
Es war ein zähes Ringen an diesem Wochenende, doch nun steht es fest: CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis90/Die Grünen gehen in die nächste Bundespräsidentenwahl mit einem gemeinsamen Kandidaten. Das erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Abend im Kanzleramt. Der 72-jährige einstigen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde dürfte nun von der Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum Nachfolger des am Freitag zurückgetretenen Christian Wulff gewählt werden.
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz aller Parteichefs erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass Joachim Gauck „wichtige Impulse geben für die Herausforderungen unserer Zeit“ und die Herausforderungen der Zukunft geben werde. Gauck sei „nach intensiven Abwägungen verschiedener Vorschläge“
nominiert worden, sagte Merkel. Das zentrale Thema Gaucks sei die Idee von Freiheit und Verantwortung, das verbinde sie ganz persönlich „bei aller Verschiedenheit“ mit Gauck.
Joachim Gauck gilt als integer und redlich, ist bei den Bürgern beliebt, steht über den Parteien, hat aber stets den Respekt einer breiten politischen Mehrheit erhalten. Nun schickt sich der Theologe und frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde an, als erster Ostdeutscher in das höchste Staatsamt der Bundesrepublik zu wechseln. Vor zwei Jahren hatten ihm Union und FDP noch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt tragen sie ihn mit.
Bei der Kandidatur 2010 war Gauck auf dem Ticket von SPD und Grünen gefahren und hätte seine Außenseiterchance fast nutzen können. Wirklich gute Argumente gegen Gauck hatten auch die schwarz-gelben Truppen nicht. Erst im dritten Wahlgang konnten Union und FDP ihren Kandidaten, den vormaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff durchsetzen. Der „Wahlkampf“ war weitgehend fair verlaufen, was Wulff nach der Wahl ausdrücklich anerkannte. Nachdem Wulff am Freitag das Handtuch geworfen hatte, schoben die Sozialdemokraten Gauck erneut ins Rampenlicht. Als ihren „Favoriten“ bezeichneten die
Sozialdemokraten den 72-Jährigen zugleich, ohne aber auf seiner Kandidatur zu beharren.





Ein Freiheitsprediger wird Bundespräsident
Schon vor anderthalb Jahren hatte seine Nominierung bei den Bürgern und im Internet Begeisterungsstürme ausgelöst. Dem Freiheitsprediger Joachim Gauck flogen die Herzen der Bundesbürger zu und auch im Regierungslager wurden Sympathien für ihn deutlich.
Der im Kriegsjahr 1940 als Kapitänssohn in Rostock geborene Gauck wollte in der DDR eigentlich Journalist werden, erhielt aber keinen Studienplatz für Germanistik. Kein Wunder, hatte er sich doch der Pionierorganisation ebenso verweigert wie der Jugendorganisation „Freie Deutsche Jugend“. Also studierte er nach dem Abitur evangelische Theologie und wurde Pfarrer.
Im Wendejahr 1989 engagierte sich Gauck im Neuen Forum. Dort kümmerte er sich um die Aufdeckung des Überwachungsapparates der DDR. Dieses Aufgabenfeld sollte Gauck in den folgenden elf Jahren nicht mehr loslassen. Das Amt des „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ übte er überaus streitbar aus. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) etwa, dessen Kontakte zur Stasi jahrelang die deutsche Politik beschäftigten, fühlte sich von Gauck ungerecht behandelt. Konflikten geht der streitbare Intellektuelle also nicht aus dem Weg und der Kampf für die Freiheit ist sein Lebensmotto. Über das höchste Staatsamt hat der redegewandte Gauck zudem präzise Vorstellungen: „Als Repräsentant des ganzen Volkes kann der Bundespräsident zwischen den Regierten und den Regierenden vermitteln und zu einer besseren Verständigung zwischen ihnen beitragen.“
Bei seinem Abschied als Chef der Stasiunterlagenbehörde sagte Gauck im Jahr 2000, Bundespräsident wolle er nicht werden. Ein Mecklenburger wisse um seine eigenen Grenzen. 2010 versuchte Gauck es noch erfolglos. Bei der unverhofft schnellen zweiten Chance klappt es nun.





Nur 597 Tage im Amt des Bundespräsidenten
Bundespräsident Wulff war am Freitag nach nur 20 Monaten Amtszeit zurückgetreten. Die Staatsanwaltschaft Hannover leitete am Wochenende gegen ihn ein Ermittlungsverfahren ein. Der frühere niedersächsische Ministerpräsident steht im Verdacht, Vergünstigungen von befreundeten Unternehmern angenommen zu haben. Die Bundesversammlung muss bis zum 18. März ein neues Staatsoberhaupt wählen.