Bundestagswahl Briefwahl ist zunehmend gefragt

Die Briefwahl wird in Deutschland immer beliebter. Als Gründe nennen Fachleute unter andern die Individualisierung der Gesellschaft - und Bequemlichkeit. Was Briefwähler von Urnenwählern unterscheidet.

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Immer mehr Bürger stimmen bei der Bundestagswahl per Brief ab Quelle: dpa

Immer mehr Bürger stimmen bei der Bundestagswahl per Brief ab. „Die Zahlen zeigen nach oben“, sagt der Sprecher des Bundeswahlleiters, Klaus Pötzsch, in Wiesbaden. Dieser Trend gilt mit Schwankungen schon seit 1957, als die Briefwahl zugelassen wurde. Bei der Bundestagswahl 2013 machte fast jeder Vierte davon Gebrauch (24,3 Prozent) - so viele wie nie zuvor. Vier Jahre vorher (2009) hatte gut jeder Fünfte (21,4 Prozent) sein Kreuz per Brief gemacht. Bei der Europawahl 2014 war es dann schon mehr als jeder Vierte (25,3 Prozent).

Der Wahlforscher Rüdiger Schmitt-Beck sieht in dem Trend vor allem „einen Ausdruck der Individualisierung der Gesellschaft“. Die Briefwahl verschaffe den Menschen einen Autonomie-Spielraum, sagt der Wissenschaftler von der Universität Mannheim. „Wenn man den Wahlakt effizienter abwickeln kann, indem man irgendwann einfach zu Hause schnell sein Kreuz macht und das dann in den Briefkasten wirft, dann hat man schon mal Autonomie gewonnen für den Wahl-Sonntag.“ Diese Selbstbestimmung werde in der Gesellschaft immer wichtiger, gerade bei urbanen und hochgebildeten Gruppen sowie bei Menschen mit vielen beruflichen Möglichkeiten.

Die Menschen würden bequemer, flexibler und mobiler, sagt Pötzsch. Manche wollten sich den Sonntag für Unternehmungen frei halten, andere müssten arbeiten. „Ende September sind viele auch noch im Urlaub.“ 2013 fand die Bundestagswahl - wie 2017 - im September statt. Der Zuwachs bei den letzten Wahlen lasse sich aber auch damit erklären, dass die Briefwahl 2009 „quasi freigegeben wurde“. „Vorher musste man einen triftigen Grund anführen.“

Bequemlichkeit ist auch nach Einschätzung von Schmitt-Beck ein Motiv für die Briefwahl. „Sie wird eher von Leuten gemacht, denen Bequemlichkeit etwas bedeutet, zum Beispiel aufgrund körperlicher Gebrechlichkeit.“ Damit dürfte der Anteil der Briefwähler in der alternden Gesellschaft weiter steigen. Gerade für viele betagte Menschen ist die Briefwahl ja deutlich bequemer als der Weg zum Wahllokal bei unklarem Wetter. „Andererseits ist es für viele ältere Menschen auch ein Event, wählen zu gehen“, sagt Pötzsch.

Und was unterscheidet Briefwähler noch von Urnenwählern? Briefwähler seien älter, lebten eher in der Stadt als auf dem Land und seien eher höher gebildet, fasst Schmitt-Beck eine Analyse der Wahl von 2013 zusammen.

Klar ist, die allermeisten Briefwähler gehören nicht zu den Kurzentschlossenen. „Meistens wählen die per Briefwahl, die genau wissen, was sie wählen wollen“, sagt Pötzsch. „Briefwähler sind zwangsläufig Leute, die schon früher zu ihrer Entscheidung gelangen“, stellt auch Wissenschaftler Schmitt-Beck fest. Sind es also vor allem die Stammwähler? Darüber lasse sich nur spekulieren, sagt der Wahlforscher. „Diejenigen, die sich früher entscheiden, sind aber typischerweise parteigebundene Wähler.“

Welche Parteien profitieren von der Briefwahl? Der Zweitstimmenanteil der Briefwähler von CDU/CSU, FDP und Grünen lag 2013 leicht über dem der Urnenwähler dieser Parteien. Bei SPD und der Linken war es umgekehrt. Der Unterschied betrug bei den Unionsparteien, der SPD und den Liberalen je 1,8 Prozentpunkte, bei den Grünen waren es 2,1. Am größten war die Differenz bei den Wählern der Linken mit 2,8 Prozentpunkten.

Einen deutlichen Unterschied gibt es zwischen Ost und West. In den alten Bundesländern stimmen 2013 deutlich mehr Menschen per Brief ab als in den neuen. Spitzenreiter war Bayern mit einem Anteil von gut einem Drittel (35,3 Prozent), gefolgt von Hamburg (30,5 Prozent) sowie Berlin und Rheinland-Pfalz (beide 28,0 Prozent). Schlusslicht waren die Wähler in Sachsen-Anhalt mit 15,3

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