Falls die Beamten im Bundeswirtschaftsministerium gehofft haben sollten, in der herannahenden Sommerpause ein bisschen Luft holen zu können – dann wurde an diesem Wochenende die Hoffnung ein weiteres Mal von der Wirklichkeit zerlegt. Wieder einmal tagten Experten und Hausspitze fast ununterbrochen am Samstag und Sonntag. Der Ausnahmezustand wird gerade zur Regel, die Krise zur Norm.
Dass für den Energiesektor ein staatlicher Schutzschirm gespannt würde, war spätestens klar, als Hausherr Robert Habeck (Grüne) davon sprach, einen „Lehman-Brothers-Effekt“ wegen der Gaskrise unbedingt verhindern zu wollen. Die akute Schieflage des Gasversorgers Uniper sorgt nun aber für besondere Dringlichkeit: Kippt Uniper, droht der Konzern unzählige weitere, darunter Stadtwerke, mitzureißen.
Der Nervositätspegel steht ohnehin schon sehr hoch in Berlin. Denn die derzeitige Drosselung des Gasflusses durch die Pipeline Nord Stream 1 lässt sich kaum technisch, sondern vor allem politisch erklären. Russland gilt in den Augen der Regierung nicht mehr als verlässlicher Lieferant – weshalb nach Ende der regulären Wartung, die am 11. Juli beginnt, gerade alles für möglich gehalten wird. Auch, dass das Gas gar nicht mehr fließen wird.
Lesen Sie auch: Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller warnt vor Gas-Mangel
Und so ist ein Wort wieder da: Systemrelevanz. Verbunden mit einem Tempo, dass die Rettungsgeschwindigkeiten während der Euro- und Finanzkrise oder der Pandemie noch einmal toppt. Von einem „Instrumentenkasten“ ist in Regierungskreisen die Rede, damit der Staat „handlungsfähig“ sei und alle notwendigen Optionen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit ziehen könne. Noch in dieser Woche, in der letzten Sitzungswoche vor dem Sommer, soll der Bundestag zustimmen. De facto bringt der Bund eine russische Bazooka gegen das Kollabieren der Gasnetze in Stellung. Per Express.
Wie der Staat Uniper retten könnte
Die Rettungsaktion für Uniper könnte dem Beispiel des Falles Lufthansa folgen, die vor zwei Jahren wegen des Geschäftseinbruchs in der Coronapandemie mit öffentlichen Milliardenhilfen vor der Pleite bewahrt werden musste.
Im März 2020 wurde zur Stützung von Unternehmen in der Corona-Krise der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) aufgelegt. Er konnte mit einer Mittelausstattung von 600 Milliarden Euro verschiedene Instrumente einsetzen: Zur Abwehr akuter Liquiditätsnöte stellte die staatliche Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Darlehen oder Kreditgarantien zur Verfügung.
Die Lufthansa oder der Reisekonzern TUI nutzten vor allem Stille Einlagen des WSF. Das ist eine Form von verzinstem Eigenkapital, bei dem der Geldgeber anders als ein Aktionär kein Stimmrecht hat. Der Zins belief sich bei der Lufthansa eingangs auf vier Prozent und wäre bei langjähriger Nutzung bis 2027 auf 9,5 Prozent gestiegen. Im Fall der Airline beteiligte sich der Staat außerdem direkt über den Erwerb eines Aktienpakets von 20 Prozent. Es machte den Staat zum Hauptaktionär, der zwei Vertreter des Aufsichtsrates stellen durfte.
In der damals regierenden großen Koalition war umstritten, wie viel Einfluss der Staat auf die Lufthansa nehmen sollte. Die SPD wollte über das Aktienpaket Mitsprache und Kontrolle sicherstellen angesichts des hohen Finanzhilfevolumens von bis zu neun Milliarden Euro. Die Unionsparteien CDU/CSU wollten dem Konzern nicht ins Geschäft reinreden und waren daher für Stille Einlagen. Die Lufthansa-Aktionäre mussten den Plan auf einer außerordentlichen Hauptversammlung absegnen.
Da es sich um Staatsbeihilfen handelte, die dem Unternehmen keinen Vorteil gegenüber nicht staatlich gestützten Konkurrenten verschaffen soll, musste die EU-Kommission das Rettungspaket prüfen und genehmigen. Unfaire Vorteile des subventionierten Unternehmens werden über Auflagen unterbunden. So durfte die Lufthansa keine Firmen übernehmen oder Unternehmensteile quer subventionieren, so lange nicht 75 Prozent der Hilfen zurückgezahlt waren. Auch sollen Aktionäre und Manager vom Geld des Steuerzahlers nicht profitieren – deshalb dürfen Dividenden sowie Bonuszahlungen und andere variable Vergütungen erst wieder fließen, wenn das gesamte Rettungspaket zurückgezahlt ist. Die Vergütung der Lufthansa-Vorstände hat sich so mehr als halbiert.
Schon im November 2020 konnte die Lufthansa wieder Mittel privater Geldgeber am Kapitalmarkt aufnehmen und schrittweise die Kredite und Stillen Einlagen tilgen. Der WSF ist derzeit noch mit rund 14 Prozent an der Lufthansa beteiligt. Diesen Anteil muss er bis Oktober 2023 verkaufen.
Im juristischen Kern geht es dabei um Anpassungen des Energiesicherungs- und des Energiewirtschaftsgesetzes. Heikel ist unter anderem die Frage, ob im Fall einer Gasnotlage die exorbitanten Preise von den betroffenen Versorgern an deren Verbraucher und Kunden-Unternehmen weitergegeben werden können. Die erneute Novellierung des erst im Mai novellierten Gesetzes fasst hier einige Bedingungen und Kriterien klarer – das Ziel des Bundes ist aber offenkundig: das Durchreichen der Kosten dürfte nur das letzte Mittel sein.
Alternativ versetzt sich die Regierung nun in die Lage, entweder angeschlagene Unternehmen wie Uniper sehr schnell mit Staatshilfen zu stabilisieren (beispielsweise über die staatseigene KfW) – oder mittels eines so genannten „saldierten Preisanpassungsmechanismus“ die höheren Beschaffungskosten auf alle Abnehmer umzulegen, nicht nur auf jene von direkt betroffenen Versorgern. Option Nummer Eins dabei: die Staatshilfen.
Noch laufen mit den Regierungsfraktionen zwar die letzten Abstimmungen. Mit einer Einigung wird allerdings fest gerechnet. Der „Handlungsspielraum der Bundesregierung für den Ernstfall soll erweitert werden“, sagt etwa der FDP-Energieexperte Michael Kruse. Ziel sei es, „den volkswirtschaftlichen Schaden der aktuell sinkenden Gasliefermenge so gering wie möglich zu halten“. Dass ein Schaden noch abgewendet werden kann – damit rechnet in Hauptstadt schon niemand mehr.
Lesen Sie auch: Das Gas-Aus kann schon in den nächsten Wochen kommen. Konzerne und Mittelständler rüsten für den Winter – und fürchten um ihre Existenz.