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Bürgerdialog Gut leben mit Merkel

Deutschland anno 2015: eine glückliche Republik. Und die Bundesregierung möchte wissen, wie wir noch glücklicher werden können. Wie nett. Ein Ortstermin.

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Welche Berufe glücklich machen
die glücklichsten Menschen arbeiten in Hamburg Quelle: dpa
Die Jobsuchmaschine Indeed hat sich der Zufriedenheit deutscher Arbeitnehmer angenommen und nachgefragt, wer mit seinem Job besonders zufrieden ist. Die glücklichsten Berufe in Deutschland sind demnach eine bunte Mischung aus allen Ausbildungswegen und Hierarchiestufen. So gehören zu den Top 20 der zufriedensten Berufe viele traditionelle Handwerksberufe wie Maurer, Tischler oder Elektriker. Zufrieden sind allerdings auch - entgegen aller Klischees - Lehrer und Krankenschwestern. An der Spitze der Liste stehen Trainer, studentische Hilfskräfte und, wenig überraschend, Geschäftsführer. Laut dem Meinungsforschungsinstituts YouGov sind allgemein nur sieben Prozent der Deutschen wirklich unzufrieden mit ihrem Job, 75 Prozent der Arbeitnehmer macht ihre Arbeit mehrheitlich Spaß. Damit sie sich im Beruf wohl fühlen, brauchen 27 Prozent der Beschäftigten neue Herausforderungen, für 18 Prozent ist ein abwechslungsreicher Arbeitsalltag wichtig, für 15 Prozent bessere Gehaltsaussichten. Immerhin 14 Prozent wollen „etwas Sinnvolles“ für die Gesellschaft tun. Die folgenden Berufe erfüllen diese Kriterien - und machen glücklich. Quelle: Fotolia
Gärtner und Floristen sind zu 87 Prozent glücklich. "Ich arbeite in einer Umgebung, die ich mag, und tue etwas lohnendes und sinnvolles", gaben sogar 89 Prozent von ihnen an. Quelle: Fotolia
Jemand frisiert einen Puppenkopf Quelle: dpa
Männer arbeiten an Toiletten. Quelle: AP
Die ersten Nicht-Handwerker in der Glücksrangliste sind ausgerechnet Marketing- und PR-Leute (75 Prozent). Die Wahrheit steht offenbar nicht in direktem Zusammenhang mit dem Glück. Quelle: Fotolia
Jemand hält einen Glaskolben mit einer Flüssigkeit darin. Quelle: AP

Um ein Gefühl für das Jahr 2015 zu bekommen, sollte man sich gedanklich ein Jahrzehnt zurückversetzen. Zehn Jahre klingt nicht nach viel, aber Deutschland 2005, das war eine Republik, die uns heute – politisch und wirtschaftlich -  so überholt, so historisch vorkommt wie Birne-Karikaturen von Helmut Kohl. Es war das Land, durch das erst noch ein Ruck gehen musste, mit einer rot-grünen Bundesregierung, die Neuwahlen ausrief, die ein alarmistischer Bundespräsident namens Horst Köhler apokalyptisch raunend bestätigen sollte.

2005 war die hohe Arbeitslosigkeit ein Thema, es gab Montagsdemos gegen die Hartz-Reformen und das süße, unverbrauchte Fußballerduo Poldi und Schweini hatte noch nicht einmal ein Sommermärchen erlebt. Das Unwort des Jahres lautete „Entlassungsproduktivität“.

Das Wort desselben Jahres, ganz nebenbei, war: „Bundeskanzlerin“. Heute kann man sich bei Angela Merkel gar nicht mehr recht vorstellen, dass sie einst nur mit Ach und Krach ins Amt kam. Dass sie sich die Kanzlerschaft erst aus dem Wolfsmaul Gerhard Schröders reißen musste, der es nicht hergeben wollte.

Diese Frau also, deren Verhältnis zu ihren Bürgern man heute fast als zärtlich, mindestens aber als herzlich zugeneigt bezeichnen muss, steht anno 2015 in einem hübsch ausgeleuchteten Veranstaltungssaal der nicht minder hübschen Kulturbrauerei im noch viel hübscher durchsanierten Berlin-Prenzlauer Berg inmitten von sechzig herzlichst zugeneigten Bürgern und sagt: „Ich möchte hören, was Ihnen wichtig ist.“

Wie nett. Man muss diese Frau einfach mögen. Und dieses Land? Ist ganz zufrieden mit sich, im Reinen, geradezu seelisch in Watte gepackt.

In Deutschland ist alles ziemlich in Ordnung

Bürgerdialog. Regierungsstrategie „Gut leben“. Für solche Projekte sind 2015 Muße, Sinn und Zeit vorhanden. Da draußen in der Welt steht vielleicht der Euro auf der Kippe und die Weltkonjunktur hat Husten, aber drinnen ist eigentlich ziemlich vieles in Ordnung. Politik als Feinjustierung des Glücks, verbunden mit der Erkenntnis, dass Selbstverständliches wie der Kontakt von Volk und Volksvertretern Event-inszeniert werden kann wie eine kleine Sensation.

In rund anderthalb Stunden spricht Angela Merkel bei dieser Begegnung über soziale Ungleichheit und Mütterrente, über Zuwanderung und Asyl, Adoption und künstliche Befruchtung, private Krankenkassen und einen Mangel an Feuerwehrautos in Oberfranken. Sie kann über Details bei der Angleichung von Ost- und Westrenten ebenso präzise räsonieren wie über das Für und Wider von Pflegeelternschaft. Nicht eine Sekunde wirkt es so, als würde Merkel sich eigentlich lieber auf ihren Nachmittagstermin mit einem gewissen Francois Hollande vorbereiten.

Eigentlich sollen bei den Bürgerdialogen die Gäste schildern, was aus ihrer Sicht ein gutes Leben ist. Die Ergebnisse möchte die Bundesregierung später wissenschaftlich aufbereiten lassen. „Ich will ja wissen, was Sie wollen“, „Ich nehme mit“, das sind Formulierungen, die Merkel häufiger verwendet an diesem Nachmittag. Aber die Formate mit der Kanzlerin selbst sind dann natürlich doch eher Bürgerfragestunden – übertragen von Phoenix.

Hängen bleibt dabei vor allem das Bild einer Kanzlerin, deren häufig beklagter Mangel an Führung und Überzeugung womöglich nichts anderes ist als die Lust, Optionen zu haben und Alternativen bis in die letzte Verästelung zu durchdenken. In einer Welt, die eben keine Bastas mehr kennt und keine Weltformel, sondern nur zweitbeste Lösungen, Kompromisse, kleine Schritte.

Gegen Ende bekennt ein aus den Niederlanden stammender Gast, er fühle sich in Deutschland „saugut“, Merkel sei sehr populär in seiner Heimat, wie denn die Kanzlerin mit der vielen Kritik umgehe, die sie gerade in der Europapolitik ertragen müsse? „Mir geht’s nicht schlecht“, antwortet sie. Auf Merkeldeutsch heißt das so viel wie: Danke der Nachfrage, ging nie besser.

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