Bürgerproteste Herr Volkszorn

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Der Weg von Heinz in das Geschäft mit dem Protest beginnt im Ort Lüdinghausen, ein halbe Stunde nördlich des Ruhrgebiets. Hier hat er den idyllischen Teil seines Lebens verbracht. Vor dem Wochenendhaus der Eltern spielte er an der Stever, einem Nebenarm der Lippe, die sich in beschaulichen Biegungen durch die Landschaft zieht. Als Heinz neun Jahre alt war, kamen die Bagger. Aus den Biegungen wurde eine Gerade, aus dem Schilf am Ufer die pflegeleichte Betonrinne. "Das Geld für den Umbau war lange zuvor bewilligt worden", erinnert sich Heinz, "obwohl der Bau längst überflüssig war, wurde er umgesetzt, man wollte die Mittel nicht verfallen lassen."

Das war für ihn ein Schlüsselerlebnis. Heute verspürt der Anwalt eine Art von Berufung, Widerständler zu unterstützen und die Fehlbarkeit von Verwaltungsakten nachzuweisen. Dass bei manchen Klägern und Projektgegnern die Sorge um den Wert der eigenen Scholle im Mittelpunkt steht, nimmt er hin. Als E.On in Datteln ein Kohlekraftwerk plante, war es zunächst nur eine benachbarte Bauernfamilie, die sich dagegen wehrte.

Heinz kam zu dem Schluss, dass die örtliche Verwaltung gegen das Planungsrecht verstoßen hatte, um die Großinvestition zu ermöglichen. Abstandsregeln waren nicht eingehalten, Grenzwertüberschreitungen gezielt kleingerechnet oder zurückgehalten worden. Heinz: "Sobald das klar war, wurde aus der einzelnen Familie eine ganze Bewegung."

Ohne Überzeugung geht es nicht

Schon als Schüler war der heutige Protestanwalt unbequem. An seinem Göttinger Gymnasium kämpfte er für wiederverwertbares Material; gemeinsam mit Freunden organisierte er eine Kampagne gegen die Aluverpackung, aus der bald eine bundesweite Aktion wurde. Bei Castortransporten und Protesten gegen das nahe Zwischenlager Schacht Konrad stählte er seine Protestkompetenz. Mitte der Neunzigerjahre war er dann Mitbegründer der Anti-Globalisierungsorganisation Attac.

Aus dieser Zeit verfügt Heinz über ein ausgezeichnetes Netzwerk in der Protest- und Ökoszene, viele seiner alten Bekannten sitzen heute in Parlamenten oder arbeiten bei Umweltverbänden. Der Naturschutzbund (Nabu) oder der Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) empfiehlt Heinz, wenn sich aufgebrachte Bürger an sie wenden und nach Experten fragen. In erster Linie aber sind es direkte Empfehlungen, die Heinz zu neuer Kundschaft verhelfen. "Wer eine Bürgerinitiative gründet, sucht oft Rat bei anderen, die erfolgreich waren", sagt Heinz, der insbesondere von der bundesweiten Resonanz auf den Fall Datteln profitiert.

Allerdings: "Meine Mandanten erwarten oft ein großes ehrenamtliches Engagement." In frühen Projektphasen geht es oft um die Unterstützung beim Aufbau des Protests, Heinz hat darin eine gewisse Erfahrung nach fast zwei Jahrzehnten im Geschäft. "Oft bildet sich der Protest erst, wenn die Planvorlage im Feststellungsverfahren vorliegt", so Heinz. Den Bürgern bleiben dann sechs Wochen, um Einwände vorzubringen, eine kurze Spanne, wenn zugleich eine Organisationsstruktur aufgebaut werden will und zentnerweise Akten zur Durchsicht anstehen.

Für Heinz bedeutet das am Anfang: viele unbezahlte Überstunden. "Dafür muss man von der Sache überzeugt sein", sagt der Anwalt. Und manchmal auch das Gefühl bekommen, mit seinen Positionen nicht nur Prozesse gewinnen zu können, sondern schlichtweg richtig zu liegen.

So wie in Lüdinghausen: Rund 25 Jahre nach der umstrittenen Begradigung beginnt man jetzt, die Stever wieder zu renaturieren.

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