
Noch ist es Spekulation, ob Ursula von der Leyen tatsächlich als neue Hausherrin ins Schloss Bellevue einziehen wird. Aber im politischen Kalkül, das bei der Besetzung des nationalen Spitzenamtes immer eine große Rolle spielt, hat sie einige schwerwiegende Argumente auf ihrer Seite – die es allerdings gerade konservativen Unionsanhängern nicht leicht machen würden.
Es wäre für die Parteimodernisiererin Angela Merkel ein deutlicher Triumph, wenn sie und ihre CDU es wären, die erstmals eine Frau zum Staatsoberhaupt küren. Schon einmal hatte die Parteivorsitzende dies mit der Thüringerin Dagmar Schipanski versucht; damals drückte Rot-Grün den Sozialdemokraten Johannes Rau durch. Ansonsten schmückte sich traditionell die SPD mit Bewerberinnen, wenn diese keine Siegchance hatten. Auch die Grünen präsentierten gern Kandidatinnen. Nun wären es also Union und FDP, die der politischen Emanzipation zum endgültigen Durchbruch verhälfen.
Für die derzeitige Arbeitsministerin spricht auch, dass die Opposition die in der Bevölkerung beliebte Powerfrau nicht einfach ablehnen könnten. Nicht nur wegen des Emanzipations-Arguments, sondern auch, weil von der Leyen in ihrer Zeit als Familienministerin etliche Projekte umsetzte, die noch von ihrer SPD-Vorgängerin Renate Schmidt stammten oder zumindest auch auf sozialdemokratischer Linie lagen. Dazu gehört auch ihre Skepsis gegenüber dem vor allem von der CSU forcierten Betreuungsgeld.
Gerade diese Vorgeschichte würde es traditionell konservativen Anhängern der Union nur schwer verständlich machen, dass schon wieder eine Männerbastion von Frauen gestürmt wird. In Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, aber auch in Niedersachsen gibt es starke konservative Strömungen, denen Merkels Kurs der Modernisierung der Partei und der Öffnung zu neuen Bevölkerungsschichten seit jeher suspekt ist. Die schwachen Wahlergebnisse der CDU in den letzten Jahren rühren auch daher: In der Mitte wird nicht so viel gewonnen, wie im rechten Spektrum verloren geht.
Andererseits könnte Kanzlerin Angela Merkel mit der Benennung von der Leyens eine wichtige politische Botschaft transportieren. Die größte Sorge der Regierungschefin ist nämlich seit Monaten der Zusammenhalt der Gesellschaft angesichts der immer bedrohlicher wirkenden Herausforderungen in der Weltwirtschaft und immer schwieriger werdender Spar- und Verteilungskämpfe. Die Mutter von sieben Kindern, die sowohl verständnisvoll als auch mit zupackender Frische agieren kann, könnte da einen prima Kontrapunkt setzen zur Kanzlerin, die harte Reformen durchsetzen muss (oder zumindest müsste).
Aktivposten und Alternativen
Der Haken an der Sache: Mit von der Leyen verlöre Merkel einen der Aktivposten in ihrem Kabinett, der auch mal in der Öffentlichkeit Pluspunkte für die Regierung sammelt. Allerdings ließe sich zumindest der freie Stuhl im Arbeitsministerium vergleichsweise einfach neu besetzen. Zwar hatte früher schon einmal Ronald Pofalla ein Auge auf das Amt geworfen, aber der dient nun als Kanzleramtsminister. Sein Wechsel würde für Merkel eine neue Baustelle im Zentrum der Macht aufreißen. Da böte sich viel eher Karl-Josef Laumann an, bisher Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse. Er ist einer der ganz seltenen authentischen Politiker-Exemplare bei der Union, die den Arbeitnehmerflügel glaubwürdig und bodenständig verkörpern können. Ihn hatte Merkel schon einmal als Arbeits- und Sozialminister auf der Rechnung, bevor Laumann in die nordrhein-westfälische Landesregierung wechselte – mit einem weinenden Auge. Ein Wechsel des gerade in Düsseldorf abgewählten Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers in die Bundesregierung scheint dagegen vom Tisch.