Knauß kontert

Was Merkel hinterlässt und noch hinterlassen wird

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Merkel regiert, ohne sich zu erklären

Was Taktik der Macht und was vielleicht doch unverhandelbare Prinzipien sind, das ist bei Merkel nicht klar zu erkennen. Ihr Erfolgsgeheimnis besteht vermutlich darin, nichts oder allenfalls wenig jenseits der Macht wirklich zu wollen. Von einem RTL-Moderator befragt nach der Motivation, Bundeskanzlerin zu bleiben, antwortete sie, dass sie „Lust auf Zukunft habe und Freude, immer wieder neue Menschen kennenzulernen.“ So etwas sagen orientierungslose Schulabgänger. Aber sie kommt damit durch. Das einzig Mysteriöse an der langen Kanzlerschaft der Angela Merkel ist, dass sie regieren kann, ohne sich erklären zu müssen. Keiner ihrer Vorgänger konnte das.

Das Vermächtnis Angela Merkels, das kann man nach 12 Jahren schon sagen, ist keine positiv formulierbare Politik, sondern eher das Gegenteil. Sie hat nicht Ziele durchgesetzt, sondern Themen "abgeräumt", indem sie politische Überzeugungen und Grundsätze aufgab, die ihr vor allem Hindernisse auf dem Weg zu Koalitionen, also zum Gewinn oder Erhalt von Macht waren.

Merkel ist nicht die Erfinderin dieser Tendenz der Entpolitisierung der etablierten Parteien. Die gibt es schon lang und nicht nur in Deutschland. Aber Merkel ist deren unangefochtene Meisterin und Nutznießerin. In ihrer Partei, die sich zuvor stets auch als Stimme der gemäßigt Rechten, der Konservativen und der konsequenten Ordnungspolitik begriff, ließ sie fast alles, was man als eine exponierte Position empfinden könnte, verkümmern. Zugunsten einer wohlgefühligen Mitte, in der man allseits koalitionsfähig ist.

Die Spitzenkandidaten der Parteien zur Bundestagswahl 2017
Angela Merkel Quelle: REUTERS
Martin Schulz Quelle: AP
Joachim Herrmann Quelle: dpa
Christian Lindner Quelle: REUTERS
Katrin Göring-Eckardt Quelle: dpa
Cem Özdemir Quelle: dpa
Alice Weidel Quelle: dpa

Machttaktisch bleibt Merkel voll und ganz erfolgreich: Sie ist nach 12 Jahren Regierung in der demokratietheoretisch nicht vorgesehenen und in der Nachkriegsgeschichte einmaligen Lage, eigentlich gar nicht abgewählt werden zu können. Und das obwohl ihre Partei deutlich weniger Stimmen erhalten dürfte als in den 1970er Jahren die Wahlverlierer Rainer Barzel, Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß. Die hatten politische Positionen, aber keinen Koalitionspartner.

In die Geschichte eingehen wird aber nicht Merkels Machterhalt als solcher. Nachhaltig bleiben werden vermutlich vor allem die späten Kosten der raffinierten Merkelschen Machttaktik. Sie sind verschiedener Natur. Wie teuer die deutschen Steuerzahler und Sparer die Energiewende, die sozialstaatlichen Lasten der großen Einwanderungswelle von 2015/16 und die Kosten der Rettung des Euro bezahlen werden, ist unabsehbar. Was das Vermächtnis Merkels für die deutsche Parteienlandschaft, nämlich die aus reiner Opposition gegen ihre Politik aufgestiegene AfD, für die politische Kultur in Deutschland bedeuten wird, ist ebenso unabsehbar. Dass diese vier Posten in Merkels 12-Jahres-Bilanz in absehbarer Zeit positiv ausfallen werden, kann man beim besten Willen kaum glauben.

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