Bundespräsidentenwahl Joachim Gauck - der Anti-Wulff

Mit Gauck wird ein Mann Staatsoberhaupt, der ein eigenes Lebensthema hat, einen wechselhaften Werdegang und keinen engen Wirtschaftsbezug. Das könnte spannend werden.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt am Sonntagabend Joachim Gauck als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vor. Quelle: dpa

Jedes Land braucht Symbole, und Deutschland ist nach den Verbrechen und historischen Brüchen, die im 20. Jahrhundert in seinen Grenzen und europaweit in seinem Namen begangen wurden, mit solchen Zeichen nicht reich gesegnet. Ein Symbol war in den vergangenen 60 Jahren der Bundespräsident, der über dem Parteienstreit stand. Nun könnten mit der Wahl von Joachim Gauck zum neuen Staatsoberhaupt gleich zwei Symbole greifbar werden. Nicht nur das Aufpolieren der Position, deren Ansehen in den vergangenen Wochen gelitten hatte. Auch ein geschichtsträchtiges Datum tritt hinzu: der 18. März. Denn an diesem Tag wird nicht nur die Bundesversammlung erstmals einen Ostdeutschen zum obersten Repräsentanten der Bundesrepublik wählen, einen Bürgerrechtler, einen Pfarrer. Der 18. März 2012 ist auch der 22. Jahrestag der ersten und einzigen freien Wahlen auf dem Gebiet der DDR. Hier schließt sich ein Kreis.

"Im Moment bin ich verwirrt"

Nun ist der Jubel groß. Joachim Gauck ist nicht nur ein respektabler Mann mit einer beachtlichen Lebensleistung, sondern vor allem einer, der plötzlich nur noch Freunde hat. Politische wohlgemerkt, nicht wohlhabende aus der Wirtschaft. Der Rostocker Pfarrer hat sich zum Ziel gesetzt, die Bürger mit ihrem Staat und auch mit seinen Repräsentanten zu versöhnen. Die Menschen sollten wieder „lernen, dass sie in einem guten Land leben, dass sie lieben können“. Welch ein Kontrast zu beispielsweise dem früheren Staatsoberhaupt Gustav Heinemann, der auf die Frage, ob er Deutschland liebe, antwortete: „Ich liebe meine Frau.“ Sympathisch auch Gaucks Warnung, man solle „nicht erwarten, dass ich ein Supermann bin“. Bei der Pressekonferenz, bei der die Parteivorsitzenden Gauck präsentierten, war der frisch Erkorene noch sichtlich überfordert. Schließlich war er gerade erst in Berlin gelandet und im Taxi unterwegs, als die CDU-Vorsitzende Angela Merkel ihn anrief und ins Kanzleramt umdirigierte. Freimütig bekannte Gauck: „Irgendwann in der Nacht werde ich auch beglückt sein – im Moment bin ich verwirrt.“

Der eitle Gauck

Die deutschen Bundespräsidenten
Joachim Gauck (seit 2012)Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck wurde am 18. März 2012 mit einer überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent zum Bundespräsidenten gewählt. Er übernahm das Amt von seinem Vorgänger Christian Wulff, der nach nur 20 Monaten im Amt zurücktrat. Gauck, Jahrgang 1940, gehört keiner Partei an. Der Theologe und frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde gilt als integer und redlich. Er ist der erste Ostdeutsche, der das höchste Staatsamt der Bundesrepublik bekleidet. Als wichtigste Aufgabe seiner Amtszeit verkündete Gauck in seiner Rede nach der Wahl, Regierung und Bevölkerung wieder näher zueinander bringen zu wollen. Im Februar 2017 wird er im Amt abgelöst. Quelle: dpa
Christian Wulff Quelle: dapd
Host Köhler Quelle: dpa
Johannes Rau Quelle: AP
Roman Herzog Quelle: AP
Richard von Weizsäcker Quelle: BPA
Karls Carstens Quelle: BPA

Mit der gemeinsamen Auswahl haben die Bundestagsparteien – bis auf die ignorierte Linkspartei – ein positives Zeichen gesetzt. Für seine Unterstützer aus fast allen politischen Lagern wird Gauck dennoch ein Problem werden. Vielen wird bald die pastorale Art auf die Nerven gehen, zumal Gauck nicht uneitel ist (aber wer ist das schon). Vielleicht wird auch noch einmal genauer geschaut, ob wirklich so viele ehemalige Stasi-Leute in der damaligen "Gauck-Behörde" eingestellt werden mussten. Inhaltlich, das zeigten schon seine Debattenbeiträge während der letzten Kandidatur, steht er der FDP näher als SPD und Grünen, weil er „Freiheit“ viel grundlegender versteht als sie gemeinhin von allen Politikern dahergesagt wird. Zwar nahm der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel Gaucks „pathetisch anmutende Reden zur Freiheit“ in Schutz, aber viele seiner Parteifreunde werden die jetzige Begeisterung noch bereuen. Zumal schon 2010 nie ganz geklärt wurde, ob der Name Gauck im Büro des SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier ausgeknobelt wurde, oder ob die Grünen den ostdeutschen Bewerber ihren Verbündeten in der Opposition untergejubelt haben.

Dass die Linke auch diesmal nicht im Konzert der übrigen Parteien mitspielen durfte, mögen manche für undemokratisch halten. Für den Konsenskandidaten Gauck wäre die Ex-PDS-Ex-SED wohl ohnehin nicht zu gewinnen gewesen. Beim vorigen Anlauf schlugen dem Bürgerrechtler und ersten Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde jedenfalls Ablehnung und teilweise Hass vom Flügel der ewiggestrigen DDR-Verklärer in der Linkspartei entgegen.

Merkel hätte es eleganter haben können

Vor allem für CDU/CSU und FDP ist die Sache noch mal gut gegangen. Übers Wochenende sah es so aus, als würde die schwarz-gelbe Koalition den angestrebten überparteilichen Konsens bei der Suche nach dem nächsten Bundespräsidenten verspielen. Denn statt sich offen und zügig mit SPD und Grünen zu verständigen, feilschte sie erstmal intern über die richtige Wahl. Am Sonntagnachmittag wurde es dann turbulent, und bei den ersten Beratungen in voller Besetzung genügten dann 30 Minuten, bis sich die Parteivorsitzenden einig waren. Der Grund war einfach: Die Koalition akzeptierte den früheren DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck, der vor 21 Monaten dem eigenen Kandidaten Christian Wulff unterlegen war.

Merkel hätte es eleganter haben können

So wurde über den Wulff-Rücktritt gespottet
Die Reaktionen im Internet Quelle: Screenshot
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Angela Merkel hätte das eleganter haben können. Statt sich an die Spitze der Bewegung zu setzen und in einer großen Geste den rot-grünen Kandidaten von 2010 selbst vorzuschlagen, ließ sie den Schlagabtausch innerhalb der eigenen Truppen laufen. Über den eigenen Schatten zu springen und damit einzugestehen, dass Christian Wulff nicht nur wegen der damals drei Durchgänge nicht erst Wahl war, hätte besser gewirkt, als über die Hürde gedrückt werden zu müssen. Nun verweist Merkel zumindest auf Gemeinsamkeiten mit dem ostdeutschen Landsmann. „Unsere Sehnsucht nach Freiheit“ verbinde sie. Es seien Kirchenmänner wie Joachim Gauck gewesen, „die viel dazu beigetragen haben, dass es eine friedliche Revolution gegeben hat“.

In der politischen Kommentierung wird seit der Wahl Heinemanns 1969 die Kür des Staatsoberhaupts als Signal für künftige Koalitionen gewertet. Das mag zwar übertrieben sein, gleichwohl hält sich diese Interpretation. Denn damals hatte die FDP aus der Koalition mit der CDU/CSU heraus den SPD-Bewerber Heinemann gewählt – ein halbes Jahr später fanden sie sich zur Regierungskoalition zusammen, während die CDU/CSU am Wahlabend noch ihr gutes Ergebnis feierte und auf die Fortsetzung von Bürgerlich-Liberal anstieß.

Aus dieser Kür lässt sich zwar Einiges für die Zukunft des höchsten Staatsamtes ablesen – beispielsweise, dass der gemeinsame Kandidat den Bundespräsidenten wieder ein Stück aus dem Parteiengezänk herausnimmt -, aber wenig für die künftige Regierungskonstellation. Das liegt an der bemerkenswerten Rolle, die die FDP diesmal wie 1969 gespielt hat. Sie hat die Union arg strapaziert, indem das Präsidium sich im Laufe des Sonntags öffentlich für Gauck ausgesprochen hatte. Die Liberalen wollten nicht nur einen Akzent setzen, sondern vor allem vermeiden, dass die Union sich mit SPD und Grünen auf einen Bewerber einigt, ohne dass sie selbst mitsprechen konnten. Schlimmer noch: Ein Bundespräsident Klaus Töpfer beispielsweise hätte eher als schwarz-grünes Symbol gegolten.

Die schwarz-gelbe Koalition ist noch mal mit einem blau-gelben Auge davon gekommen. In 21 Monaten, wenn die Bürger den nächsten Bundestag wählen, wird sich kaum noch jemand an die verunglückte Amtszeit Wulffs und an seine politischen Geburtshelfer erinnern. Insofern passte das Fazit des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, „Ende gut, alles gut“, vor allem für das Regierungsbündnis.

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