Bundestagswahl 2017 Was denn nun, liebe SPD?

Sigmar Gabriel? Martin Schulz? Oder doch Olaf Scholz? Die Sozialdemokraten zögern bei der Frage der Kanzlerkandidatur. Dabei ist eines sicher: Ohne Wirtschaftsprofil ist die Wahl für die SPD verloren. Welcher Kandidat für was steht.

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Quelle: Laif

Sigmar Gabriel steht seit über anderthalb Stunden auf einer Bühne in der Berliner Zentrale der Friedrich-Ebert-Stiftung, langsam juckt es ihn. Er hat bereits eine dreiviertelstündige Rede abgeliefert, nun muss er längliche Fragen beantworten, sie kreisen um gerechtere Steuern und den Umgang mit der AfD. Aber nicht um das eine Thema, das ihn doch so umtreibt. Also greift Gabriel selbst zum Mikrofon. „Jetzt muss mal einer fragen, wer Kanzlerkandidat wird, sonst sind doch alle enttäuscht“, ruft er ins Publikum. Gelächter. „Ich hatte schon überlegt, ob ich Martin Schulz mitbringe.“ Noch mehr Gelächter.

Schließlich kommt noch eine Wortmeldung – zur Behindertenpolitik. Gabriel verlässt den Saal also ohne Kommentar zur K-Frage. Aber er wirkt amüsiert über die Verwirrung, die er mal wieder angezettelt hat.

Doch wer findet das sonst noch lustig? Die deutschen Sozialdemokraten, immerhin Vertreter der ältesten demokratischen deutschen Partei, spielen Kandidaten-Quartett mit dem Wähler. Gabriel hätte als Parteichef das Zugriffsrecht. Aber ob er darauf bestehen will, lässt er weder Partei noch Bürger wissen. Stattdessen half er, Martin Schulz, bislang Präsident des Europaparlaments, als neuen Hoffnungsträger in Berlin zu installieren. Als Außenminister? Oder als Herausforderer von Kanzlerin Angela Merkel? Dabei verfügt Schulz über so gut wie keine innenpolitische Erfahrung.

Die Stärken und Schwächen der möglichen SPD-Kanzlerkandidaten

Und als die Öffentlichkeit gerade gebannt auf Schulz blickte, schuf Gabriel neue Verwirrung. Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg, sei ja auch denkbarer Kanzlerkandidat. Pech bloß, dass Scholz davon nichts hören wollte. Um das Chaos komplett zu machen, erklärte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, sie wisse bereits, wer Kanzlerkandidat werde. Dumm nur, dass der Wähler noch immer nichts weiß. Ernsthaft, SPD?

Fest steht in dem Wirrwarr nur: Wer Kanzler können will, muss auch Wirtschaft können. Gabriel weiß das, deswegen hat er sich 2013 ja das Amt des Wirtschaftsministers ausgesucht. Ob er Überzeugendes geleistet hat, müsste der SPD-Chef als Kandidat für das mächtigste Amt des Landes beantworten. Etwa, wenn er zur Bundestagswahl 2017 in den Ring steigt, wofür weiterhin am meisten Indizien sprechen.

Doch der offene Ausgang des Kandidatenpokers schwächt Gabriel. Der Brüsseler Exilant Schulz jedenfalls steht intern beinahe schon auf Augenhöhe mit dem Parteichef und dürfte wohl in jedem Fall eine große Rolle im SPD-Wahlkampf spielen.

In Wirtschaftsfragen fiel Schulz bislang kaum auf

In der Tat, Schulz hat viele Meriten. Er kann einen Saal begeistern, die sozialdemokratische Seele wärmen. Als Präsident hat er das EU-Parlament auf Weltniveau gehoben und sich gleich mit. Wer in diesen Tagen mit Christdemokraten spricht, welcher SPD-Kandidat ihnen – und der Kanzlerin – am gefährlichsten werden könnte, hört meist einen Namen: Schulz. Dieser sei jemand, der „mit Menschen kann“, heißt es. Seine ungewöhnliche Lebensgeschichte, vom Alkoholiker zum hochdekorierten Mr. Europa, spreche viele an. Und selbst Schulz’ wenig glamouröse Erscheinung, Typ Erdkundelehrer, vermittele eine Bodenhaftung, die der deutsche Wähler schätze.

Aber ökonomische Themen haben den gelernten Buchhändler aus Würselen bislang kaum interessiert. „Schulz versteht nicht viel von Wirtschaft“, sagt Sven Giegold, Koordinator der Grünen im Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments. Der christdemokratische Kollege im Ausschuss, Burkhard Balz, teilt den Eindruck: „Akzente bei wirtschaftspolitischen Themen zu setzen war nicht sein Hauptansatz.“

In relevanten Debatten, etwa zur Regulierung von Autoabgasen oder zur Gentechnik, fiel Schulz noch als Fraktionsvorsitzender kaum auf. Als er 2012 als Präsident des Parlaments übernahm, steckte er immens viel Energie darein, dem Abgeordnetenhaus zu mehr Außenwirkung zu verhelfen. Vertreter aller Fraktionen würdigen dies als sein großes Verdienst. Aber Wirtschaftspolitik blieb Schulz weiter fremd.

Wichtiger war ihm stets etwas anderes: dabei zu sein, wenn die wirklich Mächtigen zusammenkamen, etwa bei den Gipfeln der 28 Staats- und Regierungschefs. Oder als der Präsident des Europäischen Rats mit den Präsidenten von Eurogruppe, der Europäischen Zentralbank und der Kommission einen Bericht zur Zukunft der Euro-Zone vorlegte. Der Parlamentarier-Chef Schulz stand selbst dort als Autor darunter, wenn auch an letzter Stelle.

Der Bericht enthält einiges, was in Berlin bis heute als inakzeptable Brüsseler Vision angesehen wird. Eine gemeinsame Einlagensicherung für die Euro-Zone etwa, die deutschen Sparern kaum zu verkaufen sein wird. Oder einen Stabilisierungsmechanismus für die Euro-Zone, der Schocks abfedern soll. Dies ist ein Beispiel für Fiskalföderalismus, der bei vielen Bundesbürgern – und Wählern – Alarmglocken schrillen lässt. In der eigenen SPD-Fraktion hat Schulz wegen des Berichts großen Ärger bekommen.

Deren Mitglieder wissen genau, wie unbeliebt derlei Themen zu Hause in Deutschland sind. Auch von deutschen Sparkassenchefs hat sich Schulz damals jede Menge wütende Kommentare anhören müssen. Das Papier war ganz und gar nicht in ihrem Sinne.

„Natürlich traut sich Scholz die Kanzlerschaft zu“

Schulz hat in Brüssel ohnehin selten deutsche Interessen vertreten, was zwar durchaus seiner neutral angelegten Rolle als Parlamentspräsident entspricht. Doch zugleich setzte er sich offen für italienische und französische Anliegen ein. „Die Regierungen in Rom und Paris hatten maßgeblich dazu beigetragen, dass er Spitzenkandidat wurde“, sagt der CDU-Abgeordnete Balz.

Vor allem, wenn es darum ging, den Euro-Stabilitätspakt zu schwächen, war auf Schulz Verlass. Er suchte etwa demonstrativ die Nähe zum griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. So forderte er den Griechen öffentlichkeitswirksam auf, sich mit seiner Partei Syriza der sozialdemokratischen Fraktion anzuschließen.

Auch in Sachen Handel gab sich Schulz selten betont unternehmerfreundlich. Zum Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) gerierte sich der Sozialdemokrat zwar erst als Vorkämpfer, der darüber länger verhandelte als die Staats- und Regierungschefs. Aber dann folgte er der Vorgabe von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ceta als gemischtes Abkommen einzustufen – obwohl das EU-Parlament mehrheitlich der Auffassung war, es unterläge allein EU-Kompetenz.

Als gemischtes Abkommen musste der Handelsvertrag aber von den Parlamenten aller Mitgliedstaaten sowie manchen Regionen ratifiziert werden. Der daraus folgende Abstimmungszoff blamierte die EU in aller Welt.

Schulz’ bisherige Ferne von jeder Bundespolitik zeigt sich auch darin, dass selbst Genossen rätseln, welchem Flügel der SPD er sich eigentlich zurechnet. Der Parlamentarischen Linken? Den Netzwerkern der Mitte? Oder dem konservativen Seeheimer Kreis? Letzteres, ist bei den Seeheimern zu hören. Zwar kann Schulz formal gar nicht Mitglied sein, weil er dazu erst Abgeordneter des Bundestages werden müsste. Aber als Genosse im Geiste sieht man ihn dort dennoch. Nur was daraus konkret politisch folgen könnte – bislang völlig unklar.

Ist das bei Olaf Scholz, dem Dritten im Bunde, klarer? Er ist der unwahrscheinlichste SPD-Kanzlerkandidat – was nicht hieße, dass er der Schlechteste wäre. Aber der Hanseat Scholz hat den Charme und Tonfall eines promovierten Krabbenkutterkapitäns. Eine Kombination, die südlich der Elbe nicht jeden anspricht. Zumal Scholz auch noch einen ausgeprägten Sinn für Ironie pflegt, der sich auf offener Bühne selten zu seinem Vorteil auszahlt.

In Hamburg regiert er aber wie ein selbstbewusster Vorstandschef. OWD – „Olaf will das“ – ist im dortigen Senat ein geflügeltes Wort für seinen klaren Führungsanspruch. Und nicht nur da. Beim jahrelangen Ringen um den Bund-Länder-Finanzausgleich organisierte er souverän und wendig die Interessen der Sozialdemokraten.

„Natürlich traut sich Scholz die Kanzlerschaft zu“, sagt ein führender Genosse. Doch könnte er auch Kandidat? Scholz ist ein Verfechter des starken Sozialstaats, aber er steht entschlossen zur Agenda 2010 und den Hartz-Reformen. Rot-Rot-Grün wäre mit ihm deshalb keine Machtoption. Das sozialpolitische Wolkenkuckucksheim vieler Linken ist ihm ein Graus.

Vergangene Woche hielt Scholz in Berlin die Festrede zum 25-jährigen Bestehen des SPD-Managerkreises. Es war ein Loblied auf eine vernunftbegabte, wirtschaftsnahe Sozialdemokratie der Mitte, die sich weder die Globalisierung noch Markt oder Sozialstaat kleinreden und kaputt machen lässt. „Wir können“, sagte Scholz, „die Welt nicht mit Sprüchen verbessern.“ Wer wollte, konnte dies als Bewerbung in eigener Sache verstehen.

Doch wohl eher nicht fürs Kanzleramt. In Hamburg ist Scholz unangefochten, dort könnte er sich 2020 zur Wiederwahl stellen und dann immer noch SPD-Chef oder Kanzlerkandidat werden. Er empfehle seiner Partei angesichts der miesen Umfragewerte „strategische Geduld“, hat er im Mai der WirtschaftsWoche gesagt. Auch das kann man als Memo an sich selbst lesen.

Fragt sich nur: Wie lange sollen die Wähler noch warten, bis sich die SPD entscheidet?

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