Schulz: SPD will Rentenniveau von 48 Prozent halten
Wenn Sozialdemokraten über Rente reden, dann wird es schnell pathetisch. Martin Schulz und Andrea Nahles machen da an diesem Mittwochmittag keine Ausnahme. Gerechtigkeit und Solidarität, der Wert von Arbeit und Lebensleistung – fast alles, was Genossen lieb und teuer ist, kommt in der Rente zusammen.
Eine verlässliche Alterssicherung sei „das Kernversprechen einer solidarischen Gesellschaft“, sagt der Kanzlerkandidat mit lauter Stimme. Die Arbeitsministerin, die neben ihm auf der Bühne im Berliner Willy-Brandt-Haus steht, kann noch leidenschaftlicher: „Was wir uns nicht leisten können, sind Menschen, die den Glauben an eine auskömmliche Rente verlieren“, sagt sie. Und: „Die Rente ist nicht umsonst – aber sie ist es wert.“
Darunter macht es die SPD selten. Alle vier Jahre, zu jeder Bundestagswahl, ringt die Partei um ihre Eckpunkte für die Absicherung des Ruhestands – und stets tut sie es mit einem heiligen Ernst und aufrechtem Eifer. Als ginge es darum, gleich das sozialdemokratische Glaubensbekenntnis neu zu schreiben.
Das neue Rentenkonzept der SPD
Für künftige Rentner bedeutet das laut Nahles höhere Renten, als sie nach derzeitigem Recht zu erwarten hätten. Ein Durchschnittsverdiener erhielte 2030 nach ihren Worten auf Grundlage des SPD-Konzepts 150 Euro mehr Rente im Monat, ein Facharbeiter könne mit einem Plus von 225 Euro rechnen. Das seien 8,1 Prozent mehr als nach geltendem Recht.
Die Kosten bezifferte Nahles auf 20 Euro per Person und Monat, wenn die Gesamtkosten von 19,2 Milliarden Euro im Jahr 2030 auf die Bevölkerung von 80 Millionen verteilt würden.
Quelle: Reuters
Stand: 07.06.2017
Derzeit erhält ein Rentner, der 45 Jahre den Durchschnittlohn verdient hat, eine Rente von 48 Prozent des aktuellen Durchschnittslohns. Dieses Rentenniveau ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Im Jahr 2003 lag es noch bei 53,3 Prozent. Ein weiteres Absinken ist programmiert durch die rot-grünen Rentenreformen: Ein Nachhaltigkeitsfaktor sorgt dafür, dass die Renten langsamer oder gar nicht zulegen, wenn die Zahl der Rentner stärker steigt als die Zahl der Beschäftigten. Nach derzeitigen Berechnungen könnte das Rentenniveau bis 2030 auf 44,7 Prozent fallen. Laut SPD-Konzept soll es nun bis 2030 stabil bei 48,0 Prozent bleiben.
Den Beitrag zur Rentenversicherung teilen sich je zur Hälfte Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dieser beträgt derzeit 18,7 Prozent. Nach bisherigen Berechnungen muss der Beitrag erstmals 2022 wieder steigen und bis 2030 auf 21,8 Prozent klettern. Das SPD-Konzept sieht ab 2024 einen etwas stärkeren Anstieg vor, der 2030 21,9 Prozent erreichen würde. Jedes Zehntel Beitragssatzpunkt mehr kostet die Beitragszahler derzeit rund 1,3 Milliarden Euro.
Ab 2028 soll laut SPD-Konzept der Bund einen "Demografiezuschuss" in die Rentenkasse zahlen. Dieser würde von 14,5 Milliarden auf 15,3 Milliarden Euro im Jahr 2030 steigen.
Schon ab 2018 soll eine Solidarrente für Geringverdiener greifen, die 35 Jahre oder länger Beiträge gezahlt haben. Die Solidarrente soll zehn Prozent über der regional unterschiedlich hohen Grundsicherung im Alter liegen, die in der Höhe Hartz IV entspricht. Dabei werden Zeiten der Kindererziehung und Pflege angerechnet.
Selbstständige sollen die Rentenversicherung einbezogen werden, sofern sie nicht über ein Versorgungswerk abgesichert sind, die es etwa für Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte und Steuerberater gibt. Nach Angaben aus dem Arbeitsministerium gibt es etwa drei Millionen Selbstständige, bei denen nicht klar ist, ob sie in irgendeiner Form abgesichert sind. Durch die Einbeziehung eines Teils von ihnen steigen die Beitragseinnahmen. Laut Nahles werden Einnahmen in Höhe von 0,4 Prozentpunkten eines Beitragspunktes erwartet. Die SPD sieht dies als ersten Schritt zu einer Erwerbstätigenversicherung.
Rente - die eierlegende Wollmilchsau der Sozialpolitik
Die Botschaft, die Schulz und Nahles im Wahljahr 2017 verbreiten wollen, ist nicht zu überhören: „Sorgt Euch nicht, denn wir sorgen für Euch.“ Wer ihnen lauscht, hört dann zwar auch etwas von der Alterung der Gesellschaft, von den Lasten, die auf das System bereits in wenigen Jahren zukommen – aber dennoch: die Rentenversicherung wirkt erst einmal wie ein Zauberapparat, der Geld und gute Leistungen ausspuckt, der umverteilt und ausschüttet, ohne dabei irgendjemanden zu überfordern. Wie die eierlegende Wollmilchsau der Sozialpolitik also.
Das Rentenniveau? Soll bei 48 Prozent, also nahezu auf dem heutigen Stand, stabilisiert werden, noch dazu bis 2030. Die Beiträge? Steigen zwar, aber nur bis auf das bereits ohnehin gesetzlich fixierte Höchstmaß von 22 Prozent, nicht darüber hinaus. Dies ist die „doppelte Haltelinie“, die Nahles bereits im Herbst als Ministeriumskonzept vorgestellt hatte – mit dem kleinen, feinen Unterschied, dass damals nur 46 Prozent Rentenniveau als absicherbar galten. Für das Wahlprogramm, die eigenen Leute und die fordernden Gewerkschaften sollte es aber etwas mehr sein.
Und auch dies musste sein: „Mit mir wird es keine Erhöhung des Renteneintrittsalters geben“, verspricht Schulz. Genüsslich zitiert der Merkel-Herausforderer bei seinem Auftritt mehr als einmal CDU-Politiker wie Wolfgang Schäuble und Jens Spahn, die in diese Richtung denken. Sogar Zeitungsanzeigen hat die Partei heute eigens mit dieser Botschaft geschaltet. Man wird diesen Sound ganz sicher im Sommer auf den Marktplätzen der Republik hören.
Man muss den Sozialdemokraten allerdings zugutehalten, dass sie sich am Ende nicht um die Frage drücken, was all diese Versprechen kosten. Nahles sagt es dann sogar sehr genau: 19,2 Milliarden Euro im Jahr 2030. Problematisch ist: Ab 2025 gehen die geburtenstarken, gut verdienenden Babyboomer in Rente. Um die Altersversorgung dann trotz dieser Belastung weitgehend stabil zu halten, soll diese große Summe nach Willen der Genossen über mehr Steuermittel aufgebracht werden. Nötig würde das aber erst ab Ende der Zwanzigerjahre.





Da beginnt die Unredlichkeit der beiden Wahlkämpfer. Sie zeichnen für die kommenden fünf bis zehn Jahre ein überaus rosiges, vertrauenerweckendes Bild, beantworten die große Finanzierungsfrage hingegen einfach mit einer vagen Hoffnungsziffer. Schon heute funktioniert das Rentensystem nur mit mehr als 80 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen. In einigen Jahren dürfte sich die Zinsbelastung des Bundeshaushaltes ganz anders darstellen – 20 Milliarden Euro jährlich sind dann alles andere als leicht zu schultern. Nachhaltige, ehrliche und belastbare Rechnungen sehen anders aus.
Schulz und Nahles verschweigen außerdem, dass die Rentenpolitik dieser Koalition – Mütterrente! Rente ab 63! – bereits im zweistelligen Milliardenumfang von den Arbeitnehmern zu den Rentnern umverteilt hat. Zwei folgenschwere Fehler, die den künftigen Spielraum unnötig stark eingeschränkt haben. Sie übergehen auch, dass die schwarz-rote Frühverrentung genau den Fachkräftemangel erzeugt, der nun mit einem „neuen Generationenvertrag“ und mehr qualifizierter Einwanderung bekämpft werden soll. Und warum künftig eine „Solidarrente“ die Lebensleistung von Kleinrentnern erst mit 35 Beitragsjahren belohnt, aber nicht mit 29 oder 33, auch das bleibt willkürlich.
Es müsse endlich mehr „Mut zur Zukunft“ geben, sagt Schulz am Ende. Zuerst sollte er sich den Problemen der Gegenwart stellen.