Bundesregierung Politiker verschließen die Augen vor drohender Rezession

Die Zeichen für eine Rezession mehren sich – doch noch verschließt die Politik die Augen. Dabei droht Kanzlerin Merkel ein Wahlkampf im Abschwung.

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Parteivorsitzende Beck, Merkel Quelle: dpa

Noch hat die harte konjunkturelle Realität die Politik in Berlin nicht erreicht. Rezessionsängste in der deutschen Wirtschaft, deutliche Abkühlung beim ifo-Geschäftsklima- Index, nachlassende Weltkonjunktur – nichts von dem kann den von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Zwangsoptimismus verdonnerten Spitzenpolitikern der großen Koalition etwas anhaben. Wer, wie jüngst Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), auf wachsende Gefahren hinweist und ein steuerpolitisches Gegenkonzept fordert, wird von Merkel schnell rasiert.

Dass Glos eine Art Konjunkturprogramm in Umlauf brachte, bestehend aus Abschaffung der Pendlerpauschale, Eindämmung der „kalten Progression“ und Steuervereinfachungen, ärgerte Merkel gleich zweifach: Einerseits sieht sie die Rolle des Wirtschaftsministers eher beim Verbreiten von Zuversicht und zweitens hat sie bislang jede Form von Steuersenkung zum Tabu erklärt. Deshalb schickte sie ihren aus Bayern stammenden Regierungssprecher Ulrich Wilhelm mit sehr kritischen Worten vor, um das CSU-geführte Ministerium wieder auf Linie zu bringen.

Deutschland steht vor Steuerwahlkampf

Viele Politiker aus CDU und CSU rätseln aber, warum sich Merkel so festgelegt hat. Überzeugung oder Taktik? Da man bei der Kanzlerin weniger wirtschaftspolitische Grundüberzeugungen vermutet, stehen taktische Überlegungen im Mittelpunkt. Im Kanzleramt sieht man offenbar das Risiko, dass die Chefin einen Wahlkampf in den Abschwung hinein führen muss. Für diesen Fall, so heißt es im Wirtschaftsministerium, wolle Merkel „das Pulver wohl trocken halten“ und erst im eigenen Wahlprogramm mit Steuererleichterungen aufwarten.

Derweil stellt sich auch die SPD auf eine Art Steuerwahlkampf ein. In der Berliner Parteizentrale arbeiten die Genossen bereits an einem passenden Gegenkonzept zur Union. Während Merkel auf Steuererleichterungen setzen könnte, bevorzugen die Sozialdemokraten massive Abgabensenkungen. Diese hätten den Vorteil, dass sie Arbeitnehmer und Unternehmen zugleich und sehr schnell entlasten. Allerdings, so heißt es in der SPD auch selbstkritisch, seien Abgabenerleichterungen im Wahlkampf nicht „so sexy zu kommunizieren“ wie Steuersenkungen.

Weniger Geld im Portemonnaie

Der zweifelhafte Mechanismus einer Demokratie lässt sich gleichwohl schön beobachten: Erst wird den Bürgern das Geld mit massiven Steuererhöhungen aus der Tasche gezogen, um es dann, umverteilt und reduziert, als Wahl-Geschenk an die Bürger zurückzugeben. Einer internen Aufstellung des Wirtschaftsministeriums zufolge haben die Steuerbeschlüsse zu Beginn der großen Koalition mit höherer Mehrwert- und Versicherungsteuer, Kürzung der Pendlerpauschale und Abschaffung der Eigenheimzulage (die von den Bürgern als Belastung empfunden wird) zu 29,8 Milliarden Euro Mehreinnahmen im Haushalt geführt. Dem standen zwar Entlastungen bei Lohnnebenkosten (Senkung Arbeitslosenversicherung) und die Unternehmenssteuerreform in Höhe von 34,1 Milliarden entgegen – was einen Nettoentlastungssaldo von 4,3 Milliarden Euro bedeutet. Doch weil die Leistungsausweitung bei der Pflege zu höheren Beiträgen führte, die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls stiegen sowie die Rentenerhöhung und die Anhebung von Wohn- und Kindergeld finanziert sein wollen, hat der Normalbürger in Deutschland zum Ende der Regierungszeit der großen Koalition nicht mehr, sondern weniger Geld im Portemonnaie.

Da kommt zupass, dass die Politik zumindest kurz vor der Wahl an diese Bürger denkt. Doch möglicherweise haben die Wahlkampfstrategen die Rechnung ohne den Abschwung gemacht. Denn die öffentlichen Haushalte sind zu sehr auf Rand genäht, als dass gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten Spielräume vorhanden wären. Aber noch ist diese Einschätzung in Berlin nicht angekommen. Denn gerade die Steuereinnahmen und der Arbeitsmarkt hinken der konjunkturellen Entwicklung gewöhnlich um etliche Monate hinterher. Dies nährt die Hoffnung der Union, die Woge der nach wie vor äußerst positiven Steuereinnahmen könnte noch tief in das Wahljahr hineinschwappen. Ähnlich wird mit Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosenzahl argumentiert: Vielleicht könne man zur Wahl im September 2009 (traditionell der beste Monat in der Arbeitslosenstatistik) mit einer Bilanz von unter drei Millionen aufwarten.

Konjunkturindikatoren

Warnende Stimmen werden noch ignoriert. Sollte es aber konjunkturell rauer werden, dann werden die Bürger wieder vertröstet. Hieß es in den vergangenen zwei Jahren des Aufschwungs, jetzt sei nicht die Zeit für Steuersenkungen, weil die Haushaltskonsolidierung im Vordergrund stehe, wird bereits heute absehbar im Falle des Abschwungs andersherum argumentiert: weil nun kein Geld mehr da sei, könne an Steuersenkungen schon gar nicht gedacht werden. Alles in allem, so meint ein Glos-Berater, „rächt sich jetzt, dass die große Koalition das Ziel des Haushaltsausgleich bis 2011 gestreckt hat“. Bis dahin sei „ein konjunktureller Rückschlag doch erwartbar gewesen“.

Die Lage ist misslich für Merkel. Mit ihrer stoischen Ruhe kann sie zwar momentan noch punkten. Doch erinnert ihre Politik immer mehr an das Konzept der „ruhigen Hand“, mit der ihr Vorgänger Gerhard Schröder einst ziemlich erfolglos die Rezession 2001/03 auszusitzen versuchte. Auch damals wirkte diese Idee zunächst eingängig, wollte man doch nicht in Aktionismus verfallen. Doch dabei ging wichtige Zeit verloren, in der die Regierung einige strukturelle und das Wachstum stärkende Reformen rechtzeitig hätte auf den Weg bringen können. Denn reagiert die Politik auf den Abschwung zu spät, könnten anti-zyklisch gedachte Sofortmaßnahmen, die am Beginn eines Abschwungs vielleicht noch sinnvoll wären, ihre Wirkung erst dann entfalten, wenn es mit der Wirtschaft ohnehin wieder aufwärts geht.

Den Gegnern von Steuersenkungen bei Union und SPD könnte ein Blick in die offiziellen Finanzberichte des Finanzministeriums aus den kritischen Konjunktur-jahren 2002 bis 2004 weiterhelfen. Darin würdigte der damalige SPD-Minister Hans Eichel die positiven Effekte seiner Steuererleichterungen. So heißt es im Bericht von 2004: „Eine verantwortungsvolle und erfolgreiche Konsolidierungsstrategie muss neben den notwendigen Strukturreformen durch eine auf Wachstum ausgerichtete Strategie ergänzt werden, die einen Abbau der Defizite erleichtert. Mit dem Vorziehen der Steuerreform 2005 setzt die deutsche Bundesregierung positive Impulse für den privaten Konsum und die Investitionsbereitschaft und stärkt damit die Wachstumskräfte.“

Milliarden für Beglückungsprogramme statt die Mittelschicht

Doch diese Ansicht vertritt heute in Berlin nur noch eine Minderheit. Noch nicht einmal eine im Bundesverband der Deutschen Industrie diskutierte Variante hat die Chance, von der Regierung ernsthaft erwogen zu werden. Dabei geht es um die wachstums- und vor allem inflationsbedingten Steuermehreinnahmen, die sich auf mehrere Milliarden Euro summieren und die deutlich über den Planzahlen der Haushaltskonsolidierung liegen. Bislang wurden diese ungeplanten Mehreinnahmen für neue Beglückungsprogramme ausgeben – anstatt wenigstens diese Gelder über Steuersenkungen an die viel zitierte Mittelschicht zurückzugeben.

Letztlich wird der Bürger in diesem unklaren steuerpolitischen Raum präzise Vorschläge vergeblich suchen. Dazu kommt: Union und SPD haben sich in den vergangenen Jahren nicht gerade durch steuerrechtliche Glaubwürdigkeit ausgezeichnet. Fraglich, ob sich die Steuer- und Abgabenpolitik zur Abgrenzung im beginnenden Wahlkampf eignet. Doch für Ersatz hat die CDU-Zentrale längst gesorgt: Zur Mobilisierung der eigenen bürgerlichen Klientel soll vor allem die Angst vor dem rot-rot-grünen Chaos geschürt werden. In diesem Konzept wäre Angela Merkel Garant für Stabilität und Berechenbarkeit – nicht aber für eine vorwärtsdrängende wirtschafts- und steuerpolitische Reformagenda.

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