Bundesparteitag Wirtschaftsprofil der Grünen: Radikal oder realistisch?

Grünen-Bundesparteitag: Wirtschaftsprofil – radikal oder realistisch? Quelle: dpa

Auf ihrem Bundesparteitag arbeiten die Grünen an der Schärfung ihres Profils. So soll ihr Wirtschaftskonzept konkreter werden. Dafür hat ihnen Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann ein paar Leitplanken parat.

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Geht es nach Parteichef Robert Habeck, dann zeigen die Grünen an diesem Wochenende bei ihrem Bundesparteitag in Bielefeld, dass sie Bundesregierung können. Dafür sollen sie ihr Wirtschaftsprofil schärfen: Wie kommt der Klimaschutz in die Wirtschaft? Wie hoch soll der Mindestlohn sein und wie hoch eine Grundsicherung ausfallen? Wie geht Mobilität der Zukunft und was wird aus der Autobranche?

Noch ist nicht ganz geklärt, wie „anschlussfähig“ die Ökopartei ist – an andere Parteien für eine Koalition, vor allem aber an Unternehmen und Wirtschaftsvertreter, die schließlich das umsetzen müssten, was den Grünen als nachhaltig und klimaschonend vorschwebt.

Radikal oder realistisch? Habeck und seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock behaupten, beides lasse sich vereinbaren. Radikal im Ziel und realistisch bei den Schritten dorthin. Das ist der Spagat, der gelingen soll. Einerseits sollen die Grünen nun „Bündnispartei“ sei, also offen für die unterschiedlichsten Koalitionen. Andererseits sind die Öko-Alternativen in Teilen immer noch eine kapitalismuskritische Partei.

Ein Stück sollen die Grünen also werden, wie es vor Jahren im Oberrealo-Land Baden-Württemberg ersonnen wurde. Ziel ist, mit grünen Ideen schwarze Zahlen zu schreiben. Da passte die Rede, die der erste und bislang einzige grüne Ministerpräsident hält. Als der Baden-Württemberger Winfried Kretschmann in Bielefeld sprach, bekam er von den Seinen dieses Mal mehr Wohlwollen und Jubel als zu manch anderen Anlässen.

Dieses Mal sprach er nicht über die Autobranche oder über die Industrie als Herzstück der deutschen Wirtschaft. Bei solchen Themen steht Kretschmann zwar in der Verantwortung in Stuttgart, nicht aber in der Gunst seiner Parteifreunde.

Weil die Grünen die SPD seit längerem in Umfragen hinter sich lassen und weil das Führungsduo Baerbock und Habeck die Partei geeint hätte, falle der Partei eine neue Rolle zu, sagte Kretschmann. „Es geht nicht nur darum mitzugestalten, sondern auch mitzuführen.“ Die zwei wichtigsten Themen seien dabei erstens der Klimaschutz mitsamt dem Umbau der Wirtschaft und zweitens die Verteidigung der Demokratie inklusive der Schaffung von Zusammenhalt.

Nicht nur „eingefleischte Ökos“ wählten nun die Grünen, „sondern ganz viele erwarten von uns nun realistische Antworten“, mahnte Kretschmann zu bündnisfähigen Positionen. Dagegen sei aber der von der Großen Koalition im Bund festgelegte Preis für jede Tonne CO2 aus fossilen Brennstoffen keine Antwort. „Das hat keine Wirkung, so kann man nicht beginnen. Man nimmt die Leute nicht mit, indem man sich hinten anstellt, wo die Ängstlichen und Verzagten stehen“, kritisierte er Kanzlerin Angela Merkel. Mutig sei, die Leute mit ins Ziel zu nehmen, sie abzusichern, aber große Ziele zu formulieren. „Sonst sichern wir die Zukunft nicht.“ Wer jetzt nicht voll auf eine Dekarbonisierung, also auf den Abschied von fossilen Brennstoffen, setze, der verbaue der Wirtschaft und die Gesellschaft die Zukunft. Dafür bekam Oberrealo Kretschmannn von seiner Partei längeren und lauteren Applaus als teilweise in der Vergangenheit.

Der Spagat zwischen Realität und Radikalem, wie ihn Kretschmann formulierte, zeigt sich auch im Leitantrag, auf den die Parteiführung ihre Leute einschwört und der den anderen Parteien zeigen will, wo eine Koalition mit den Grünen aufsetzen könnte:

Schulden statt Steuern

Die Grünen wollen viel umkrempeln und dafür brauchen sie Milliarden. Mit Plänen für Steuererhöhungen haben sie bei Bundestagswahlen immer wieder schlechte Erfahrungen gemacht. Da wirkt die Forderung nun eleganter: Weg mit der Schuldenbremse, staatliche Investitionen auf Pump! Die Schuldenbremse seit 2009 sei in Zeiten negativer Zinsen nicht mehr zu vermitteln, heißt es.

Stattdessen wollen die Grünen im Grundgesetz einen Investitionsfonds verankern. Der soll zusätzliche öffentliche Investitionen von rund 30 Milliarden Euro im Jahr ermöglichen, in Infrastruktur, den Ausbau der Bahn und der Elektromobilität etwa. Zugleich würden die Maastricht-Kriterien der EU eingehalten. Die schwarze Null, die für den deutschen Etat so hochgehalten werden, führe angesichts einer anstehenden Rezession, angesichts niedriger Zinsen und schlechter Infrastruktur nur ins schwarze Loch, hat Habeck bereits wissen lassen.

Marktwirtschaft mit viel Ordnungsrecht

Positiv fällt der Blick der Parteispitze auf den Markt aus. Schließlich werden die Grünen die großen Unternehmen und die Finanzbranche brauchen, wenn sie die Wirtschaft klimaschonend umkrempeln wollen. Doch das Lob der Marktwirtschaft geht der Grünen Jugend und dem linken Flügel gegen den Strich. Deshalb findet sich auch viel Ordnungsrecht bei den Grünen: Europäische Klimazölle sollen schädlich Produziertes aus dem Ausland verteuern oder auf dem hiesigen Markt verhindern. Fraglich ist, ob so etwas funktionieren kann und in Europa genug Unterstützung fände. Schließlich soll die Monopolmacht internationaler Konzerne gebrochen werden und das Wettbewerbsrecht verschärft werden.

Sozialer Wettstreit mit SPD und Linken

In der Sozialpolitik rutschen die Grünen etwas mehr nach links. Die Spitze fordert (anders als manche ihrer Fachpolitiker im Bundestag) einen Mindestlohn von 12 Euro „als Sofortmaßnahme“. Derzeit liegt er bei 9,19 Euro die Stunde, festgelegt von einer unabhängigen Kommission. Parteilinie soll aber werden, dass der Lohn steigen müsse, damit Geringverdiener nicht abgehängt würden und die Aussicht auf ein ausreichendes Alterseinkommen behielten. Eine sanktionsfreie Grundsicherung soll Hartz IV ersetzen. Diese dürfte die Steuerzahler am Ende dann doch einiges kosten. Außerdem soll ein Recht auf Wohnen ins Grundgesetz.

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