Bürgerproteste Herr Volkszorn

Der Berliner Anwalt Philipp Heinz verdient Geld, wenn Bürger gegen Bauprojekte vor ihrer Haustür rebellieren. Nicht erst seit der Energiewende ist das ein gutes Geschäft.

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Umweltanwalt Philipp Heinz Quelle: Hans Scherhaufer für WirtschaftsWoche

Der Ursprung des Erfolges von Philipp Heinz ist eine schnurgerade Betonrinne, durch die kilometerlang ein Bächlein fließt. Links und rechts wird sie von gartenzaunhohen Erdwällen flankiert, einheitlich begrünt, Betreten verboten. Die Rinne ist für ihn Erweckungserlebnis und Bestätigung zugleich.

Heinz ist 37 Jahre alt, von seinem Büro in Berlin blickt er auf den edlen Kürfürstendamm, die mächtige Wirtschaftskanzlei White & Case hat ihren Sitz nur ein paar Meter weiter. Sein Haar ist unaufgeräumt, der Parkettboden dagegen glänzt wie frisch gebohnert. Eine Wagenfeld-Leuchte krönt den antiken Holztisch. Heinz trägt den Anzug ohne Krawatte; seine leicht nachlässige Erscheinung erinnert in der noblen Umgebung an einen erfolgreichen Erfinder, der es nicht nötig hat, seine Dazugehörigkeit zum Establishment zu demonstrieren. Wenn er die mächtige Flügeltür zum Besprechungsraum öffnet, wird auch so klar, dass er mittendrin ist, dass seine Stimme Gewicht hat.

Unangenehme Energieversorgung der Zukunft

Heinz ist einer der einflussreichsten Anwälte des Landes, wenn es um die Verhinderung von Großinvestitionen geht. Im westfälischen Datteln hat er im Auftrag einer Bauernfamilie gegen den Stromkonzern E.On geklagt – und den Weiterbau des dort geplanten Kohlekraftwerks vorerst verhindert. In Berlin vertritt er ganze Stadtteile im Streit um die Flugrouten am neuen Airport in Schönefeld. In der Uckermark kämpft er gegen neue Stromtrassen, im Südschwarzwald gegen den 1,2 Milliarden Euro teuren Bau des größten Pumpspeicherkraftwerks der Republik, das künftig regenerativ erzeugten Strom zwischenlagern soll. Wo Staat und Bürger sich in die Haare kommen, da ist Heinz mittendrin. Und das passiert in letzter Zeit immer häufiger. Wer wissen will, wie die Protestkultur in Deutschland tickt, der kann Heinz fragen.

Der Mann könnte so zu einer zentralen Figur bei den energiepolitischen Auseinandersetzungen der nächsten Jahre werden. Ob Windrad, Biogasanlage, Geothermiebohrung oder Stromtrasse: Die Energieversorgung von morgen macht Geräusche, stinkt gelegentlich, sieht meist hässlich aus – und findet vor jedermanns Haustür statt.

Wer das partout nicht hinnehmen will, landet bei Heinz und einem knappen Dutzend seiner Kollegen. Mehr sind es nicht, die den Markt für umweltrechtliche Streitigkeiten unter sich aufgeteilt haben; die Internet-Seite umweltanwaelte.de liest sich wie ein Verzeichnis von Kartellbrüdern. Doch während das Kartell Konsumentenrenten abschöpft, kümmern die Umweltanwälte sich um die, denen sonst keiner helfen würde, zumindest sieht Heinz das so. "Wer als Anwalt viel Geld verdienen will, sollte sich ein anderes Betätigungsfeld suchen", sagt er.

Es stimmt zwar, dass die großen Streitwerte hier nicht verteilt werden, es oft gar nicht erst zum Prozess kommt. Doch gerade weil Profis in der Szene selten sind, können sich die Saläre sehen lassen. Für ein Rechtsgutachten, das Landesministerien oder Großkonzerne beeindrucken soll, legen Bürgerinitiativen weit über 50 000 Euro hin.

Der Weg von Heinz in das Geschäft mit dem Protest beginnt im Ort Lüdinghausen, ein halbe Stunde nördlich des Ruhrgebiets. Hier hat er den idyllischen Teil seines Lebens verbracht. Vor dem Wochenendhaus der Eltern spielte er an der Stever, einem Nebenarm der Lippe, die sich in beschaulichen Biegungen durch die Landschaft zieht. Als Heinz neun Jahre alt war, kamen die Bagger. Aus den Biegungen wurde eine Gerade, aus dem Schilf am Ufer die pflegeleichte Betonrinne. "Das Geld für den Umbau war lange zuvor bewilligt worden", erinnert sich Heinz, "obwohl der Bau längst überflüssig war, wurde er umgesetzt, man wollte die Mittel nicht verfallen lassen."

Das war für ihn ein Schlüsselerlebnis. Heute verspürt der Anwalt eine Art von Berufung, Widerständler zu unterstützen und die Fehlbarkeit von Verwaltungsakten nachzuweisen. Dass bei manchen Klägern und Projektgegnern die Sorge um den Wert der eigenen Scholle im Mittelpunkt steht, nimmt er hin. Als E.On in Datteln ein Kohlekraftwerk plante, war es zunächst nur eine benachbarte Bauernfamilie, die sich dagegen wehrte.

Heinz kam zu dem Schluss, dass die örtliche Verwaltung gegen das Planungsrecht verstoßen hatte, um die Großinvestition zu ermöglichen. Abstandsregeln waren nicht eingehalten, Grenzwertüberschreitungen gezielt kleingerechnet oder zurückgehalten worden. Heinz: "Sobald das klar war, wurde aus der einzelnen Familie eine ganze Bewegung."

Ohne Überzeugung geht es nicht

Schon als Schüler war der heutige Protestanwalt unbequem. An seinem Göttinger Gymnasium kämpfte er für wiederverwertbares Material; gemeinsam mit Freunden organisierte er eine Kampagne gegen die Aluverpackung, aus der bald eine bundesweite Aktion wurde. Bei Castortransporten und Protesten gegen das nahe Zwischenlager Schacht Konrad stählte er seine Protestkompetenz. Mitte der Neunzigerjahre war er dann Mitbegründer der Anti-Globalisierungsorganisation Attac.

Aus dieser Zeit verfügt Heinz über ein ausgezeichnetes Netzwerk in der Protest- und Ökoszene, viele seiner alten Bekannten sitzen heute in Parlamenten oder arbeiten bei Umweltverbänden. Der Naturschutzbund (Nabu) oder der Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) empfiehlt Heinz, wenn sich aufgebrachte Bürger an sie wenden und nach Experten fragen. In erster Linie aber sind es direkte Empfehlungen, die Heinz zu neuer Kundschaft verhelfen. "Wer eine Bürgerinitiative gründet, sucht oft Rat bei anderen, die erfolgreich waren", sagt Heinz, der insbesondere von der bundesweiten Resonanz auf den Fall Datteln profitiert.

Allerdings: "Meine Mandanten erwarten oft ein großes ehrenamtliches Engagement." In frühen Projektphasen geht es oft um die Unterstützung beim Aufbau des Protests, Heinz hat darin eine gewisse Erfahrung nach fast zwei Jahrzehnten im Geschäft. "Oft bildet sich der Protest erst, wenn die Planvorlage im Feststellungsverfahren vorliegt", so Heinz. Den Bürgern bleiben dann sechs Wochen, um Einwände vorzubringen, eine kurze Spanne, wenn zugleich eine Organisationsstruktur aufgebaut werden will und zentnerweise Akten zur Durchsicht anstehen.

Für Heinz bedeutet das am Anfang: viele unbezahlte Überstunden. "Dafür muss man von der Sache überzeugt sein", sagt der Anwalt. Und manchmal auch das Gefühl bekommen, mit seinen Positionen nicht nur Prozesse gewinnen zu können, sondern schlichtweg richtig zu liegen.

So wie in Lüdinghausen: Rund 25 Jahre nach der umstrittenen Begradigung beginnt man jetzt, die Stever wieder zu renaturieren.

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