
Kurz vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den ESM an diesem Mittwoch warnen Rechtsexperten des Deutschen Bundestages davor, dass der permanente Euro-Rettungsschirm das Budgetrecht des Parlaments verletzen könnte. Das geht aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes hervor, das der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vorliegt.
In dem Schreiben vom 5. September heißt es laut Zeitung, eine „womöglich unmittelbare und potenziell unbestimmte Haftung“ für die Schulden anderer Staaten verletzte den Deutschen Bundestag in seinem Budgetrecht. Es sei nicht gerechtfertigt, die „Legitimation von Staatsgewalt und deren Ausübung durch Fesselung des Haushaltsgesetzgebers infolge von Verbindlichkeiten aus internationalen Übereinkünften praktisch zu entleeren“.
Weiter heißt es: Falle ein ESM-Mitglied als Fondseinzahler aus, „kommt es zu einer höheren Einzahlungspflicht der übrigen ESM-Mitglieder“. Das Gutachten hatte die Linkspartei in Auftrag gegeben, die neben anderen in Karlsruhe geklagt hatte.
Parteichef Bernd Riexinger zeigte sich zuversichtlich, dass seine Partei dort einen Teilerfolg erzielen werde. „Die Richter müssen im Mindestfall ein knallhartes Vetorecht für den Bundestag gegen alle Zahlungen einfordern“, sagte er der Zeitung.
Der europäische Rettungsfonds ESM
Der ESM soll über eine effektive Darlehenskapazität von 500 Milliarden Euro verfügen. Bei diesem maximalen Darlehensvolumen soll es unabhängig von den Verpflichtungen des auslaufenden Rettungsfonds EFSF bleiben. Um das Volumen tatsächlich zu erreichen, soll der ESM mit 700 Milliarden Euro ausgestattet sein. Davon entfallen 80 Milliarden Euro auf Bareinlagen und 620 Milliarden auf abrufbares Kapital in Form von Garantien. So soll die Bestnote bei der Kreditwürdigkeit („AAA-Rating“) garantiert sein.
Private Geldgeber und Inhaber von Staatsanleihen wie Banken und Versicherer sollen an Rettungsmaßnahmen nach den Regeln des Internationalen Währungsfonds (IWF) beteiligt werden. Es geht um Praktiken, die die Märkte und Mitgliedstaaten kennen. Auf schärfere Vorgaben wurde verzichtet. Die Umschuldungsklauseln in Staatsanleihen der Euro-Länder (Collective Action Clauses/Cacs), sollen weiter in den ESM eingebracht werden. Die Entschuldung Griechenlands mit einem freiwilligen Verzicht der Gläubiger auf ihre Forderungen soll aber ein Einzelfall bleiben.
Ist die Finanzstabilität der Eurozone bedroht, kann der ESM mit einer Mehrheit von 85 Prozent des Kapitalschlüssels entscheiden. (Quelle: dpa)
Am Mittwoch gibt das höchste Gericht in Karlsruhe seine Entscheidung über mehrere Eilanträge gegen den Rettungsschirm bekannt. Unmittelbar danach kann Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin im Bundestag in einer Regierungserklärung auf den Richterspruch zu ESM und Fiskalpakt reagieren.
Neuer Antrag von Gauweiler
Nach Ansicht von Koalition und SPD wird das Bundesverfassungsgericht den Euro-Rettungsschirm ESM bestätigen, obwohl der EZB-Beschluss zum Kauf von Staatsanleihen neue Fragen aufwirft. Mit Blick auf die erwartete Entscheidung sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) der „Bild am Sonntag“: „Bisher hat das Bundesverfassungsgericht niemals den Kurs der europäischen Integration als gegen das Grundgesetz gerichtet beurteilt.“
Der CSU-Politiker Peter Gauweiler reichte wenige Tage vor der Entscheidung einen neuen Eilantrag in Karlsruhe ein. Mit dem Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB), klammen Staaten im Falle eines Hilfegesuchs beim Euro-Rettungsschirm mit zusätzlichen Ankäufen von Staatsanleihen unter die Arme zu greifen, habe sich die Beurteilung der Rettungsmaßnahmen grundlegend geändert, argumentiert Gauweiler.
Über diesen neuen Eil-Antrag will das Bundesverfassungsgerichts am Dienstag seine Entscheidung bekannt geben. Bereits am Montagnachmittag traf sich der Senat in Karlsruhe, um darüber zu beraten.
Indessen haben weder Spanien noch Italien Anträge gestellt, um zusätzliche Anleihenkäufe zu ermöglichen. In diesem Fall müssten sich die Länder ganz oder teilweise den strikten Regeln des ESM unterstellen. Madrid gilt als erster Kandidat für ein Hilfegesuch. Doch Finanzexperten in Spanien zeigten sich zuversichtlich, dass allein schon durch die EZB-Entscheidung die Zinsen für spanische Anleihen am Kapitalmarkt weiter zurückgehen. Dies verringere die Notwendigkeit, ein Hilfegesuch beim Euro-Rettungsfonds einzureichen.