Bundespräsident Die schwierige Suche nach dem Wulff-Nachfolger

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Edle Eigenschaften und Mehrheitsfähigkeit

Bundestag vor der Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung 2010 Quelle: dpa

Vielleicht ja auch Margot Käßmann, die Theologin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie steht für einen Dialog mit dem Islam und kritisierte offen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. „Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden“, sagte Käßmann. Und weiter: „Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen.“

Doch: Der Bundespräsident muss nicht nur kritikfähig, standhaft und mutig sein – sondern auch mehrheitsfähig in der Bundesversammlung. Dort ist der Stimmenvorsprung der Regierungsparteien denkbar knapp. Merkel braucht entweder einen Kandidaten, auf den sich etwa auch die SPD einlassen kann – oder jemanden, der alle Stimmen aus der Regierung bekommen kann. Margot Käßmann passt nicht in dieses Anforderungsprofil

Bildergalerie: Affären um das höchste Amt im Staate

Affären um das höchste Amt im Staat
Christian Wulff: Der amtierende Bundespräsident ist unter anderem wegen eines Immobilienkredits unter Druck geraten. Auch wird ihm vorgeworfen, in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident teilweise gratis Urlaub in Ferienhäusern und Villen befreundeter Unternehmer gemacht zu haben. Quelle: dpa
Horst Köhler: Dem neunten Bundespräsidenten (2004 bis 2010) wurden weder Vorteilsnahme noch dunkle Flecken in seiner Vergangenheit vorgeworfen - und doch endete seine Präsidentschaft so spektakulär wie keine zuvor. Quelle: ap
Im Mai 2010 trat er überraschend von seinem Amt zurück. Köhler gab an, er fühlte sich mit Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr missverstanden, wonach militärische Einsätze auch den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands dienen könnten. Seinen Rücktritt hatte niemand gefordert. Köhlers Begründung löste viel Stirnrunzeln aus; es wurde spekuliert, der Präsident sei amtsmüde gewesen und habe unter seiner mangelnden politischen Durchschlagskraft gelitten. Quelle: dpa
Johannes Rau: Der achte Bundespräsident (1999 bis 2004) wurde im höchsten Staatsamt von einer Flugaffäre aus seiner Zeit als NRW-Ministerpräsident eingeholt. Die Landesbank WestLB hatte Rau private Flugzeuge für Freiflüge zur Verfügung gestellt; sie soll auch die Feier zu seinem 65. Geburtstag gesponsert haben. Quelle: dpa
Ein Untersuchungsausschuss ermittelte. Der Präsident schwieg zunächst zu den Vorwürfen, räumte dann aber Fehler ein und musste zugeben, bei den Freiflügen Dienstreisen mit Parteiterminen verknüpft zu haben. Kritiker warfen ihm vor, durch sein Verhalten die Politikverdrossenheit zu fördern. Rau blieb trotz vereinzelter Rücktrittsforderungen im Amt. Quelle: ap
Karl Carstens: Der fünfte Bundespräsident (1979 bis 1984) musste mit dem Vorwurf der Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss leben, was ihn jedoch nicht an der Übernahme des höchsten Staatsamts hinderte. Carstens hatte 1974 vor dem Ausschuss zur Guillaume-Spionageaffäre ausgesagt, er habe in seiner Zeit als Aufseher über den Bundesnachrichtendienst (BND) Ende der 1960-er Jahre nichts über Verbindungen des BND zum Waffenhandel gewusst. Später tauchten von Carstens unterzeichnete Akten auf, die solche Verbindungen belegten. Ein Gericht sah erhebliche Anhaltspunkte für eine Falschaussage. Die SPD übte scharfe Kritik, konnte die Wahl des CDU-Manns 1979 aber nicht verhindern. Quelle: Bundestag
Heinrich Lübke: Der zweite Bundespräsident (1959 bis 1969) ist vor allem durch weithin belächelte rhetorische Fehlleistungen in Erinnerung geblieben. Seine Präsidentschaft endete mit einem ernsten Missklang: Die DDR legte 1966 Akten mit Bauzeichnungen für KZ-Baracken in der Region Peenemünde vor, die 1944 von Vermessungsingenieur Lübke abgezeichnet worden sein sollen. Schnell machte das Wort vom „KZ-Baumeister Lübke“ die Runde. Lübke selbst bestritt seine Beteiligung, Unterstützer sprachen von einer Kampagne der DDR-Propaganda. Belastet von der Kritik und seiner fortschreitenden Alterserkrankung gab Lübke sein Amt 1969 knapp drei Monate vor Ablauf der Amtszeit auf. Quelle: ap

Die schwierige Suche entflechten könnte eine Änderung des Grundgesetzes, um so den Weg für eine Direktwahl des Bundespräsidenten durch den Bürger freizumachen. Bei einer Umfrage des Instituts für neue soziale Antworten (Insa) ermittelten die Meinungsforscher von YouGov im Januar, dass 83 Prozent der Bürger für solch eine Direktwahl sind.

Eine Option für die Zukunft wäre die Wahl durch das Volk

Insa-Chef Hermann Binkert schlussfolgerte laut „Focus“: „Bundestag und Bundesrat sollten den Weg freimachen, dass der nächste Bundespräsident vom Volk direkt gewählt werden kann. Eine Direktwahl stärkt das Amt und schafft wieder Vertrauen.“

Bis zur Wahl des Wulff-Nachfolgers ist das aber noch keine Option. So müssen Merkel & Co weitersuchen, nach dem Kandidaten, der die besten Eigenschaften von Horst Köhler, Roman Herzog, Richard von Weizsäcker und Christian Wulff vereint.

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