Bundespräsident Die schwierige Suche nach dem Wulff-Nachfolger

Die Regierung muss schnell einen neuen Bundespräsidenten finden. Der Kandidat muss ein Mix sein aus Horst Köhler, Roman Herzog, Richard von Weizsäcker – und Christian Wulff.

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Christian Wulff und Bettina Wulff gehen nach der Pressekonferenz zum Rücktritt aus dem Saal Quelle: dpa

Die Aufgabe ist klar: Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland soll seine „ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“. So lautet der Eid, der in Artikel 56 des Grundgesetzes niedergeschrieben ist – und den der Bundespräsident zum Amtsantritt leistet.

Was sich einfach anhört, scheint eine Herkulesaufgabe zu sein. Nur zwei Bundespräsidenten in der Geschichte des Landes  – Theodor Heuss und Richard von Weizsäcker – absolvierten zwei komplette Amtszeiten. Zuletzt sind Horst Köhler und Christian Wulff an der Bürde des Amtes gescheitert. Die Bundesversammlung muss nun zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren zusammenkommen, um einen neuen Bundespräsident zu wählen.

Was ist so schwer an dem höchsten Amt im Staate – und welcher Deutsche kann das Amt nun ausfüllen? Sowohl die Affäre Wulff als auch der Rücktritt von Horst Köhler lehren: An das Bundespräsidentenamt werden – zu Recht – hohe Anforderungen gestellt. Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Integrität sind Grundvoraussetzung. Hinzu kommt: Jedes Wort des Präsidenten wird nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern analysiert und bewertet. Horst Köhlers Äußerung, Deutschland verteidige in Afghanistan auch Wirtschaftsinteressen, sorgte für einen Sturm der Entrüstung. Die Kritik konnte oder wollte Köhler nicht aushalten. Verletzt und beleidigt, trat der in der Bevölkerung beliebte Präsident schließlich ab.

Bildergalerie: Die aussichtsreichsten Nachfolgekandidaten

Die aussichtsreichsten Kandidaten
Die möglichen NachfolgerDer König ist tot, es lebe der König. Doch wer wird der Nachfolger von Bundespräsident Christian Wulff? Die Regierungskoalition will sich rasch auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen. Zahlreiche Namen sind in der Diskussion. Die WirtschaftsWoche stellt einige vor. Quelle: REUTERS
Wolfgang Huber, ehemaliger Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg Quelle: dpa
Norbert Lammert. Der 63-jährige pflegt als Bundestagspräsident einen staatsmännischen Stil und agiert so überparteilich, dass er vielen Parteifreunden in der Union öfters auf die Nerven geht. Dennoch galt er als Favorit von Schwaz-Gelb. Seinen Namen muss Merkel nun von der Liste streichen - Lammert sagte ihr ab. Quelle: dapd
Andreas Voßkuhle, 48, sagt der Regierung ebenfalls ab. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts gilt als geradlinig, mit scharfem Verstand und staatsphilosophisch Know How. Nur an der politischen Erfahrung mangelt es ihm. Trotzdem galt er als Wunschkandidat. Bis er, nach kurzer Bedenkzeit, die Kandidatur ablehnte. Quelle: dpa
Joachim Gauck, 62, war der Wunschkandidat weiter Teile in Politik und Bevölkerung 2010. Aber die Mehrheit von CDU, CSU und FDP in der Bundesversammlung gab ihm keine Chance gegenüber Christian Wulff. Schafft er es nun? SPD und Grüne wünschen sich ihn ins Schloss Bellevue, 54 Prozent der Deutschen sehen das laut einer Emnid-Umfrage genauso. Der frühere Bürgerrechtler wäre sicherlich ein anregender und aufregender Präsident, nicht immer unbequem für eine Regierung. Quelle: dapd
Ursula von der Leyen, 53, fühlte sich nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler fast schon als Nachfolgerin, bevor dann Christian Wulff die Hand hob. Die CDU-Politikerin aus Niedersachsen machte sich einen Namen erst als Familien- und seither als Arbeitsministerin. Allerdings ist sie wegen ihres dominanten Stils und starker sozialstaatlicher Akzente in konservativen Kreisen nicht sehr gelitten. Auch von den Deutschen können sich nur 32 Prozent vorstellen, dass die jetzige Ministerin das höchste Amt im Staat übernimmt. Quelle: dapd
Klaus Töpfer, 73, gilt als integre Persönlichkeit. Sein Einsatz für den Umwelt- und Klimaschutz hat dem CDU-Politiker weltweite Reputation eingetragen. Er war Bundesumweltminister und Bauminister, ging 1998 als Exekutiv-Direktor zum Umweltprogramm der UNO nach Nairobi. Quelle: dapd

Der neue Präsident braucht Eigenschaften von Wulff und Köhler - aber nicht alle

Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte auf die Dünnhäutigkeit des Ex-Präsidenten und setzte auf den Parteisoldaten Christian Wulff. Dass er Druck aushalten kann, hat er bewiesen. Dass er zwischen Freundschaftsdiensten und Bestechung möglicherweise nicht unterscheiden kann, konnte Merkel damals noch nicht wissen.

Der neue Mann oder die neue Frau an der Spitze des Staates muss mehr denn je unantastbar sein, um den Ruf des Amtes wiederherzustellen. Nähe zur Politik könnte da eher schaden, ein Außenstehender wie Köhler 2004 könnte befreiter ins Amt starten. Anders als Köhler aber muss der neue Präsident Kritik aushalten können und Durchsetzungsvermögen beweisen. So wie Christian Wulff – bis sein Aushalten von Kritik zum ungerechtfertigten Ausharren wurde, das das Amt in seinem Ansehen beschädigte.

Von Weizsäcker und Herzog haben Eindruck hinterlassen

Richard von Weizsäcker und Roman Herzog Quelle: dpa

Nachhaltig Eindruck hinterlassen, haben in der zweiten Hälfte der deutschen Nachkriegsgeschichte zwei Bundespräsidenten: Richard von Weizsäcker und Roman Herzog. Sie haben das Ansehen Deutschlands gemehrt, trotz oder gerade wegen ihres einzigen großen Machtinstrumentes: der Sprache.

Richard von Weizsäcker punktete bereits ein Jahr nach Amtsantritt, als er 1985 die Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 umdeutete, vom „Tag der Niederlage“ zum „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Er mahnte in seiner Rede zur Wiedervereinigung: „Sich zu vereinen, heißt teilen lernen“.

Bildergalerie: Die deutschen Bundespräsidenten

Die deutschen Bundespräsidenten
Joachim Gauck (seit 2012)Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck wurde am 18. März 2012 mit einer überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent zum Bundespräsidenten gewählt. Er übernahm das Amt von seinem Vorgänger Christian Wulff, der nach nur 20 Monaten im Amt zurücktrat. Gauck, Jahrgang 1940, gehört keiner Partei an. Der Theologe und frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde gilt als integer und redlich. Er ist der erste Ostdeutsche, der das höchste Staatsamt der Bundesrepublik bekleidet. Als wichtigste Aufgabe seiner Amtszeit verkündete Gauck in seiner Rede nach der Wahl, Regierung und Bevölkerung wieder näher zueinander bringen zu wollen. Im Februar 2017 wird er im Amt abgelöst. Quelle: dpa
Christian Wulff Quelle: dapd
Host Köhler Quelle: dpa
Johannes Rau Quelle: AP
Roman Herzog Quelle: AP
Richard von Weizsäcker Quelle: BPA
Karls Carstens Quelle: BPA

Ehrlichkeit und Bescheidenheit

Eine visionäre und unpopuläre Aussage. Von Weizsäcker ging es nicht um Ruhm oder Anerkennung – gerade das machte ihn stark.  Er kritisierte, die Parteien, da sie nur an die nächste Wahl denken würde, nicht aber daran, die Probleme des Landes zu lösen.

Chronologie: Wulffs Affären

Auch Roman Herzog nahm kein Blatt vor den Mund. In seiner Ruck-Rede sprach er den Deutschen ins Gewissen: In Deutschland „herrscht ganz überwiegend Mutlosigkeit, Krisenszenarien werden gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft“, so Herzog am 26. April 1997.

Doch wer der gehandelten Kandidaten kann frei von politischen Zwängen sprechen, kann Mutiges und Visionäres aussprechen und Themen setzen? Verteidigungsminister Thomas de Maiziére, die Hochschulprofessorin Gesine Schwan oder doch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen?

Edle Eigenschaften und Mehrheitsfähigkeit

Bundestag vor der Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung 2010 Quelle: dpa

Vielleicht ja auch Margot Käßmann, die Theologin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie steht für einen Dialog mit dem Islam und kritisierte offen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. „Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden“, sagte Käßmann. Und weiter: „Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen.“

Doch: Der Bundespräsident muss nicht nur kritikfähig, standhaft und mutig sein – sondern auch mehrheitsfähig in der Bundesversammlung. Dort ist der Stimmenvorsprung der Regierungsparteien denkbar knapp. Merkel braucht entweder einen Kandidaten, auf den sich etwa auch die SPD einlassen kann – oder jemanden, der alle Stimmen aus der Regierung bekommen kann. Margot Käßmann passt nicht in dieses Anforderungsprofil

Bildergalerie: Affären um das höchste Amt im Staate

Affären um das höchste Amt im Staat
Christian Wulff: Der amtierende Bundespräsident ist unter anderem wegen eines Immobilienkredits unter Druck geraten. Auch wird ihm vorgeworfen, in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident teilweise gratis Urlaub in Ferienhäusern und Villen befreundeter Unternehmer gemacht zu haben. Quelle: dpa
Horst Köhler: Dem neunten Bundespräsidenten (2004 bis 2010) wurden weder Vorteilsnahme noch dunkle Flecken in seiner Vergangenheit vorgeworfen - und doch endete seine Präsidentschaft so spektakulär wie keine zuvor. Quelle: ap
Im Mai 2010 trat er überraschend von seinem Amt zurück. Köhler gab an, er fühlte sich mit Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr missverstanden, wonach militärische Einsätze auch den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands dienen könnten. Seinen Rücktritt hatte niemand gefordert. Köhlers Begründung löste viel Stirnrunzeln aus; es wurde spekuliert, der Präsident sei amtsmüde gewesen und habe unter seiner mangelnden politischen Durchschlagskraft gelitten. Quelle: dpa
Johannes Rau: Der achte Bundespräsident (1999 bis 2004) wurde im höchsten Staatsamt von einer Flugaffäre aus seiner Zeit als NRW-Ministerpräsident eingeholt. Die Landesbank WestLB hatte Rau private Flugzeuge für Freiflüge zur Verfügung gestellt; sie soll auch die Feier zu seinem 65. Geburtstag gesponsert haben. Quelle: dpa
Ein Untersuchungsausschuss ermittelte. Der Präsident schwieg zunächst zu den Vorwürfen, räumte dann aber Fehler ein und musste zugeben, bei den Freiflügen Dienstreisen mit Parteiterminen verknüpft zu haben. Kritiker warfen ihm vor, durch sein Verhalten die Politikverdrossenheit zu fördern. Rau blieb trotz vereinzelter Rücktrittsforderungen im Amt. Quelle: ap
Karl Carstens: Der fünfte Bundespräsident (1979 bis 1984) musste mit dem Vorwurf der Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss leben, was ihn jedoch nicht an der Übernahme des höchsten Staatsamts hinderte. Carstens hatte 1974 vor dem Ausschuss zur Guillaume-Spionageaffäre ausgesagt, er habe in seiner Zeit als Aufseher über den Bundesnachrichtendienst (BND) Ende der 1960-er Jahre nichts über Verbindungen des BND zum Waffenhandel gewusst. Später tauchten von Carstens unterzeichnete Akten auf, die solche Verbindungen belegten. Ein Gericht sah erhebliche Anhaltspunkte für eine Falschaussage. Die SPD übte scharfe Kritik, konnte die Wahl des CDU-Manns 1979 aber nicht verhindern. Quelle: Bundestag
Heinrich Lübke: Der zweite Bundespräsident (1959 bis 1969) ist vor allem durch weithin belächelte rhetorische Fehlleistungen in Erinnerung geblieben. Seine Präsidentschaft endete mit einem ernsten Missklang: Die DDR legte 1966 Akten mit Bauzeichnungen für KZ-Baracken in der Region Peenemünde vor, die 1944 von Vermessungsingenieur Lübke abgezeichnet worden sein sollen. Schnell machte das Wort vom „KZ-Baumeister Lübke“ die Runde. Lübke selbst bestritt seine Beteiligung, Unterstützer sprachen von einer Kampagne der DDR-Propaganda. Belastet von der Kritik und seiner fortschreitenden Alterserkrankung gab Lübke sein Amt 1969 knapp drei Monate vor Ablauf der Amtszeit auf. Quelle: ap

Die schwierige Suche entflechten könnte eine Änderung des Grundgesetzes, um so den Weg für eine Direktwahl des Bundespräsidenten durch den Bürger freizumachen. Bei einer Umfrage des Instituts für neue soziale Antworten (Insa) ermittelten die Meinungsforscher von YouGov im Januar, dass 83 Prozent der Bürger für solch eine Direktwahl sind.

Eine Option für die Zukunft wäre die Wahl durch das Volk

Insa-Chef Hermann Binkert schlussfolgerte laut „Focus“: „Bundestag und Bundesrat sollten den Weg freimachen, dass der nächste Bundespräsident vom Volk direkt gewählt werden kann. Eine Direktwahl stärkt das Amt und schafft wieder Vertrauen.“

Bis zur Wahl des Wulff-Nachfolgers ist das aber noch keine Option. So müssen Merkel & Co weitersuchen, nach dem Kandidaten, der die besten Eigenschaften von Horst Köhler, Roman Herzog, Richard von Weizsäcker und Christian Wulff vereint.

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