Bundesparteitag Die FDP will nach vorne blicken, wird aber die Vergangenheit nicht los

Beim Bundesparteitag betont die FDP ihre Europaverbundenheit. Doch der Abbruch der Jamaika-Verhandlungen schwebt immer noch über allem.

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Die FDP will die Vergangenheit hinter sich lassen. Doch das Jamaika-Aus schmerzt immer noch viele Delegierte. Quelle: dpa

Berlin Es ist ein starker Einstieg für den Bundesparteitag der FDP. Dynamische Musik dröhnt durch die Hallen des ehemaligen Dresdner Bahnhofs in Berlin. „Europa. Welcome back“, steht dort in großen Buchstaben auf dem riesigen Bildschirm. Bilder von europäischen Hauptstädten wechseln sich ab, Ministerpräsidenten der deutschen Nachbarländer gratulieren den Liberalen per Videobotschaft zum Wiedereinzug in den Bundestag. „Jetzt schlägt die Stunde Europas“, ruft Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die den Bundesparteitag an diesem Samstag eröffnet.

Es ist das erste große Zusammentreffen der Delegierten nach dem Wiedereinzug in den Bundestag. Es ist aber auch das erste große Treffen nach der Absage der FDP an eine Beteiligung an der Bundesregierung.

FDP-Chef Christian Lindner muss den Spagat schaffen. Der Abbruch der Jamaika-Verhandlungen schmerzt viele in und außerhalb des Saales noch immer, das wird im Laufe des Tages auch in den Reden der Delegierten deutlich. Viele Unterstützer der Partei verstehen nicht, warum die FDP sich nicht an einem Regierungsbündnis mit der Union und den Grünen auf Bundesebene beteiligt hat. Einer sagt, man müsse sich dafür beim Wähler entschuldigen.

Lindner muss beim Bundesparteitag auf diese Kritik eingehen, gleichzeitig aber seine Partei auf die anstrengenden Jahre vorbereiten, die nun vor der FDP in der Oppositionsrolle liegen. Er beginnt seine Rede mit einem flammenden Appell für Europa. Die Partei hatte sich nicht nur wegen ihrer harten Position zum Euro-Rettungsschirm ESM den Ruf einer europafeindlichen Partei eingehandelt.

Linder beschreibt die Krisen in der Welt: der Konflikt in Syrien, die Kündigung des Iran-Abkommens, die neue Rolle der USA in der Weltpolitik. Jede mögliche Antwort auf diese Krisen beginne mit einem Wort: „Und das heißt Europa“, ruft Lindner. Die Delegierten applaudieren zustimmend.

Dann kritisiert der FDP-Chef die Absage von Bundeskanzlerin Angela Merkel an einer Beteiligung an einem Militäreinsatz in Syrien als Reaktion auf die mutmaßlichen Giftgasangriffe von Assad. „Das war nicht nur eine protokollarische Ohrfeige, das war der Beleg dafür, dass Europa auf der politischen Weltbühne nicht mit einer Stimme spricht“, sagt Lindner. Das könne nicht so bleiben, Europa brauche wieder eine Stimme. „Dieser Kontinent muss seine Schockstarre überwinden“, sagt Lindner. Merkel warf er Führungsschwäche vor. „Jetzt ist Leadership nötig. Frau Merkel, sagen Sie was sie für richtig halten, wovon Sie in der Europafrage überzeugt sind und kämpfen sie dafür“, forderte der FDP-Chef.

Es sei jetzt langsam Zeit für das deutsche Ja zu Europa, ruft er den Delegierten zu, um dann aufzuzählen, wo er eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene will: Beim einer europäischen Verteidigungsunion etwa, bei einem europäischem Haushalt mit Schwerpunkten bei Zukunftstechnologien und einer gemeinsamen Handelspolitik.

Doch schon nach dem ersten Drittel seiner Rede ist es wieder da: Das Thema Abbruch der Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition. Lindner weiß, dass es viele noch beschäftigt, und er bei diesem ersten Treffen Antworten bieten muss. „Wir haben uns für den harten und riskanten Weg entschieden, um an der Gestaltung unseres Landes mitzuwirken“, sagt er. „Sollen andere sich an der FDP reiben, wir beschäftigen uns mit den Fragen des Landes und wie wir selbst besser werden können“, sagt der FDP-Chef.

Der Bundesparteitag steht unter dem Motto „Innovation Nation“ (zu Deutsch: „Innovative Nation“). An die Gäste wurden Aufkleber und Buttons verteilt, die Motive zeigen, die für Vorankommen und Zukunftstechnologien stehen sollen. Ein Frosch, der einen großen Sprung wagt, ein Astronaut, ein Bergsteiger. Die Partei will an ihren Wahlerfolg anknüpfen und sich als innovativer Ideengeber positionieren.

Bevor Lindner diese Positionierung auch in seiner Rede unterstreichen kann, muss er allerdings auf ein Streitthema eingehen, das derzeit die Schlagzeilen beherrscht. Wolfgang Kubicki, stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei und einer der Schlüsselfiguren im Wiederaufbau der FDP, hatte sich in der Russlandfrage öffentlich und wiederholt gegen die Position von Lindner gestellt.

Er will, dass die Sanktionen gegen Russland abgeschmolzen werden, Lindner lehnt das ab und plädiert lediglich für mehr Dialog mit Russland. Die Meinungsverschiedenheit ging so weit, dass Kubicki einen Änderungsantrag zum betreffenden Antrag des Bundesvorstands beim Bundesparteitag eingebracht hatte. Noch kurz vor Lindners Rede gibt Kubicki dem TV-Sender Phoenix ein Interview, in dem er nochmals seine Position darstellt.

Lindner spricht sich hingegen in seiner Rede dafür aus, mehr in den Dialog mit Russland zu treten und Gesprächsformate wie den Russland-Gipfel wiederaufzunehmen. Man müsse auf der einen Seite hart sein, aber auf der anderen Seite auch im Gespräch bleiben. Die Außenexperten der FDP rieten davon ab, die Sanktionen zu lockern, „weil das den Hardlinern im Kreml in die Hände spielen würde“, so Lindner. Der Westen erschiene dann defensiv und schwach.

Die Diskussion in der Partei wiegelt er ab. Die FDP sei eine lebendige Partei. „Ein Meinungsspektrum macht uns nicht schwach, sondern stark“, so Lindner. Niemand, der eine andere Meinung vertrete, sei danach beschädigt. Tatsächlich diskutiert die Partei deutlich mehr als die letzten Jahre. Nicht nur zu Russland, sondern auch zum Thema Frauen in der Partei. Es geht wieder um was.

Der Leitantrag, den der Bundesvorstand eingebracht hat, dreht sich rund um das Thema Innovation. Ein Vorschlag ist die Einrichtung von digitalen Sonderwirtschaftszonen, in denen es für Unternehmen der Digitalwirtschaft weniger Regeln und Bürokratie geben soll damit sie sich besser entwickeln können. Lindner hatte diese Idee kürzlich im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt.

Von dem alten Slogan des Bundestagswahlkampfes „Digital First. Bedenken Second.“ rückt die FDP ab. „Ich muss sagen, das Plakat war vielleicht doch etwas im Überschwang gestaltet“, sagt Lindner selbstkritisch. Bedenken seien nötig, dürfen aber nicht zum Stillstand führen, schränkt er ein. „Zur Innovation Nation gehört auch innovatives Recht für die Shared Economy.“

Lindner spricht sich aber auch für mehr Mut und Gestaltung bei der Digitalisierung aus: „Ein Land, das sich mehr mit Karl Marx beschäftigt als mit Blockchain ist dabei, den Anschluss in der Welt zu verlieren.“ Deutschland sei dabei, die Grundlagen für seinen zukünftigen Wohlstand zu verspielen. Durch die Digitalisierung fielen zwar Jobs weg, aber auf der anderen Seite sehe man, dass die großen Digitalkonzerne auch viele Arbeitsplätze schaffen. „Sorgen wir doch dafür, dass solche Arbeitsplätze auch bei uns entstehen“, sagt Lindner. Dann müssten die Menschen auch keine Angst haben.

Der FDP-Chef schließt seine Rede mit einem Plädoyer für den Liberalismus. Die Themen der Partei seien längst nicht auserzählt, wie manch einer behaupte. Weltweit werden überall liberale Werte in Frage gestellt. „Wir brauchen kein neues Narrativ, denn wir haben bereits eine Überzeugung“, sagt Lindner. Dann erheben sich die Delegierten zu minutenlagen stehenden Ovationen.

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