Bürger vertrauen dem Amtsinhaber Wer regiert, gewinnt die nächste Wahl

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Oft wechselt die Mehrheit, nicht die Macht

Und selbst diese zwölf Wahlen brachten nicht immer den Machtwechsel mit sich. Wie 2012 in Nordrhein-Westfalen wechselte auch 2001 in Berlin zwar die Mehrheit, nicht aber der Macht. Denn bereits ein paar Monate vorher war der CDU-Ministerpräsident Eberhard Diepgen über einen Bankenskandal gestürzt, Oppositionsführer Klaus Wowereit (SPD) hatte übergangsweise eine Minderheitsregierung gebildet – und sich damit den Amtsbonus gesichert. Ähnlich der Sieg der SPD 1998 in Sachsen-Anhalt. Zwar eroberten die Genossen hier die Position der stärksten Partei von der CDU,  die Macht hatten sie sich aber bereits vier Jahre vorher mittels einer Minderheitsregierung mit den Grünen unter Tolerierung der PDS (Magdeburger Modell) gesichert. Auch die Wahl in Hamburg 2011, bei der Olaf Scholz Macht und Mehrheit errang, war ein Triumph mit Sternchen. Denn ein paar Monate vorher war die schwarz-grüne Koalition zerbrochen, statt über einen Amtsbonus verfügte CDU-Kandidat Christoph Ahlhaus eher über den Malus des Koalitionszerstörers.  Bei all diesen Wahlen war der Amtsbonus schon während der Legislaturperiode verloren gegangen.

Lässt man diese vier Wahlen außen vor, gelang bei lediglich neun von 87 Wahlen (10,3 Prozent) ein echter Sieg gegen den Amtsbonus. Eine ziemlich mickrige Quote. Das könnte daran liegen, dass die Kandidaten bei Landtagswahlen sich meist sehr schwer tun, überhaupt bekannt zu werden. Wie hieß nochmal der CDU-Kandidat in Brandenburg im vergangenen Sommer? Genau. Viele Wähler entscheiden sich wohl fast immer für den Amtsinhaber, wenn ihnen keine groben Fehler bekannt werden.  Da die Kompetenzen der Länderparlamente arg beschränkt sind, ist es sehr schwierig, mit politischen Entscheidungen solche Fehler überhaupt zu begehen.  Es bleibt die Überlagerung der Wahl durch bundespolitische Themen – doch darauf hat der Kandidat in Saarbrücken oder Schwerin beim besten Willen keinen Einfluss.

Die Analyse der Machtwechsel liest sich damit wie der dringende Ratschlag, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Macht zu sichern. Mögen die Koalitionsverhandlungen auch noch so schwierig werden. Denn sobald sich die Machtverhältnisse einmal gedreht haben, entsteht daraus schnell eine stabile neue Mehrheit. So waren es 2005 in Schleswig-Holstein – CDU und SPD hatten ein annähernd gleiches Ergebnis erzielt – nur eine Handvoll Abweichler, die Heide Simonis die Wiederwahl verdorben. Auf zwanzig Jahre SPD-Mehrheit folgten seitdem zwei weitere Wahlen mit CDU-Mehrheit. Was für ein  Leichtsinn, 2012 dennoch der SPD die Koalitionsbildung zu überlassen!

Im Durchschnitt aller Bundesländer liegt der letzte Mehrheitswechsel mehr als 20 Jahre zurück

Ähnlich war es in Berlin, wo seit dem über eine Minderheitsregierung eingeleiteten Wahlsieg von Klaus Wowereit zwei weitere Male die SPD zur stärksten Kraft wurde. Auch im Saarland, wo die SPD seit 1980 immer stärkste Kraft geworden war, änderte der Mehrheits- und Machtwechsel 1999 alte Gewissheiten:  Die CDU hat bei den drei folgenden Wahlen jeweils deutlich die Mehrheit der Stimmen geholt. Im Durchschnitt aller Bundesländer liegt der letzte Mehrheitswechsel fünf Wahlen – oder mehr als 20 Jahre – zurück. Dabei gab es in drei ostdeutschen Ländern ohne Mehrheitswechsel (Sachsen, Brandenburg, Thüringen) erst sechs Wahlen, die in die Berechnung einfließen konnten.  Als die SPD unter Rudolf Scharping 1991 in Rheinland-Pfalz die Wahl gewann, kam das gar einer Zeitenwende gleich: Seit Gründung der Bundesrepublik hatte die CDU hier jede Wahl gewonnen. Es folgten 19 Jahre Kurt Beck – und kein einziger Wahlsieg der CDU. 

Um die Leistung von Olaf Scholz endgültig zu relativieren: Die erste Wahl nach der Machtübernahme ist nach 1990 gar bei keiner einzigen Landtagswahl verloren gegangen. Es spricht also viel dafür, dass bei den kommenden Wahlen in Thüringen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die mit frischem Amtsbonus ausgestatteten linken Koalitionen gewinnen. Aber auch dafür lässt sich dann sicher eine innovativere Erklärung finden. Nur die Sache mit den Großstädten, die scheidet diesmal leider aus. Erfurt hat 200.000 Einwohner – der Bezirk Eimsbüttel 250.000.

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