Locker und die Lacher auf ihrer Seite – so plauderte Katrin Göring-Eckardt im Berliner Gorki-Theater vor einem überwiegend weiblichen Publikum. Ihr erster Eindruck von den Grünen sei abschreckend gewesen. Sie habe Anfang der Neunzigerjahre auf dem Fuße kehrt gemacht: „Da saßen ein paar Männer herum und diskutierten, ob man Wahlplakate wirklich mit Nägeln in unschuldige Bäume hauen darf.“
Längst haben die Ökopartei und ihre Spitzenkandidatin zueinander gefunden. Die Grünen-Wähler sind bürgerlich geworden und bewegt geblieben, ihre Partei liegt stabil um die 15 Prozent. Nur die Schwäche des Wunschpartners SPD schmälert nach eigener Lesart die Aussicht aufs Regieren.
Eine wachsende Minderheit in der Ökopartei aber meckert: Auf mehr als 100 Seiten Programm zur Bundestagswahl – über das der Parteitag nun diskutiert – empfehle man sich als Opposition, weniger fürs Regieren. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann will denn auch ungeachtet aller Papiere im Wahlkampf einen deutlich wirtschaftsfreundlichen Kurs einschlagen.
Die Kritik geht auch an die bald 47-jährige Göring-Eckardt. Die einstige Kämpferin für die Hartz-Arbeitsmarktreformen hat sich zur mitfühlenden Sozialpolitikerin gewandelt und fordert nun viel mehr statt wie früher weniger Staat. Damit passt sie zum Spitzenmann Jürgen Trittin. Der 58-Jährige verlangt Konjunkturstützen gegen den schwachen Euro, Steuererhöhungen und strenge Regeln für Banken.
Erfolgreiche Eigenheiten
Dagegen wollen wirtschaftsfreundliche Ökos angehen. Der grüne Oberbürgermeister Tübingens, Boris Palmer, erkennt in seiner Partei „eine Neigung, die Schraube zu überdrehen. Es wird zu wenig Rücksicht auf die Unternehmen und den Arbeitsmarkt genommen.“ Der 40-jährige Palmer, der auch wegen schwarz-grüner Avancen aneckt, weist darauf hin, dass die regierenden Realos in Ländern wie Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein bei Unternehmern einen besseren Eindruck hinterlassen.
Auch die Bayern heben sich ab. „Wir sind es in Baden-Württemberg gewohnt, dass wir wegen unserer Eigenheiten belächelt werden“, gibt Palmer sich offensiv. „Das Land und die Landespartei sind aber sehr erfolgreich.“
Die wichtigsten Streitpunkte der grünen Wirtschaftspolitik
Die Wirtschaftspolitiker trösten sich damit, dass vieles im Programm ohnehin nicht umzusetzen wäre. Der Streit um die richtige Wirtschaftspolitik der Sonnenblumen-Partei dreht sich vor allem um folgende Punkte:
Steuern: Die Grünen wollen die Erbschaftsteuer erhöhen und den Spitzensatz bei der Einkommensteuer von 42 auf 49 Prozent anheben. Zugleich soll das steuerfreie Existenzminimum steigen. Sie würden das Ehegattensplitting abschmelzen, durch eine Kindergrundsicherung ersetzen und Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer streichen.
Vermögen: Auf Privatvermögen ab einer Million Euro soll eine Abgabe eingeführt werden; bei Betriebsvermögen ein Freibetrag von fünf Millionen Euro gelten. Die auf zehn Jahre befristete Abgabe soll Staatsschulden abbauen. Begründung: Der Staat habe Wohlhabende in der Finanzkrise geschützt, nun sollten sich diese an den Kosten beteiligen. Zudem soll in einigen Jahren wieder eine Vermögensteuer her. Die käme auch den Ländern zugute. Vor allem die klammen nördlichen Länder sind wegen der Schuldenbremse auf der Suche nach neue Einnahmequellen.
Soziales: Die Bürgerversicherung für alle soll alle abkassieren. Krankenkassenbeiträge würden auf alle Einkünfte erhoben (also auch auf Miet-, Kapital- oder Pachteinnahmen). Selbstständige sollen in die Rentenversicherung. Eine Garantierente soll gegen Altersarmut schützen: Wer 30 Jahre lang dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stand, würde monatlich 850 Euro erhalten.
Arbeit: Der Hartz-IV-Satz für Alleinstehende soll auf 420 Euro steigen, ein Mindestlohn von 8,50 Euro her. Minijobs und Leiharbeit sollen eingeschränkt, Sanktionen für Langzeitarbeitslose ausgesetzt werden – die Vermittlung müsse erst besser werden.
Das alles halten die Grünen für nötig, weil der Unterschied zwischen Arm und Reich größer werde. Dem Staat fehle Geld. Das ist insofern bemerkenswert, als die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden zwischen 2009 und 2013 von 524 Milliarden Euro auf geschätzt 616 Milliarden Euro kletterten. Ein Rekord.
Unternehmer bezweifeln die Umsetzbarkeit des grünen Programms
Bei den einen ist Fordern passé, bei den anderen ist Überfordern zur Gefahr geworden. Das mag wohlsituierte Grün-Wähler wenig schrecken. Die Partei verspricht nur jenen Entlastung, die weniger als 60 000 Euro im Jahr verdienen, alle anderen zahlen drauf. Nach Umfragen würde die grüne Klientel mehr fürs Allgemeinwohl abdrücken. Auch Drogeriekettenkönig Dirk Roßmann outet sich: Ein Spitzensteuersatz von 49 Prozent sei verkraftbar, auch höhere Abgaben auf Zinseinnahmen.
Doch die meisten Unternehmer und Verbände sehen das anders. Lutz Goebel, Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, klagt: „Die Grünen waren früher Treiber für Reformen, heute sitzen sie im Bremserhäuschen.“ Sie wollten „sechs verschiedene Steuern gleichzeitig erhöhen. Das ist Frankreich im Quadrat. Es ruiniert den Mittelstand und vertreibt ausländische Investoren.“
Anders als die Grünen behaupteten, seien nicht 90 Prozent der Unternehmen von ihren Vermögensabgabeplänen befreit. „Der Freibetrag für Unternehmer ist sehr schnell ausgeschöpft.“ Nach den grünen Beschlüssen seien wohl alle kleinen Weltmarktführer mit von der Abgabe betroffen. Auch lasse sich bei Personenunternehmen kaum das Privat- vom Betriebsvermögen trennen. „Ich glaube den Grünen kein Wort, dass das nicht an die Substanz geht.“
Goebel hält auch den allgemeinen Mindestlohn für falsch. „20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland verdienen weniger als 8,50 Euro die Stunde“, beziffert er. „Bei einem solchen Mindestlohn bleiben längst nicht alle Jobs erhalten.“
Kritisch ist auch Eric Schweitzer, neuer Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und als Berlins IHK-Chef öfter als Grünen-Freund aufgefallen. „Eine höhere Einkommensteuerbelastung ist für Unternehmen schädlich.“ Die Belastung sei im EU-Vergleich bereits hoch. „Wer Unternehmen so schwächt, der gefährdet am Ende Arbeitsplätze.“
Ist jetzt die mühsame Annäherung zwischen Ökologie und Ökonomie vorbei? In der Opposition waren die Grünen nach links geschwenkt. Zuletzt freilich robbten sich Parteipromis wie Cem Özdemir, Renate Künast oder Winfried Kretschmann wieder an die Wirtschaft heran. Özdemir scheint ein Abo für Wirtschaftsverbandstage zu besitzen.
Die Ideen des ersten grünen Ministerpräsidenten
Künast organisiert den „Grünen Wirtschaftskreis“, zu dem Führungsleute großer Energie-, Chemie oder Telekom-Unternehmen reisen. Kretschmann lobt als Ministerpräsident bei jeder Gelegenheit die Tüftler und Technikschmieden im Ländle.
Der Ministerpräsident soll, so hoffen die Realos, das Schlimmste verhüten. Und er scheint zum staatstragenden Widerstand bereit. „Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft“, hält er den Programmmachern um Jürgen Trittin entgegen. Die Agenda 2010 habe Gutes bewirkt.
Der 64-Jährige hält zwar einen Mindestlohn für richtig, aber nichts davon, arbeits-unwillige Hartz-IV-Bezieher in Ruhe zu lassen. „Es gilt das Gegenseitigkeitsprinzip. Leistungen müssen Gegenleistungen gegenüberstehen“, ist seine Ansage. „Ansonsten zerfällt die Gesellschaft.“
Um Unternehmer werben
Der erste grüne Ministerpräsident will weiter offensiv um Unternehmer werben. „Mein Eindruck aus vielen Gesprächen ist: FDP und CDU sind vielleicht noch Ansprechpartner für die Dinosaurier der Wirtschaft.“ Die Grünen dagegen seien die Partner für innovative Firmen. Ökonomie und Ökologie seien „ein wirtschaftliches Erfolgsprogramm erster Güte“. Energiewende und Energiespartechnik taugten zum Exportschlager.
Was Steuern angeht, rät er zur Mäßigung. Überall habe der Staat zu wenig Geld zum Investieren – etwa in Straßen. Aber Unternehmen bräuchten ausreichend Eigenkapital. „Beides muss in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.“
Auf Vernunft hofft auch Kerstin Andreae, Fraktionsvize im Bundestag und Wirtschaftsfrau. Sie legte sich jüngst mit ihrem Fraktionschef Trittin an. „Es kommt darauf an, dass die Gesamtbelastung für Bürger und Unternehmen nicht zu groß wird“, bekräftigt sie, was nun im Programm steht. Es muss recht laut zugegangen sein.
Trotz anderer Tonart an der Spitze findet die 44-Jährige Gehör. Das legt ein Preis nahe, den sie diese Woche erhält. Den „Deutschen Elite-Mittelstandspreis“ bekommt Andreae „für ihren langjährigen Einsatz für den deutschen Mittelstand und eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Finanzordnung“. Eine unparteiische Anerkennung: Gerhard Schröder, Friedrich Merz, Hermann Otto Solms, Günther Oettinger oder Rainer Brüderle haben ihn schon.