Digitaler Wahlkampf Wie Maschinen Meinungen machen

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Bausteine für Bots lassen sich im Web zusammenklicken

Inzwischen ist das Wissen, was einst nur Nerds horteten, massentauglich: Jeder Hobbyprogrammierer könne sich die Bausteine für Bots im Web zusammenklicken, sagt Tim Berghoff, Sicherheitsexperte beim Antivirussoftwarehersteller G-Data. Auf der Seite der Verteidiger sieht es hingegen deutlich einsamer aus.

Die Politiker in Berlin verlieren sich in Aktivismus, obwohl sie beliebtestes Ziel der Bot-Armeen sind. Von Forderungen, Bots zu verbieten, bis hin zum Aufruf, sie als „digitalen Hausfriedensbruch“ zu bestrafen, reichen die unbeholfenen, weil wirkungslosen Vorschläge aus den Parteien. Und es gibt hierzulande gerade mal eine Handvoll Experten, die bei dem Thema Polit-Bots überhaupt den Durchblick haben.

Einer davon ist Simon Hegelich, Politik-Professor an der Technischen Universität München. Schräg gegenüber von Hegelichs Büro steht in einem stickigen Raum das Herzstück seiner Arbeit: drei dicke Dell-Computer auf dem Boden, darauf eine etwas abenteuerlich anmutende Konstruktion aus kreditkartengroßen Minicomputern. Diese durchsuchen Tag und Nacht die sozialen Netze nach Diskussionen wie über den Zuzug von Flüchtlingen. Die Minicomputer haben in den vergangenen Monaten ein Datenarchiv von einem Terabyte Größe aufgebaut.

Hegelich, ein 40-Jähriger mit zerzaustem Haar, und sein Team gehen wie Kriminologen vor: Sie suchen nach Verhaltensmustern, mit denen sich Bots verraten. Hyperaktive Accounts, die mehr als 1000 Kurznachrichten am Tag verschicken. So etwas schafft nicht einmal Donald Trump. Verräterisch sind auch Nachrichten, die in regelmäßigen Abständen verschickt werden, oder Profile, die am Wochenende genauso aktiv wie unter der Woche sind.

Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel: Die Programmierer hauchen ihren Bots menschliche Gewohnheiten ein. Sie bringen ihnen bei, nachts Pausen einzulegen und Nachrichten in unregelmäßigen Abständen zu versenden. Die am weitesten entwickelten nutzen künstliche Intelligenz. Sie können auf Tweets antworten, wie ein Mensch es tun würde.

„Wir werden die Manipulation nicht verhindern können. Aber wir können aufklären“, sagt Hegelich. Demnächst will er die Ergebnisse seiner Bot-Analysen veröffentlichen und hofft, dass sich so weniger Menschen manipulieren lassen werden. Echte Macht über die Verbreitung hätten aber andere: die Plattformbetreiber wie Facebook und Twitter.

Die Konzerne haben mehr Geld, mehr Personal und Daten, um die Bots einzufangen. Aber diese beflügeln das Geschäftsmodell: Sie können bei Werbepartnern mit üppigeren Nutzerzahlen punkten. Zumindest Facebook sperrt mittlerweile Robo-Nutzer, die die Plattform aufstöbern kann. Twitter aber steckt in der Krise, jeder Nutzer zählt offenbar.

Forschern der University of Southern California zufolge sind bis zu 48 Millionen Bots weltweit auf Twitter unterwegs. Frühinvestor Chris Sacca schimpfte neulich gar, die Bots seien nur noch peinlich. Für ihre Schöpfer sind sie umso wirksamer: Mittlerweile seien bei jeder größeren Debatte in Deutschland Bots beteiligt, warnt Hegelich. Die haben bis zur Bundestagswahl wohl freies Spiel.

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