Bürokratie Wie eine kleine Metzgerei in die Mühlen des Lieferkettengesetzes geriet

Am Ende der Lieferkette: Der Metzger muss künftig nicht nur wissen, wo sein Fleisch herkommt, sondern auch, wie es um die Work-Life-Balance der Bauern und Schlachthofarbeiter steht. Quelle: dpa

Die Feinkost Metzgerei Stephan in Ingelheim würde sich gern auf ihr Geschäft konzentrieren: Herstellung und Verkauf von Fleisch und Wurst. Wenn man sie nur ließe. Eine Horrorgeschichte darüber, wie staatliche Regulierung von ganz oben durchsickert, bis hinter jede Fleischtheke.

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Vor zwei Wochen haben wir hier über den Vorstoß der EU berichtet, die Unternehmen künftig zwingen will, die Work-Life-Balance aller ihrer Beschäftigten und der Unternehmen in ihrer Lieferkette zu kontrollieren. Viele, die unter immer mehr Auskunfts- und Dokumentationspflichten leiden, haben sich daraufhin bei der Redaktion gemeldet, einige erzählten ihre Geschichte. Der Ehemann einer Metzgereibesitzerin etwa, von der noch die Rede sein wird. Und ein Bauunternehmer: „Vor 15 Jahren, als ich anfing, selbstständig zu sein, war ich vier von fünf Tagen auf der Baustelle und habe die Produktivität gespürt. Heute bin ich vier von fünf Tagen im Büro und mache irgendwelche Büroarbeiten, die es früher nicht gegeben hat.“

Der Bauunternehmer wird bald noch mehr zu tun bekommen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), berichtet der Anwalt Christoph Seibt von der Kanzlei Freshfields in einem Gastbeitrag für die „Börsen-Zeitung“, hat bereits viele große Unternehmen gefragt, welche Vorkehrungen sie getroffen haben, um ihren Pflichten nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) nachzukommen. Zum Beispiel könnten sie ein „LkSG-Komitee“ ernennen, oder einen „Menschenrechtsbeauftragten“.

Um das wiederum zu kontrollieren, werden fleißig weitere Beamten-Planstellen geschaffen. Bis zum Sommer sollen im Bafa drei Referate mit insgesamt 100 Stellen für die Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz-Aufsicht zur Verfügung stehen. Ein Witz ist das alles nicht: Wer nicht spurt, zahlt Zwangsgelder.

Berlin und Brüssel versprechen Bürokratieabbau, tatsächlich passiert das Gegenteil. Jüngstes Beispiel: Die Berichtspflicht zur Work-Life-Balance. Wie viel Zeit bleibt uns noch für produktive Arbeit? Ein Kommentar.
von Hauke Reimer

Bisher treffen diese Maßnahmen vor allem große Unternehmen. Doch weil diese alle Lieferanten kontrollieren müssen, geben sie den Druck nach unten weiter. An die Feinkost Metzgerei Stephan in Ingelheim am Rhein etwa. Der Handwerksbetrieb beliefert regelmäßig ein Großunternehmen mit mehreren Zehntausend Beschäftigten mit Fingerfood und Schnittchen. Jetzt schickte das Großunternehmen, dessen Namen wir hier vornehm verschweigen, der Metzgerei-Inhaberin seine „Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit“.

Unterschreiben oder Du bist raus

Wenn die Metzgerei-Inhaberin nicht unterschreibt, darf sie keine Schnittchen mehr liefern. Unter anderem wird sie in dem fünfseitigen Brief dazu verpflichtet, einen Mechanismus für Beschwerdeverfahren für Beschäftigte zu installieren. Zudem ist „Abwasser aus Betriebsabläufen, Fertigungsprozessen und sanitären Anlagen vor der Einleitung oder Entsorgung zu typisieren, zu überwachen, zu überprüfen und bei Bedarf zu behandeln,“ heißt es weiter. Das Gleiche gilt für Luft-, Lärm-, und Treibhausgasemissionen. „Der Energieverbrauch ist zu überwachen und zu dokumentieren.“



Die Metzgerei soll auch Risiken innerhalb ihrer Lieferkette „identifizieren sowie angemessene Maßnahmen ergreifen“. Einmal jährlich soll in einem Audit überprüft werden, ob die Metzger all das installiert, kontrolliert, überwacht und dokumentiert haben. Geht das Audit negativ aus, war´s das mit Schnittchen und Hackfleischbällchen.

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„Allein zur Einhaltung und Umsetzung der Rahmenbedingungen müsste meine Frau einen verantwortlichen Mitarbeiter einstellen, denn das ist mit der gegenwärtigen Personaldecke nicht zusätzlich zu schultern, will man nicht den eigentlichen Zweck des Unternehmens – Herstellung und Verkauf von Fleisch und Wurstwaren – erheblich beeinträchtigen,“ schreibt mir der Ehemann der Metzgerei-Besitzerin. Hinzu käme womöglich auch noch ein Datenschutz- und ein Antikorruptionsbeauftragter. Das alles für einen Betrieb mit 25 Beschäftigten, der einfach nur seine Wurst verkaufen will. „Ich glaube, die Absurdität dieser ganzen Reguliererei liegt auf der Hand,“ zürnt der Ehemann. Und fürchtet doch, dass der Weckruf in Brüssel und Berlin ungehört verhallen wird.

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