Bürgerdialog Erfolg ist Glückssache

Die Große Koalition holt zur Wohlfühloffensive aus. Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Sigmar Gabriel lassen die Bürger nun fragen: Was heißt ein gutes Leben? Das Projekt reiht sich ein in eine größer angelegte Strategie, die Bürger mit Erkenntnissen der Verhaltensökonomie zu regieren. Das Ziel: Wissen wie der Bürger tickt – um ihn dann in die gewünschte Richtung zu steuern.

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Glück Quelle: dpa

Der Kontrast könnte größer kaum sein: Am Montagvormittag eröffnete Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit dem indischen Ministerpräsidenten die Hannover Messe. Hier zählt, was immer zählt, wenn es um harte Wirtschaftspolitik geht: technischer Fortschritt, Exportzahlen, Wachstum. Im weiteren Verlauf des Tages dann startet Merkel zusammen mit ihrem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) den Zukunftsdialog Gutes Leben. Hier zählt, was nach Vorstellung der Regierenden künftig auch zählen soll, wenn es um Wirtschaftspolitik geht: Welche Werte sind den Deutschen jenseits des Geldes wichtig, was macht für sie ein gutes Leben aus.

So startet die Große Koalition in eine groß anberaumte Wohlfühloffensive. Unter dem Motto „Gut leben in Deutschland - Was uns wichtig ist“ sind in den nächsten Monaten mehr als 100 Veranstaltungen geplant. Zunächst sollen die Deutschen von Meinungsforschern befragt werden, danach suchen lebende Minister samt Bundeskanzlerin den Kontakt zum Volk. Der Bürgerdialog ist nach der Einrichtung eines Teams von Verhaltensökonomen im Kanzleramt das zweite große Projekt innerhalb weniger Wochen, mit dem die Kanzlerin stärker von Erkenntnissen der Verhaltensökonomie profitieren möchte.

Balanceakt zwischen Gängelung und Zusammenarbeit

Das Ökonomen-Team im Kanzleramt soll schauen, wie mit den Erkenntnissen des „Nudging“ die Bevölkerung mit sanften Regulierungsmitteln in die politische gewünschte Richtung geschubst werden kann. Der Bürgerdialog wiederum soll dabei helfen, dass Politik und Volk eine gleiche Vorstellung davon bekommen, wohin sich Gesellschaft und vor allem Wirtschaft künftig entwickeln. Beides zusammen aber ist ein Balanceakt: Kein Politiker möchte eine neue Veggie-Day-Debatte, bei der die Politik den Vorwurf bekommt, die Bürger zu gängeln. Dennoch bergen Nudging und kollektive Glückssuche zahlreiche Einfallstore für neue regulative Volksbeglückung.

Der Wunsch in der Bevölkerung nach mehr Möglichkeiten zu politischer Beteiligung wachse, sagt der Politikwissenschaftler Leonhard Novy im Gespräch mit der dpa. „Die repräsentative Demokratie muss darauf reagieren und in Zukunft mehr Transparenz, mehr Dialog und mehr direkte Beteiligung zulassen“, verlangte der Co-Direktor des Kölner Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. „Man kann der Regierung schon unterstellen, dass sie das Wissen und die Erfahrungen der Bürger einholen will. Es ist aber auch klar, dass es auch um PR geht.“

Zehn Strategien zum Glücklichsein
Die Deutschen sind nicht so große Schwarzmaler, wie ihnen nachgesagt wird: Drei Viertel der Menschen hierzulande sind laut Studie lebensfroh, jeder Zweite empfindet sogar „große Lebensfreude”. Doch was genau ist das Geheimrezept zu Glück und innerer Ausgeglichenheit? Quelle: PR
Geld ist es auf jeden Fall nicht. Die Binsenweisheit, dass Geld nicht glücklich macht, hat sich die Mehrzahl der Deutschen tatsächlich zu Herzen genommen: 76 Prozent der Deutschen mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1000 Euro bezeichnen sich als lebensfroh. Quelle: PR
Naheliegend und doch noch nicht bei allen angekommen: Wer den Partner mit seinen Macken akzeptiert, hat mehr vom Leben. Vor allem die Lebensfrohen (84 Prozent) schwören auf Toleranz für dauerhafte Liebe. Das hat das Forsa-Institut in Zusammenarbeit mit dem Coca-Cola Happiness Insitut herausgefunden.Im Bild: Felix von Luxemburg und seine Frau Claire Lademacher nach ihrer standesamtlichen Trauung im September. Quelle: dpa
Glück geht durch den Magen – besonders im Familienkreis: Mit der Familie kochen und essen gilt als Garant für ein gutes Lebensgefühl. Mehr als die Hälfte der Deutschen (53 Prozent) würde gern noch mehr Zeit für die Familie aufbringen. Das gemeinsame Familienessen ist für 86 Prozent der Befragten Bestandteil eines gelungenen Wochenendes aus. Quelle: dpa
Gesellschaft ist das Zauberwort zum Glück: Die Deutschen lachen am häufigsten zusammen mit Freunden und Bekannten (73 Prozent), mit dem Partner und der Familie (71 Prozent) sowie den Kollegen (48 Prozent). Am liebsten bringen sie andere Menschen zum Lachen (74 Prozent). Quelle: dpa
Probier's mal mit Gelassenheit: Auf Platz eins für ein frohes Familienleben steht „Die Dinge gelassen sehen“ (bei 31 Prozent der Lebensfrohen), gefolgt von der Fähigkeit, das Leben „so zu genießen, wie es kommt“. Auf Platz drei rangieren „Humor“ und „miteinander reden können“. Quelle: dpa
Leben mit persönlicher Leidenschaft: Jeder hat etwas, womit er sich gerne in der Freizeit beschäftigt. Dafür nutzen die Deutschen vor allem den Sonntag: 4,8 Stunden verbringen sie an diesem Tag durchschnittlich mit ihren Hobbys. 94 Prozent von 1068 befragten Deutschen zwischen 14 und 69 Jahren empfinden dabei Lebensfreude. Quelle: PR

Glück soll sich nicht mehr am BIP orientieren

Nach einer Auswertung mit Hilfe unabhängiger Wissenschaftler 2016 sollen die Erkenntnisse in Indikatoren für Lebensqualität münden, an denen sich die Regierung orientieren will. Bis Ende der Legislaturperiode im Jahr 2017 soll dann nach Angaben aus Regierungskreisen in Berlin mit der Umsetzung eines entsprechenden Aktionsplans begonnen werden. Nach ähnlichen Formaten in den vergangenen Jahren wolle die Bundesregierung nach Rezepten für einen Ausgleich zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Wohlergehen der Menschen suchen, hieß es weiter. Nachdem es jahrzehntelang eine Fixierung auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Indikator für Fortschritt und Wohlstand gegeben habe, sei es angesichts von demografischem Wandel, Globalisierung und Digitalisierung Zeit, die politischen Ziele mit den Prioritäten der Menschen abzugleichen.

Den Bürgerdialog hatte sich Schwarz-Rot bereits im Koalitionsvertrag vorgenommen. Wie schwierig das freilich ist, zeigte ein ähnliches Projekt einer Bundestags-Enquete-Kommission in der vergangenen Legislaturperiode: Sie sollte einen neuen Wachstumsbegriff für Deutschland definieren, die Arbeit verpuffte weitgehend.

Der jetzige Anlauf ist allerding höher angesiedelt und wird mit Merkels Medienberaterin Eva Christiansen und Gabriels Planungschef Oliver Schmolke von direkten Vertrauten der Regierungsspitze vorangetrieben. Vor allem Schmolke gilt als Fan des Projekts. „Wir wollen“, sagt er, „eine Gesellschaft, deren Wohlstand sich nicht nur über die Bruttoregistertonnenlogik definiert. Umweltkosten, soziale Teilhabe, Nachhaltigkeit, das sollte doch auch eine Rolle spielen bei der Bewertung der Lebensqualität.“

Ein neuer Glücksindikator als Lösung

Für  Schmolke sieht der Plan so aus: Es gibt eine mögliche kleine und eine mögliche große Lösung. Die kleine: Die Regierung würde künftig einen Bericht zur Lebensqualität vorlegen. Es gäbe einen Pressetermin, Worte des Ministers. Ob die Deutschen zufriedener wären? Man hat so seine Zweifel. Die große Lösung: Der Sachverständigenrat beim Wirtschaftsminister würde mit neuem Schwerpunkt über die Entwicklung der Lebensqualität berichtet. „Damit würden wir klarmachen, unser Begriff von Wohlstand ist breiter aufgestellt und berücksichtigt die Wünsche der Menschen“, sagt der Ministeriale. Am Ende dieser Entwicklung stünde, dass das Bruttoinlandsprodukt als Ausweis von wirtschaftlicher Stärke an Bedeutung verlöre. Ihm würde eine Art Glücksindikator gegenübergestellt.

Welche Berufe glücklich machen
die glücklichsten Menschen arbeiten in Hamburg Quelle: dpa
Die Jobsuchmaschine Indeed hat sich der Zufriedenheit deutscher Arbeitnehmer angenommen und nachgefragt, wer mit seinem Job besonders zufrieden ist. Die glücklichsten Berufe in Deutschland sind demnach eine bunte Mischung aus allen Ausbildungswegen und Hierarchiestufen. So gehören zu den Top 20 der zufriedensten Berufe viele traditionelle Handwerksberufe wie Maurer, Tischler oder Elektriker. Zufrieden sind allerdings auch - entgegen aller Klischees - Lehrer und Krankenschwestern. An der Spitze der Liste stehen Trainer, studentische Hilfskräfte und, wenig überraschend, Geschäftsführer. Laut dem Meinungsforschungsinstituts YouGov sind allgemein nur sieben Prozent der Deutschen wirklich unzufrieden mit ihrem Job, 75 Prozent der Arbeitnehmer macht ihre Arbeit mehrheitlich Spaß. Damit sie sich im Beruf wohl fühlen, brauchen 27 Prozent der Beschäftigten neue Herausforderungen, für 18 Prozent ist ein abwechslungsreicher Arbeitsalltag wichtig, für 15 Prozent bessere Gehaltsaussichten. Immerhin 14 Prozent wollen „etwas Sinnvolles“ für die Gesellschaft tun. Die folgenden Berufe erfüllen diese Kriterien - und machen glücklich. Quelle: Fotolia
Gärtner und Floristen sind zu 87 Prozent glücklich. "Ich arbeite in einer Umgebung, die ich mag, und tue etwas lohnendes und sinnvolles", gaben sogar 89 Prozent von ihnen an. Quelle: Fotolia
Jemand frisiert einen Puppenkopf Quelle: dpa
Männer arbeiten an Toiletten. Quelle: AP
Die ersten Nicht-Handwerker in der Glücksrangliste sind ausgerechnet Marketing- und PR-Leute (75 Prozent). Die Wahrheit steht offenbar nicht in direktem Zusammenhang mit dem Glück. Quelle: Fotolia
Jemand hält einen Glaskolben mit einer Flüssigkeit darin. Quelle: AP

Gesellschaftliche Unterstützung dafür wäre da. Die Gewerkschaften erkannten schon vor Jahren, dass sich mit dem Streben nach Glück auch ihr eigenes Glück steigern lässt. Der DGB hat in den vergangenen Wochen mehr als 4000 Arbeitnehmer nach ihrer Befindlichkeit befragen lassen. Das Ergebnis: ein „Index Gute Arbeit“, der im Herbst erscheinen und die Arbeitsmarktpolitik beeinflussen soll.

Materielle Indikatoren reichen nicht fürs Glück

Auch, wo auf lokaler Ebene ähnliche Modellversuche laufen, ist das Interesse der Deutschen durchaus groß. Etwa in Frankfurt. Dort hat der ehemalige Banker Stefan Bergheim sich auf die Suche nach der Lebenszufriedenheit der Frankfurter gemacht. Bergheim sitzt auch im Beraterstab der Regierung für ihren Bürgerdialog. Sein „Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt erforscht eine zukunftsfähige Wirtschaft, in der das Wohlergehen das Wachstum schlägt. In Frankfurt hat er getestet: Was passiert wenn die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie auf die Realität treffen?

Wo die glücklichsten Menschen wohnen
Platz 30 - BulgarienGleich drei Ränge abwärts ging es für Bulgarien. Die Bulgaren erreichen auf der Skala von 0 ("überhaupt nicht zufrieden") bis 10 ("sehr zufrieden") gerade mal 3,7 Punkte. Damit ist das Land am Schwarzen Meer das Schlusslicht im "Deutsche Post Glücksatlas 2014".
Platz 29 - GriechenlandFür Griechenland ging es im Vergleich zum Vorjahr immerhin einen Platz nach oben. Der Glücks-Index liegt ebenfalls bei 3,7. Quelle: dpa
Platz 28 - PortugalMit einem Lebenszufriedenheitsindex von 3,8 bildet Portugal eines der Schlusslichter des Rankings. Portugiesen, Griechen und Bulgaren sind damit die unglücklichsten Europäer. Quelle: dpa
Platz 27 - RusslandVon Rang 28 auf Rang 27 kletterte Russland empor. Mit einem Wert von 4,2 sind die Russen aber trotzdem immer noch ziemliche unzufrieden. Quelle: dpa
Platz 26 - RumänienIm Vergleich zum Vorjahr ging es für Rumänien um einen Platz nach oben. Der Lebenszufriedenheitsindex liegt bei 4,5.An dieser Stelle überspringen wir einige Plätze und gelangen direkt zu den deutlich zufriedeneren Ländern... Quelle: dpa
Platz 15 - PolenDie Polen erreichen einen Lebenszufriedenheitswert von 6,1 von zehn möglichen Punkten. Quelle: dpa
Platz 14 - TschechienZwei Plätze aufwärts ging es mit der Lebenszufriedenheit der Tschechen: 6,3. Quelle: dpa

Bergheim hat dazu einen etwas sperrig benannten „Lebensqualitätsprozess“ gestartet. Unterschiedliche Interessensgruppen der Stadt haben sich formiert, um gemeinsam ihr Lebensumfeld zu verbessern. Wie definieren die Frankfurter Lebensqualität – und wie lässt sie sich umsetzen, waren die Leitfragen. Erste Antwort: Die Leute wollen mehr Eigenverantwortung als gedacht – der Langzeitarbeitslose das Gefühl, für sich selbst sorgen zu können, der Student die Perspektive, selbstständig leben und arbeiten zu können. Zweite Antwort: die bisherigen, meist materiellen, Indikatoren für Fortschritt und Qualität einer Kommune oder eines Landes reichen nicht.

Die Deutschen haben einfache Wünsche

Wie könnten diese Ergebnisse auf Bundesebene gehoben werden? Die Industrieländer-Organisation OECD hat einen Better-Life-Index mit elf Indikatoren erstellt: Beschäftigung, Bildung, Gesundheit, Einkommen, Gemeinsinn, Lebenszufriedenheit, Sicherheit, Umwelt, Wohnverhältnisse, Work-Life-Balance und Zivilengagement stehen darauf. Länder, die künftig Wohlstand schaffen wollen, sollen bei allen Gesetzen diese Punkte beachten, findet die OECD. Als Beleg für ihre These, dass Politik in diesen Bereichen Glück fördern kann, führt die Organisation viele Politikbeispiele aus ihren Mitgliedsländern an: In Großbritannien loben die Forscher die aktivierende Arbeitsmarktpolitik, die die Langzeitarbeitslosigkeit gesenkt habe. Die Schweiz schneidet wegen ihrer direktdemokratischen Elemente gut ab.

In Deutschland sind die Vorstellungen derzeit noch etwas blumiger: „Was Menschen wichtig ist, muss Auftrag für unsere Politik sein“, umschreibt Merkel in einer Broschüre den Hintergrund der Gesprächsreihe. Gabriel ergänzt: „Ob gute Arbeit, Gesundheit oder Familie, Freunde und Zusammenhalt: Wir suchen die Debatte darüber, was wirklich zählt.“ Und die Deutschen selbst? Die träumen ohnehin eher von unspektakulärem, wie eine Studie des GfK-Vereins vor wenigen Wochen ergab. Ihre Wünsche für ein glückliches Leben: Gesundheit, Freunde, materielle Absicherung.

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