Bundesregierung Politiker verschließen die Augen vor drohender Rezession

Seite 2/2

Konjunkturindikatoren

Warnende Stimmen werden noch ignoriert. Sollte es aber konjunkturell rauer werden, dann werden die Bürger wieder vertröstet. Hieß es in den vergangenen zwei Jahren des Aufschwungs, jetzt sei nicht die Zeit für Steuersenkungen, weil die Haushaltskonsolidierung im Vordergrund stehe, wird bereits heute absehbar im Falle des Abschwungs andersherum argumentiert: weil nun kein Geld mehr da sei, könne an Steuersenkungen schon gar nicht gedacht werden. Alles in allem, so meint ein Glos-Berater, „rächt sich jetzt, dass die große Koalition das Ziel des Haushaltsausgleich bis 2011 gestreckt hat“. Bis dahin sei „ein konjunktureller Rückschlag doch erwartbar gewesen“.

Die Lage ist misslich für Merkel. Mit ihrer stoischen Ruhe kann sie zwar momentan noch punkten. Doch erinnert ihre Politik immer mehr an das Konzept der „ruhigen Hand“, mit der ihr Vorgänger Gerhard Schröder einst ziemlich erfolglos die Rezession 2001/03 auszusitzen versuchte. Auch damals wirkte diese Idee zunächst eingängig, wollte man doch nicht in Aktionismus verfallen. Doch dabei ging wichtige Zeit verloren, in der die Regierung einige strukturelle und das Wachstum stärkende Reformen rechtzeitig hätte auf den Weg bringen können. Denn reagiert die Politik auf den Abschwung zu spät, könnten anti-zyklisch gedachte Sofortmaßnahmen, die am Beginn eines Abschwungs vielleicht noch sinnvoll wären, ihre Wirkung erst dann entfalten, wenn es mit der Wirtschaft ohnehin wieder aufwärts geht.

Den Gegnern von Steuersenkungen bei Union und SPD könnte ein Blick in die offiziellen Finanzberichte des Finanzministeriums aus den kritischen Konjunktur-jahren 2002 bis 2004 weiterhelfen. Darin würdigte der damalige SPD-Minister Hans Eichel die positiven Effekte seiner Steuererleichterungen. So heißt es im Bericht von 2004: „Eine verantwortungsvolle und erfolgreiche Konsolidierungsstrategie muss neben den notwendigen Strukturreformen durch eine auf Wachstum ausgerichtete Strategie ergänzt werden, die einen Abbau der Defizite erleichtert. Mit dem Vorziehen der Steuerreform 2005 setzt die deutsche Bundesregierung positive Impulse für den privaten Konsum und die Investitionsbereitschaft und stärkt damit die Wachstumskräfte.“

Milliarden für Beglückungsprogramme statt die Mittelschicht

Doch diese Ansicht vertritt heute in Berlin nur noch eine Minderheit. Noch nicht einmal eine im Bundesverband der Deutschen Industrie diskutierte Variante hat die Chance, von der Regierung ernsthaft erwogen zu werden. Dabei geht es um die wachstums- und vor allem inflationsbedingten Steuermehreinnahmen, die sich auf mehrere Milliarden Euro summieren und die deutlich über den Planzahlen der Haushaltskonsolidierung liegen. Bislang wurden diese ungeplanten Mehreinnahmen für neue Beglückungsprogramme ausgeben – anstatt wenigstens diese Gelder über Steuersenkungen an die viel zitierte Mittelschicht zurückzugeben.

Letztlich wird der Bürger in diesem unklaren steuerpolitischen Raum präzise Vorschläge vergeblich suchen. Dazu kommt: Union und SPD haben sich in den vergangenen Jahren nicht gerade durch steuerrechtliche Glaubwürdigkeit ausgezeichnet. Fraglich, ob sich die Steuer- und Abgabenpolitik zur Abgrenzung im beginnenden Wahlkampf eignet. Doch für Ersatz hat die CDU-Zentrale längst gesorgt: Zur Mobilisierung der eigenen bürgerlichen Klientel soll vor allem die Angst vor dem rot-rot-grünen Chaos geschürt werden. In diesem Konzept wäre Angela Merkel Garant für Stabilität und Berechenbarkeit – nicht aber für eine vorwärtsdrängende wirtschafts- und steuerpolitische Reformagenda.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%