Bundestag beschließt 9-Euro-Ticket Mit dem 9-Euro-Ticket droht mehr Frust als Lust am Bahnfahren

Derzeit bereiten sich die Verkehrsverbünde auf das 9-Euro-Ticket vor, das ab 1. Juni gelten soll Quelle: dpa

Das 9-Euro-Ticket hat den Weg durch den Bundestag geschafft. Es soll Bus- und Bahnfahrer entlasten und den Verzicht aufs Auto attraktiver machen. Doch das Vorhaben ist umstritten - und dürfte ungewollte Folgen haben.

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Volker Wissing hat die Rushhour Berlins bereits kennen gelernt. Der Verkehrsminister nutzt ab und zu die S-Bahn, ist sie ihm in Stoßzeiten zu voll, nehme er lieber die nächste Bahn, erzählte der FDP-Politiker kürzlich. Künftig könnte Wissing allerdings länger warten – denn wenn ab Juni das 9-Euro-Ticket für drei Monate gilt, werden wohl nicht nur die Züge in der Hauptstadt voller.

So wurde der Ticket-Plan zwar bereits im April vom Kabinett verabschiedet, im Bundesrat regte sich aber vor allem aus Bayern Widerstand. Doch die Hürde ist genommen: Am Donnerstagabend hat der Bundestag den Weg für das 9-Euro-Ticket freigemacht, am Freitag dann auch der Bundesrat.

Das 9-Euro-Ticket ist Teil des Entlastungspakets, das die Ampel-Koalition angesichts der steigenden Energiepreise geschnürt hat: Für Autofahrende wird die Spritsteuer gesenkt, Bus- und Bahnfahrende können dafür drei Monate lang den Nah- und Regionalverkehr für jeweils neun Euro nutzen, sogar bundesweit. Das soll bisherige Kundinnen und Kunden entlasten – und Autofahrer für den ÖPNV begeistern.

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Das Thema ist umstritten, gerade zwischen den einzelnen Bundesländern. So entgehen den Ländern, die für den Nahverkehr zuständig sind, durch das günstigere Ticket Einnahmen. Auch, weil Monats- und Jahreskartenbesitzer die Differenz zu ihrem bisherigen Abo erhalten sollen. Dieses Minus will der Bund durch 2,5 Milliarden Euro ausgleichen. Dazu zahlt er den Ländern 1,2 Milliarden Euro aus einem erneuten pandemiebedingten Rettungsschirm, macht also insgesamt 3,7 Milliarden Euro. Das reicht den Ländern aber nicht.

Denn ob die Mindereinnahmen nicht doch 3,7 Milliarden Euro übersteigen, sei unklar. Damit die Länder nicht das Risiko tragen, müsse es „Nachschusspflicht“ durch den Bund geben, sagt die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz der Länder, Bremens Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne). 

Wissing will keinen Blankoscheck ausstellen

Wissing sieht aber gar kein Risiko. Denn in den Sommermonaten Juni, Juli und August sei nicht mit pandemiebedingten Mindereinnahmen zu rechnen, argumentiert er. Einen Blankoscheck will er den Ländern deshalb nicht ausstellen.

Doch die Länder wollen noch mehr. Sie fordern weitere 1,5 Milliarden Euro, um die stark gestiegenen Energie-, Bau- und Personalkosten im Öffentlichen Personennahverkehr ausgleichen zu können. Zahlt der Bund nicht, drohten womöglich höhere Ticketpreise oder ein geringeres Angebot, um die Kosten zu senken, heißt es in einem Brief von Schaefer an Bundesminister und Fraktionschefs im Bundestag. Beides sei nicht kompatibel mit dem Ziel, über das 9-Euro-Ticket auch die Mobilitätswende zu beschleunigen.   

Wie voll wird es Richtung Nord- und Ostsee?

Fraglich ist aber grundsätzlich, wie vergnüglich die Fahrten mit den 9-Euro-Tickets werden. Denn gerade die attraktiven Strecken zur Nord- und Ostsee oder anderen touristischen Zielen dürften stark frequentiert werden. Am Ende könnte der Frust also größer sein als die Lust auf eine Alternative zum Auto – zumindest dieser Schritt zur Verkehrswende hätte dann ein schnelles Ende.

„Keiner weiß, wie die Kompensation in Höhe von 2,5 Milliarden Euro überhaupt berechnet wurde“, kritisiert Thomas Bareiß, verkehrspolitischer Sprecher der Unionsfraktion und früherer Tourismusbeauftragter im Wirtschaftsministerium. Es sei „unklar, ob das Geld überhaupt reicht oder ob andere auf den Kosten sitzen bleiben“, sagt er. Mittelständische Unternehmen, die das Ticket vor Ort umsetzen müssten, würden dazu den großen bürokratischen Aufwand in der Abwicklung beklagen.

Bahn will nicht mehr Züge bieten

Aus Sicht von Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschafts- und Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) sind nicht nur finanzielle Fragen zu klären, sondern auch vertriebliche Aspekte wie Fahrradmitnahme, Behandlung von Abo-Bestandskunden oder die Berücksichtigung von Semestertickets.

Meyer, der als Minister auch für Tourismus zuständig ist, erwartet mit Blick auf die beliebten Ausflugs- und Reiseziele Engpässe. Zwar wolle das Land zusätzlich Beförderungsmöglichkeiten schaffen, doch zieht die Deutsche Bahn, die Meyer nicht namentlich erwähnt, dabei offensichtlich nicht mit. 



Das Personal sei während der Sommermonate zu knapp, Fahrzeuge nur begrenzt verfügbar, eine höhere Taktung deshalb nicht möglich ist, heißt es.  „Dies ist für ein Tourismusland wie Mecklenburg-Vorpommern mit hohen Besucherzahlen im Sommer nicht akzeptabel“, sagt Meyer: „Niemand möchte mit überfüllten Zügen in den Urlaub fahren.“

Die Bahn will sich nicht dazu äußern, ob und welche konkreten Vorbereitungen es zu den drohenden Überfüllungen gibt. Ina Brandes (CDU), Verkehrsministerin im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, fordert vom Bund umso mehr „Planungssicherheit und Klarheit“.

Mittelständlern drohten Liquiditätsprobleme

Die zusätzlich 1,5 Milliarden Euro seien „überlebensnotwendig für Busse und Bahnen in Deutschland. Es drohen sonst kurzfristige Liquiditätsprobleme bei oft mittelständischen Verkehrsunternehmen durch die Energiepreiserhöhungen im Zusammenhang mit der Ukrainekrise“, warnt sie. Das Gleiche würde für Unternehmen des Gütertransports gelten. „Jedes Zögern des Bundes gefährdet die Erreichung der Klimaziele“, erklärt Brandes.

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Wissing hat allerdings betont, dass er bei seinem Nein zu den Nachforderungen bleiben will. CDU-Verkehrspolitiker Bareiß erwartet jedoch eine Einigung auf den letzten Metern: Die Bundesregierung werde sich „bei all den Pleiten nicht noch eine Bruchlandung erlauben“, prophezeit er: „Die Länder werden sich eine Zustimmung zu diesem Versagen gut belohnen lassen“.

Mit Material von dpa
Redaktionelle Mitarbeit: Max Biederbeck

Dieser Text wurde erstmals im April 2022 veröffentlicht und später aktualisiert.

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