Schlusswort

Die Bundesregierung braucht mehr Mut zum Risiko

Dem Bundestag werden 76 Unternehmerinnen und Unternehmer angehören. Das ist besser als bisher, reicht aber nicht.

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Jamaika-Fahne vor dem Bundestag. Quelle: dpa

Bei den unternehmerischen Tugenden geht der deutschen Politik schnell die Puste aus. Will dieses Land wirklich noch etwas Besonderes schaffen, über sich selbst hinauswachsen? Oder fühlen sich viele als Verwaltungsbeamte ihrer eigenen Gegenwart eigentlich ganz wohl? Wahlergebnis und die Diskussionen um die Bildung einer neuen Bundesregierung deuten auf Letzteres hin.

Niemand in der Bundespolitik hat Erfahrungen mit Jamaika. Das könnte man als Startvorteil betrachten. Macht aber kaum jemand. Stattdessen überbieten sich die möglichen Koalitionspartner im Unkenrufen. Bloß die Erwartungen nicht zu hoch schrauben, bloß die tiefen inhaltlichen Gräben nicht aus den Augen verlieren, bloß nicht aufs Gelingen setzen. Kleinkinder und allzu zart besaitete Zeitgenossen schützen sich durch die ewige Annahme des Allerschlechtesten vor Enttäuschung. Aber von denen, die ein Land führen wollen, darf man mehr Risikobereitschaft erwarten.

Selbst FDP-Chef Christian Lindner feilt inzwischen die Ecken und Kanten seiner Äußerungen sorgsam glatt. „Sonnig, aber fern“ fällt ihm zu Jamaika ein und der Hinweis, es gebe „keinen Automatismus“. Dabei war Lindner einer der wenigen, die im zurückliegenden Wahlkampf mit Energie für Veränderung gekämpft haben. Vier Jahre hat er alles in den Wiederaufstieg der FDP investiert, um die Partei aus dem schwarzen Loch wieder ins Licht des Bundestags zu führen. Das ist eine Leistung. In Deutschland wird man dafür als Ehrgeizling und liberaler Posterboy beschimpft.

Zum Erfolg gehört auch, dass man sich langfristig vorbereitet. Die SPD ist zum dritten Mal blindlings in einen Wahlkampf hineingestolpert. Sie hat in zwölf Jahren drei Männer mit S verschlissen, jeweils ohne klare politische Programmatik, ohne professionelles Wahlkampfmanagement und ohne Antwort auf die Frage, ob der Kandidat überhaupt der richtige ist.

Eine SPD-Kanzlerkandidatur hat inzwischen die Anmutung eines Opfergangs. Das ist eine Zumutung für Kandidaten, Partei und die Demokratie. Mit Kopfschütteln vernimmt man Thomas Oppermanns kläglichen Versuch des Rücktritts vom Rückzug in die Opposition. Auf so eine Idee kann nur kommen, wer Regierungsämter als Beamtenposten versteht.

Und die Bundeskanzlerin? Sieht weiter nicht, was sie ändern müsste nach dem schlechtesten Wahlergebnis für die Unionsparteien nach 1949. Gesprächsbedarf? Keiner.

Vielleicht ist das sogar strategisch klug in einem Land, in dem auch Protestwähler ihren Schwung nicht für Veränderung nutzen, sondern lieber zurück in die Vergangenheit wollen.

Wir werden nicht vorankommen, wenn Politik und Bürger sich in Ambitionslosigkeit unterhaken. Eine Portion Gründergeist für Jamaika könnte neuen Schwung bringen und nach innen und außen signalisieren: Deutschland will noch was. Wahrnehmung schafft Wirklichkeit.

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