Bundestagsauftakt Mit der Methode Obama gegen die AfD

Erstmals wird heute auch die AfD im Bundestag sitzen. Die anderen Parteien wappnen sich mit teilweise unterschiedlichen Strategien. Den ersten Eklat dürfte es schon bei der Wahl des Parlamentspräsidiums geben.

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AfD-Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel: Harter Gegenwind im Bundestag. Quelle: AP

Berlin Für die etablierten Parteien dürfte es die erste große Herausforderung werden. Bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages am heutigen Dienstag wird mit der AfD erstmals eine rechtspopulistische Partei im Bundestag sitzen.

Dann sitzt die Grünen-Politikerin Claudia Roth im gleichen Saal wie Markus Frohnmaier. Das jüngste Mitglied der AfD-Fraktion hat nach den massenhaften sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht gesagt: „Meiner Meinung nach haben Leute wie Claudia Roth hier mittelbar mitvergewaltigt“.

Ob ähnlich raue Töne auch die künftige Debattenkultur im Parlament bestimmen werden? „Ich fürchte, dass es so kommen wird – und wenn schon nicht bei den von der Fraktion gesetzten Rednern, so doch bei Zwischenrufen von Abgeordneten, die sich nicht angemessen benehmen wollen“, sagte der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt dem Handelsblatt.

Damit rechnen auch Vertreter der etablierten Parteien. „Die neue Legislaturperiode fordert wahrscheinlich, was Debattenkultur und Anstand betrifft, einiges von uns ab“, sagte die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär dem Handelsblatt. Umso wichtiger sei es, dass auf Seiten der Unions-Fraktion mit Wolfgang Schäuble (CDU) und Hans-Peter Friedrich (CSU) zwei ehemalige Bundesinnenminister für das Präsidium des Bundestages kandidierten. „Die beiden sind erfahren, exzellente Juristen und kennen die Geschäftsordnung aus dem Effeff.“

Mit Spannung wird denn auch erwartet, welche Worte der neue Bundestagspräsident Schäuble nach seiner Wahl im Hohen Haus findet. Quer durch die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und Linken trauen viele dem dienstältesten Abgeordneten eine richtige Reaktion auf die AfDler um deren Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel zu.

Schon die Wahl von Schäubles Vizepräsidenten am Nachmittag dürfte der nach dem Weggang von zwei Mandatsträgern auf 92 Abgeordnete geschrumpften Fraktion Schlagzeilen bringen. Politiker aller anderen Fraktionen wollen deren Kandidaten Albrecht Glaser nicht wählen, weil dieser die Religionsfreiheit für Muslime in Frage gestellt habe. Die AfD stört das nicht, sie will an ihrem Kandidaten festhalten – komme, was wolle.

Das riecht nach dem ersten großen Ärger. Patzelt rechnet indes nur dann mit einem handfesten Eklat, „wenn die AfD hysterisch auf eine Niederlage ihres Kandidaten reagierte“. Die AfD kann Glaser insgesamt drei Mal zur Wahl stellen. Weitere Wahlgänge mit dem gleichen Bewerber sind dann nur nach Vereinbarung im Ältestenrat zulässig.

Allerdings haben sich die Parteien schon im Vorfeld festgelegt, dass sie den AfD-Kandidaten keinesfalls wählen wollen. Auch sonst wollen die Abgeordneten möglichst wenig persönlichen Kontakt zu den AfD-Abgeordneten. Das haben schon die schwierigen Debatten darüber gezeigt, wer im Plenum neben der AfD sitzt, gezeigt. Am Ende setzte sich die Bundestagsverwaltung durch: Die FDP muss nun vorläufig neben der AfD sitzen, deren Abgeordnete vom Rednerpult aus betrachtet rechtsaußen Platz nehmen dürfen. Dann folgen von rechts nach links FDP, CDU/CSU, Grüne, SPD und die Linke.


Binnen drei Jahren 32 Ordnungsrufe

Auch wenn direkte Treffen gemieden werden, der politischen Auseinandersetzung mit der AfD wollen die anderen Fraktionen aber nicht aus dem Weg gehen. Im Zweifel aber, also wenn die AfD bewusst provokant auftritt, soll es der neue Bundestagspräsident Schäuble richten. Die Erfahrung mit der AfD in den Landtagen zeige, dass ihre politische Arbeit „weitgehend inhaltslos ist“. Sie mache dort eher durch „Störungen oder Klamauk auf sich aufmerksam“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg dem Handelsblatt. „Das werden einzelne Abgeordnete sicher auch im Bundestag versuchen.“ Weder die anderen Fraktionen noch der neue Bundestagspräsident würden dies aber zulassen oder dulden.

Als Problem-Parlamentarier gilt etwa der Thüringer AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner. Als Abgeordneter im Erfurter Landesparlament kassierte er binnen drei Jahren 32 Ordnungsrufe. Insgesamt zwei Mal wurde das ehemalige CDU-Mitglied aus Parlamentssitzungen ausgeschlossen, etwa im Mai 2016. Zuvor hatte der Rechtsanwalt die Grünen unter anderem als „Koksnasen“ und „Kinderschänder“ beschimpft. Zum Vergleich: In der Statistik der Bundestagsverwaltung, die dem Handelsblatt vorliegt, werden für die vergangene Legislaturperiode insgesamt nur sieben Ordnungsmaßnahmen gegen Abgeordnete aufgeführt.

Möglich, dass Schäuble sich des Öfteren veranlasst sieht, Ordnungsmaßnahmen zu verhängen. Ihm obliegt es, für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Parlamentssitzungen zu sorgen. Der Bundestagspräsident „wahrt die Ordnung im Hause“, heißt es in der Geschäftsordnung des Parlaments. Für seine neue Aufgabe stehen Schäuble eine ganze Reihe an Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Er kann beispielsweise, ohne dass er den betreffenden Abgeordneten vorher zur Ordnung gerufen hat, ein Ordnungsgeld von 1000 Euro festsetzen, im Wiederholungsfall sogar 2000 Euro.

Der Bundestagspräsident kann Störer im Parlament auch zur Ordnung rufen. Wird ein Abgeordneter während einer Rede dreimal zur Sache oder dreimal zur Ordnung gerufen, kann der Präsident ihm das Wort entziehen. Bei „störender Unruhe“ im Parlament ist auch eine Sitzungsunterbrechung möglich. „Wegen gröblicher Verletzung der Ordnung“ kann der Bundestagspräsident Abgeordnete zudem für die Dauer der Sitzung aus dem Saal verweisen. Seit 1949 wurden mehr als 20 Abgeordnete vorübergehend von Sitzungen ausgeschlossen.

Der SPD-Politiker Johannes Kahrs geht davon aus, dass sich die AfD an die Geschäftsordnung des Bundestages hält. „Eine klare kante gegen rechtsradikales Verhalten und Auftreten im Bundestag erwarte ich von allen anderen Fraktionen“, sagte Kahrs dem Handelsblatt. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler. „Einer schleichenden Normalisierung der AfD und ihrer menschenfeindlichen, extrem rechten Propaganda im Bundestag muss man klar entgegentreten“, sagte Kindler dem Handelsblatt. „Das Präsidium muss konsequent eingreifen, wenn AfD-Vertreter rassistische und menschenfeindliche Aussagen im Bundestag tätigen.“

Auch Kindler gab zu bedenken, dass die bisherigen Erfahrungen aus den Landtagen zeigten, dass die AfD „im Kern eine rechtsradikale Partei“ sei, „die Hass und völkisches und nationalistisches Gedankengut in die Parlamente spült“. Die Vertreter der AfD hätten wenig Interesse an einer sachbezogen Arbeit und einer demokratischen Debattenkultur im Parlament. „Ihr Ziel ist es, ihre eigene rechte Filterblase auf Youtube und Facebook anzustacheln und durch gezielte Provokationen den öffentlichen Diskurs weiter nach rechts zu schieben“, betonte der Grünen-Politiker. Dagegen müssten die demokratischen Parteien „klug und entschlossen vorgehen und auch selbst zeigen, wie eine demokratische, lebendige Streitkultur jenseits von Hass und Diffamierungen im Bundestag geht“.

Der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich empfiehlt in dieser Hinsicht, sich an den USA ein Beispiel zu nehmen, etwa an Michelle Obama, die auf Donald Trump wie folgt reagierte: „When they go low, we go high“ – wenn die anderen ihre schlechteste Seite zeigen, zeigen wir unsere beste. Soll heißen: Das künftige Bundestagspräsidium und die anderen Fraktionen sollten sich nicht auf das „durchsichtige Spiel“ der AfD einlassen. Vielmehr solle man sich „scharf in der Sache, aber ohne Geschäftsordnungstricks mit dem rechten Rand des Bundestages auseinanderzusetzen“, sagte Liebich dem Handelsblatt.


„Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“

Der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer blickt indes gelassen auf mögliche verbale Entgleisungen der AfD-Parlamentarier. „Es gibt eine Art Disziplinierungseffekt der Regelungen, Traditionen und Debattenkultur in den Parlamenten, wie man am Beispiel der Grünen und der Piraten sehen konnte“, sagte Niedermayer dem Handelsblatt.

Tatsächlich galten die Grünen, als sie 1983 erstmals in den Bundestag einzogen, als schwer in den parlamentarischen Alltag integrierbar. Legendär ist der Satz des damaligen Abgeordneten und späteren Bundesaußenministers Joschka Fischer „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“. Dafür wurde Fischer seinerzeit für zwei Sitzungstage des Plenarsaals verwiesen. Das Beispiel der Grünen zeigt jedoch auch, dass die Entwicklung eine Partei weg vom reinen Protest möglich ist. Als Fischer 1998 erstmals im Bund auf der Regierungsbank Platz genommen hatte, kamen ihm barsche Töne nicht mehr über die Lippen.

Soweit ist die AfD noch lange nicht. Von einigen Abgeordneten wie dem Richter Jens Maier weiß man, dass sie sich daneben benehmen können. Maier gehört zum Rechtsaußen-Flügel um Björn Höcke. Gegen ihn läuft ein Parteiausschlussverfahren. Nach einer umstrittenen Rede in Dresden erteilte ihm der Präsident des Dresdner Landgerichts einen disziplinarischen Verweis, weil er nach dessen Überzeugung gegen das sogenannte Mäßigungsgebot für Richter verstoßen hatte. Maier hatte als Vorredner von Höcke unter anderem das Ende des deutschen „Schuldkults“ gefordert und über die „Herstellung von Mischvölkern“ orakelt.

Oder Wilhelm von Gottberg. Der 77-Jährige aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg war bis 2012 Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen. 2001 schrieb er im „Ostpreußenblatt“ über den Holocaust: „Als wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen und ihrer Geschichte wird immer noch ... der Völkermord am europäischen Judentum herangezogen.“ Als Abgeordneter will er sich dafür stark machen, den „Kult mit der Schuld“ zu beenden.

Schäuble dürfte das kaum durchgehen lassen. Reiche der Disziplinierungseffekt bei einigen Mitgliedern der AfD-Fraktion, die in der Vergangenheit durch völkisch-nationalistische oder in anderer Weise inakzeptable Äußerungen aufgefallen sind, nicht aus, müsse diesen Personen „vor allem durch den Bundestagspräsidenten Einhalt geboten werden“, sagte der Politik-Professor Niedermayer.

Generell plädiere er aber für einen „differenzierten Umgang“ mit der AfD. „AfD-Abgeordnete, die von der Fraktion für bestimmte Posten vorgeschlagen werden, sollten von den anderen Fraktionen dann abgelehnt werden, wenn diesen Abgeordneten konkrete Vorwürfe zu machen sind, wie zum Beispiel Herrn Glaser in Bezug auf seine Äußerungen zum Islam und Islamismus.“ Jemanden wegen seiner mangelnden parlamentarischen Erfahrung für einen Posten abzulehnen, sei hingegen „bei einer so jungen Partei, deren Abgeordneten noch gar keine diesbezüglichen Erfahrungen haben können, unlauter und stärkt die AfD in ihrer Opferrolle“.

Claudia Roth, die von der Grünen-Fraktion als Bundestagsvizepräsidentin nominiert wurde, will der AfD mit klarer Kante begegnen: „Der Bundestag ist kein Jagdrevier für Menschen wie Alexander Gauland und keine Hetzbude“, sagte sie. Gauland hatte am Wahlabend mit Blick auf die künftige Bundesregierung gesagt: „Sie kann sich warm anziehen. Wir werden sie jagen.“ Roth sagte dazu: „Ich lasse mich weder jagen noch vertreiben, sondern ich sage: Jetzt erst recht.“

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