Herbst 2012? Irgendwann 2013? Oder doch erst 2014? Chaos auf der Flughafenbaustelle Berlin-Brandenburg: die Planung desaströs, die Verzögerungen immens, die Eröffnung ungewiss. Deutschlands derzeit größtes Verkehrsinfrastrukturprojekt wirkt drei Nummern zu groß für die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg.
Der steinige Weg zum Hauptstadtflughafen
Gründung der Berlin Brandenburg Flughafen Holding (BBF). Gesellschafter sind die Länder Berlin und Brandenburg.
Beginn der Planungen für den Flughafen mit dem Projektnamen Berlin Brandenburg International, BBI.
Der Ausbau des Flughafens Schönefeld sowie die Schließung der Flughäfen Tegel und Tempelhof werden beschlossen.
Das Genehmigungsverfahren für den BBI wird mit dem Planfeststellungsbeschluss abgeschlossen.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhängt im Eilverfahren einen weitgehenden Baustopp. Bis zum Urteil sind nur Bauvorbereitungen gestattet.
Das Gericht genehmigt in letzter Instanz den Bau des BBI unter verschärften Lärmschutzauflagen.
Erster Spatenstich für das Flughafen-Terminal.
Nach 85 Jahren schließt der Flughafen Tempelhof.
Das Brandenburger Verkehrsministerium erlässt eine neue Nachtflugregelung: Keine Starts und Landungen von Mitternacht bis 5.00 Uhr, Ausnahme Post- und Regierungsmaschinen, Notfälle. In den Randzeiten davor und danach ist die Zahl begrenzt.
Unter anderem wegen der Pleite einer Planungsfirma wird die Eröffnung von November 2011 auf den 3. Juni 2012 verschoben.
Die Deutsche Flugsicherung legt einen ersten Flugrouten-Vorschlag vor. Tausende Betroffene gehen dagegen auf die Straße. Es gibt neue Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss.
Das Bundesverwaltungsgericht gibt grünes Licht für nächtliche Flüge in den Randzeiten. Der Airport kann ohne weitere Einschränkungen an den Start gehen.
Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung legt die Flugrouten fest und folgt im wesentlichen einem Vorschlag der Fluglärmkommission aus Gemeinde- und Airline-Vertretern.
Vier Wochen vor dem Termin wird wegen Problemen mit der Brandschutzanlage die Eröffnung des Flughafens erneut abgesagt. Später wird Chef-Planer Manfred Körtgen entlassen.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg spricht den Anwohnern das Recht auf besseren Schallschutz zu.
Der Aufsichtsrat entscheidet, den neuen Starttermin 17. März erneut zu überprüfen und am 16. August darüber zu entscheiden.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig weist die Klage von Anwohnern ab, das Genehmigungsverfahren für den neuen Hauptstadtflughafen neu aufzurollen. Jetzt steht der Eröffnung des Airports zumindest juristisch nichts mehr im Weg.
Sitzung des Aufsichtsrats der Flughafengesellschaft. Der Aufsichtsrat lässt den Eröffnungstermin weiter offen. Damit sind auch die Mehrkosten und deren Finanzierung noch nicht abschließend geklärt. Fest steht, dass Bund und Länder Gelder zuschießen müssen. Beim Schallschutz für Anwohner wird nachgebessert.
Der Aufsichtsrat will den Eröffnungstermin endgültig festlegen. Der bisherige dritte Termin am 17. März 2013 steht seit langem wieder zur Disposition.
Doch trotz Flughafendebakel führt Brandenburg wie schon in den vergangenen beiden Jahren den Dynamik-Vergleich des Bundesländer-Rankings an. Das heißt konkret: das von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) geführte Bundesland hat seine ökonomischen Kennziffern zwischen 2008 und 2011 so stark verbessert wie kein anderes. Dabei zeichnet hohe Dynamik auch die restlichen Ostländer aus: Sachsen, Berlin, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern folgen auf den Rängen zwei bis fünf. Nur Niedersachsen schiebt sich diesmal vor Sachsen-Anhalt, das auf Platz sieben landet.
„Die erneute Verzögerung ist schlecht fürs Image Brandenburgs“, sagt Michael Bahrke vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das das Ranking wissenschaftlich betreut. Dies habe aber „keinen Einfluss auf die Investitionen – die sind bereits geflossen“. Rund um den neuen Flughafen haben sich zahlreiche Unternehmen angesiedelt, das Großprojekt schafft Beschäftigung. Die Arbeitsplatzversorgung stieg in Brandenburg 2011 im Vergleich zu 2008 mit 4,7 Prozentpunkten bundesweit am meisten, die Arbeitslosenquote sank um 2,2 Punkte.
Speckgürtel-Effekt
So zehrt ganz Brandenburg vom Speckgürtel rund um die Hauptstadt. In Potsdam etwa liegt die Arbeitslosenquote im August 2012 laut Bundesagentur für Arbeit mit 7,7 Prozent wenig über dem Bundesdurchschnitt von 6,8 Prozent. Doch außerhalb der boomenden Hauptstadtregion, in der Peripherie Brandenburgs, herrscht zum Teil tote Hose: die Region Uckermark beklagt den bundesweit höchsten Arbeitslosenanteil von aktuell 15,3 Prozent, praktisch doppelt so viel wie in Potsdam. Andere Regionen wie die Lausitz oder die Pignitz entvölkern – mit drastischen Folgen für die Zurückgebliebenen: Schulen schließen, die notärztliche Versorgung wird lückenhaft, die Kanalisation droht zusammenzubrechen.
Berlin, immerhin in der Dynamik auf Rang drei, bildet das Schlusslicht im Niveau-Ranking. Mitverantwortlich dafür: Kein anderes Bundesland übertrifft die Berliner Arbeitslosenquote (13,3 Prozent im Jahresdurchschnitt 2011), nirgendwo sonst werden so viele Straftaten begangen und gibt es so wenig Ausbildungsplätze. Dennoch zieht die Hauptstadt (nach Hamburg) die meisten Neu-Einwohner an und versammelt mit 15,2 Prozent bundesweit die meisten hoch Qualifizierten. „In Berlin gibt es kaum Industrie, deswegen ist die Produktivität niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch“, erklärt Jutta Günther vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). „Andererseits ist die Hauptstadt einfach hip und zieht wegen der guten Universitäten viele Studenten und Wissenschaftler an. Außer in der Dienstleistungsbranche oder Administration finden aber nur wenige Absolventen einen Job.“
Berlin und die neuen Bundesländer führen das Dynamik-Ranking zwar schon seit Jahren an. Doch die Erklärung, die IW-Experte Bahrke dafür findet, klingt ernüchternd: „Eine schlechte Ausgangslage lässt sich leicht verbessern, noch dazu mit Fördermitteln von Bund und EU.“ So haben sich Sachsen und Thüringen auch im Niveau-Ranking kräftig gemausert und konnten in diesem Jahr ein West-Bundesland überholen – wenn auch nur Bremen. Richtig gut schneiden Sachsen und Thüringen bei der Arbeitsplatzversorgung, der niedrigen öffentlichen und privaten Verschuldung, der Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern und Frauen sowie beim Verhältnis Schüler je Lehrer ab. Dass sämtliche neuen Bundesländer ihre Arbeitsmarktlage verbessern konnten, liegt indes auch an der starken Abwanderung.
Im Schnitt haben sie das Beschäftigungsniveau des Westens noch nicht erreicht. Dies schaffen nur die sächsischen Städte Dresden, Leipzig und Zwickau sowie die thüringische Städte-Kette um Jena, Erfurt und Weimar. Woran das liegt? Sachsen und Thüringen haben traditionell die höchste Industriedichte der neuen Bundesländer, und in den Wirtschaftszentren dieser beiden Länder sorgen branchenübergreifend stabile mittelständische Unternehmen für gute Jobs.
Letzte Plätze
Doch trotz aller Fortschritte teilen sich Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Berlin im Niveau-Ranking unverändert die letzten Plätze. Das heißt: Im Vergleich der bislang erreichten aktuellen ökonomischen Schlüsselwerte haben diese Ostländer noch einen enormen Nachholbedarf. Neben der anhaltend hohen Abwanderung plagen die neuen Bundesländer Strukturprobleme. Es gibt weder international tätige Großunternehmen noch bedeutende Headquarter. Die meisten Mittel- und Kleinbetriebe im Osten wirtschaften zwar solide, können aber keine vergleichbare Arbeitsproduktivität, Exportquote oder Forschungstätigkeit erreichen wie ihre Konkurrenten im Westen.
Konsequenz: Das verfügbare Einkommen und die Konsumkaufkraft der Ostdeutschen hinken hinter dem Westniveau her. Und schnelle Besserung ist nicht in Sicht: „Die kleinteilige Struktur der Wirtschaft ist unter anderem bedingt durch die Privatisierungspraxis nach der Wende und kann sich nur langsam wandeln – eine Angleichung der Produktivität zwischen Ost und West wird noch Generationen dauern“, schätzt IWH-Ökonomin Jutta Günther.
Die Zeit spielt gegen die neuen Bundesländer, viele derzeit lockende Standortvorteile sind bald hinfällig: Förderungen aus dem europäischen Strukturfonds laufen Ende 2013 aus, die Ausgleichszahlungen aus dem Solidarpakt II schmelzen dahin und werden 2020 ganz versiegen. Und für das Hauptproblem der neuen Bundesländer, die gespaltene Entwicklung, gibt es bisher keine Lösung: Während einige Städte boomen, bluten andere aus, verödet die Peripherie. Die erwerbstätige Bevölkerung ist laut IW seit der Wende in den neuen Bundesländern stellenweise um ein Drittel geschrumpft.
Hat IW-Experte Bahrke recht, müssen die Politiker im Osten um jeden Einwohner im arbeitsfähigen Alter kämpfen: „Die Abwanderung gefährdet die Entwicklungserfolge der neuen Bundesländer: Bis auf wenige städtische Zentren stirbt der Rest aus“, lautet seine Prognose. „Dass sich der Osten in den nächsten Jahren auch nur auf ein mittleres Westniveau annähern kann, ist zweifelhaft.“