Die Deutschen werden es Merkel nicht vergessen. Sie konnte in den vergangenen Wochen nicht fröhlich flotte Leitartikel verfassen, in denen von Linksruck, Sozialismusgefahr und dem Ende des wirtschaftlichen Sachverstands die Rede war. Sie musste als strahlende 42-Prozent-Siegerin eine Notregierung zimmern, Kompromisse schmieden, Kreide fressen, Kröten schlucken. Angela Merkel saß ruhig und machte ihre Arbeit, wie sie sagt – wie immer. Sie stellte fest, dass aus vielen Flexibilisierungen des Arbeitsmarktes „Missbrauch entstanden“ ist, und reagierte – das ist nicht links, sondern nüchtern. Ihr Lohn: Sie wird auch dann gut dastehen, wenn der Konjunkturmotor ins Stottern geraten sollte. Denn dann wird es heißen: Nicht Merkel wollte einen „Politikwechsel“, sondern die SPD.
Aber auch Gabriel gebührt Respekt, der den SPD-Mitgliederentscheid mit Leidenschaft und Mut zum Risiko zu einer innerparteilichen Richtungswahl stilisiert hat: Entweder ihr weint und greint weiter, liebe Genossen, weil die Deutschen alle vier Jahre so blöd sind, 100 Prozent eurer Beglückungsangebote auszuschlagen – oder ihr setzt jetzt mehr von eurem Wahlprogramm um, als es das Ergebnis zulässt. Anders gesagt: Gabriel lässt darüber abstimmen, ob die SPD eine Partei der moralisierenden Rechthaber und zerquälten Oppositionsnarzissten bleiben oder doch mal wieder in die Nähe von 30 Prozent kommen will. Für viele Genossen ist das eine Zumutung, gewiss. Für die SPD ist es vielleicht eine Befreiung.
Nach dem Vertrag ist vor der Politik – warten wir es also ab. Den SPD-Mitgliederentscheid. Die übliche Schonfrist von 100 Tagen. Die große Koalition kann keine Erwartungen enttäuschen, das ist kein kleiner Vorteil. Vor allem aber hat sie einen Vertrag der detaillierten Planlosigkeit abgeschlossen, von dem nur gewiss ist, dass die Realität sich ihm entziehen wird.
Ob die Pläne dann den Realitäten angepasst werden oder die Realität den Plänen – allein davon wird am Ende abhängen, ob die Koalition glückt oder nicht.