie Luise Scherer getan hat, die bei der Neuausgabe ihrer Paris-Reportagen von 1990 „Die Bestie von Paris und andere Geschichten“ keinen Grund sah, folgenden schönen Satz zu korrigieren. „Über den ersten Barhocker ragt, in phosphorgrünem Futteral, die Gesäßkugel einer Negerin.“

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