Die SPD tritt in diesem Wahlkampf nicht gegen die Union an, so verbreitet dieser Irrtum auch ist. Sondern zum Beispiel gegen sich selbst. Nur sie zeichnet sich durch Parteigranden aus, die Merkel besser finden als Schulz (Klaus von Dohnanyi), die die Lindner-FDP besser finden als Schulz (Wolfgang Clement) - und die sich selbst besser finden als Schulz (Gerhard Schröder).
Davon abgesehen, sitzt die SPD zwischen allen Stühlen: Was immer sie vorschlägt und anpackt, wird von zwei Seiten attackiert und auseinandergenommen. Und deshalb gibt es für die SPD, so seriös und ernsthaft ihre Reformprojekte auch sind, an der Meinungsbildungsfront nichts zu gewinnen. Die Bürgerlichen werfen ihr zu viel Umverteilung vor, die Linken zu wenig. Die Besitzenden schreien: Haltet den Dieb! Und die Besitzlosen fühlen sich verraten. Für Martin Schulz gibt es daher auf den letzten Metern nichts mehr zu gewinnen, aber noch viel zu verlieren. Prognose: 19 Prozent.
Wahl-ABC: Vom aktiven Wahlrecht bis zur Zweitstimme
Wer mindestens 18 Jahre alt ist und einen deutschen Pass hat, darf wählen. Mit ihren beiden Stimmen entscheiden die Wähler und Wählerinnen über die Zusammensetzung des Bundestages. Um als Abgeordneter gewählt zu werden, muss man ebenfalls mindestens 18 Jahre alt sein.
Wer seine Stimme nicht im Wahllokal abgeben mag - aus welchen Gründen auch immer -, kann auf Antrag bereits vor der Wahl per Brief abstimmen. Bei der letzten Wahl machte fast jeder Vierte davon Gebrauch.
Erfolgreichen Kandidaten winkt eine üppige Bezahlung. Als Abgeordnete erhalten sie derzeit monatlich eine steuerpflichtige „Aufwandsentschädigung“ von 9542 Euro. Hinzu kommt eine steuerfreie Kostenpauschale von 4318 Euro, die nicht belegt werden muss. Auf Kosten des Steuerzahlers geht auch eine beitragsfreie Altersversorgung.
Am Wahlabend debattieren die Vorsitzenden der Bundestagsparteien im Fernsehen das Ergebnis. TV-Geschichte schrieb die turbulente „Berliner Runde“ 2005, die von Vertretern von ZDF und ARD moderiert wurde. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) wollte seine Niederlage nicht zugeben.
Bei der Sitzverteilung werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erreicht haben - es sei denn, sie erobern drei oder mehr Direktmandate (Grundmandate). Die Stimmen für die an der Hürde gescheiterten Parteien gehen verloren. So 2013 die der FDP, die mit 4,8 Prozent erstmals nicht in den Bundestag einzog.
Niemand soll erkennen oder kontrollieren, wie jemand wählt. Dazu dienen etwa die Wahlkabine. Dort ist das Fotografieren und Filmen ausdrücklich verboten.
Im Verlauf des Wahlabends liefern amtliche Teilergebnisse Hinweise auf den Ausgang. Im Unterschied zu Hochrechnungen beruhen die zuvor um Punkt 18 Uhr verbreiteten Prognosen auf der Befragung von Wählern.
Rund drei Millionen junge Leute dürfen erstmals den Bundestag wählen. Beim letzten Mal machten sich nur etwa 60 Prozent die Mühe. Den größten Rückhalt bei den Jungwählern fand die Union, gefolgt von der SPD. Auch die Grünen wurden zweistellig.
Der Bund erstattet den Ländern für deren Gemeinden Kosten etwa für Porto und „Erfrischungsgeld“ für Hunderttausende Wahlhelfer. In diesem Jahr werden schätzungsweise 92 Millionen Euro fällig.
Die sogenannten Social Bots können in den sozialen Netzwerken menschliche Nutzer simulieren, etwa zur politischen Stimmungsmache. Bei den vergangenen Präsidentenwahlen in den USA sorgten die Meinungsroboter für Irritationen.
Bei der Wahl 2013 blieben 17,6 Millionen Wahlberechtigte zu Hause, zuvor waren es mehr als 18 Millionen.
Über eigene Webseiten und Angebote in sozialen Medien verbreiten die Parteien ihre Botschaften. Wie herkömmlich auf Plakaten und Veranstaltungen setzen sie auch hier auf ihr Spitzenpersonal.
Die Parteien bestimmen selbst, wer auf ihren Listen kandidiert. Die für vier Jahre gewählten Abgeordneten entscheiden dann stellvertretend für die Bürger über wichtige Angelegenheiten.
Wer nur in einigen Dingen einen Betreuer braucht, darf wählen. Wer aber „in allen Angelegenheiten“ betreut werden muss, darf das nicht. Das gilt auch für psychisch kranke Straftäter.
Mit ihnen ziehen die meisten Parteien in den Wahlkampf, um ein persönliches Gesicht zu präsentierten. Beide Unionsparteien treten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als Kanzlerkandidatin an, bei der SPD ist Parteichef Martin Schulz der Frontmann. Linke und Grüne haben jeweils eine Doppelspitze.
Hier erleben die Zuschauer der vier großen Fernsehsender ARD, ZDF, RTL und Sat.1 die Kanzlerin und ihren Herausforderer live im direkten Vergleich. Trotz schwacher Umfragen hofft SPD-Kandidat Schulz auf eine Wende. Seit 2002 zählen die Fernsehduelle zu den Höhepunkten des Wahlkampfs.
Sie entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Erststimmenmandate gewinnt, als ihr nach Zweitstimmen zustehen. Seit 2013 werden für Überhangmandate sogenannte Ausgleichsmandate vergeben. So entspricht die Zahl aller Sitze im Bundestag wieder dem Anteil der Zweitstimmen.
Wer etwa mehrere Parteien ankreuzt oder Bemerkungen auf dem Stimmzettel macht, wählt ungültig. Das gilt auch für Menschen, die gar nichts ankreuzen. Einfluss auf das Wahlergebnis hat das alles keinen. Allerdings werden ungültige Stimmen bei der Wahlbeteiligung mitgezählt.
Sie zeigt, wie viele an die Urnen gegangen sind oder per Brief abgestimmt haben. Zuletzt waren es nur gut 71 Prozent. Weil keine Mindestzahl vorgeschrieben ist, wäre eine Wahl auch gültig, wenn 99 Prozent der Wahlberechtigten zu Hause blieben.
Sie wird auf der rechten Hälfte des Stimmzettels für die sogenannte Landesliste einer Partei angekreuzt. Nur die Zahl dieser Stimmen ist für die Sitzverteilung im Bundestag ausschlaggebend. Die Erststimme entscheidet über die Direktkandidaten in den 299 Wahlkreisen.
Womit wir bei den Linken und bei der AfD wären. Beide Parteien werden bis weit in bürgerliche Milieus hinein auf je ihre Weise als eine Opposition wahrgenommen, die diesen Namen auch verdient. Beide Parteien sind Gegenentwürfe gegen die kränkelnden Liberalismen der westlichen Welt: gegen den Wirtschaftsliberalismus der Weltkonzerne, die am Abbau der Sozialen Marktwirtschaft arbeiten - und gegen den Kulturliberalismus der Pluralisten und Permissiven, die am Abbau des Nationalen, der Identität, der Heimat und altfamiliären Ordnung arbeiten. Und schließlich geben beide Parteien den Gekränkten und Abgehängten eine Stimme, den Zeitarbeitern, Niedriglöhnern und Hartz-IV-Anhängern, für die Merkels Selbstzufriedenheit eine Provokation ist und Schulz’ angestrebtes Sozialreförmchen ein Witz.
In weiten Teilen Ostdeutschlands werden sich daher nicht Merkel-CDU und Schulz-SPD, sondern die Linke und die AfD das eigentliche Duell liefern. Für Westdeutschland gilt: Der Zuspruch für beide Parteien wird wachsen - weil es nach vier Jahren der Großen Koalition, nach Bankenrettung und Abgasskandal, infolge der Flüchtlingskrise und explodierender Mietpreise, noch nie so gute Gründe gab, mit „dem Geld“ und „den Mächtigen“ unzufrieden zu sein. Prognose: jeweils 12 Prozent.
Die FDP ist die heimliche Oppositionspartei der CDU - und als eine Art freie Radikale den Linken und der AfD durchaus verwandt: Während die Union rein gar nichts ändern will, will die FDP im Namen eines Neuanfangs alles zurück auf Null drehen. Dabei überdreht sie mal wieder gewaltig. Versucht mal, der AfD ein wenig Wasser abzugraben (Lindner gibt die Krim verloren) - und gibt sich ansonsten, in Abgrenzung zur Großen Koalition, demonstrativ zukunftsselig, optimistisch, unbesorgt: „Digital first - Bedenken second“.