Braucht es noch eines Beleges, dass es Deutschland gut geht, sehr gut, vielleicht zu gut, dieser Abend hat ihn geliefert. Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Herausforderer Martin Schulz trafen sich zum einzigen TV-Duell dieses Bundestagswahlkampfes, es sollte um die Zukunft unseres Landes gehen, die Zukunft von Deutschland.
Aber: Bis beide wirklich über Deutschland sprachen, dauerte es bis 21.13 Uhr, beinahe eine Stunde. Gewiss, zuvor ging es um die Flüchtlingskrise, um die Frage, ob überhaupt - und falls ja, wie lange - Neuankömmlinge hier bleiben dürfen, wie gut die Integration derer gelingen kann, die bleiben werden. Auch um die aktuelle und die zukünftige Immigrationspolitik ging es laufend hin und her, natürlich ebenso um den Umgang mit der Türkei und deren unberechenbarem Präsidenten und den Zusammenhalt in Europa, so ganz generell.
Nicht falsch verstehen: All dies sind hoch wichtige Themen. Es sind durchaus Sujets, die unsere Zukunft maßgeblich beeinflussen werden. Es sind aber nicht Themen, die unsere Zukunft, auch unser Fortbestehen als Wohlstandsrepublik, alleinig prägen werden. Um diese Zukunft komplex abzubilden, müsste man auch über den digitalen Wandel sprechen und streiten, über unser Bildungssystem sowieso, natürlich ebenfalls über Umwelt- und Energiefragen.
Einigkeit in Flüchtingsfragen
Doch zu einem ernsthaften Sezieren der bundesrepublikanischen Wirklichkeit - und Zukunftsfähigkeit – kam es erstmals um 21.13 Uhr, als die Frage an Martin Schulz ging, ob sein Wahlkampfmantra der „sozialen Gerechtigkeit“ falsch gewesen sei, ob die wirtschaftlichen Kerndaten unseres Landes nicht eher Mut machten als Grund zur Sorge.
Dass das so spät geschah, kann man zumindest problematisch für ein Land finden, das ja nicht nur vor der Herausforderung der Flüchtlingskrise steht. Es war aber vor allem auch problematisch für den Kandidaten Martin Schulz. Der liegt bei der Flüchtlingspolitik so sehr auf der Linie der Kanzlerin, dass er sie bei der Verteidigung gegen rechte Kritiker dieser Politik (und Befürworter einer Abschottungspolitik) sogar noch überbot – mit dem durchaus gelungenen Satz, die Menschenwürde gelte schließlich für Menschen, nicht nur für Deutsche.
Schulz, zudem auffallend nervös, konnte die Kanzlerin also nicht wirklich attackieren. Selbst zu ihrer umstrittenen Türkeistrategie geriet Merkel mehr unter Beschuss von den Moderatoren als von ihrem Rivalen (der sich zudem mit seinem Versprechen, die EU-Beitrittsverhandlungen des Landes abzubrechen, gegen seine Partei stellte). Und der Versuch, die Kanzlerin als heimliche Trump-Sympathisantin zu zeichnen, misslang Schulz schon deswegen, weil er bloß vage "andere Verbündete" einforderte, aber keine überzeugenden benannte.
Wenig soziale Gerechtigkeit, nur ein paar Rentepunkte
Dass die deutsche Wirklichkeit so spät Thema war, zeigte aber auch wieder einmal, dass Schulz seinen Wahlkampfschwerpunkt soziale Gerechtigkeit offenbar zunächst falsch eingeschätzt hatte. Selbst dieser Punkt kommt nämlich nicht nur spät, er ist auch sehr schnell abgeräumt - obwohl Schulz seinen erkennbar einstudierten Satz aufsagte, Deutschland sei ein wohlhabendes Land, aber nicht jeder Deutsche sei deswegen gleich wohlhabend (was ernsthaft allerdings auch nie jemand behauptet hatte).
Eher punkten konnte er zur Rente - und der in CDU keineswegs unumstrittenen Frage, ob die künftig mit 67 oder 70 für Deutsche beginnen soll. Aber danach verdribbelte sich Schulz wieder bei der Maut. Die ist höchst ärgerlich und falsch. Aber sie ist auch ein Thema der Vergangenheit. Und sogar als um die Auto-Skandale ging (wahrlich eher ein Problem der Kanzlerin als des Herausforderers), verfing der sich in den technischen Details der "Musterfeststellungsklage".
So blieben schließlich ein paar Minuten für Ja und Nein-Fragen für die Innenpolitik. Wohl auch zu wenig für Martin Schulz, der am Ende deutlich aufblühte, während Merkel sich etwa bei der Homo-Ehe eher verhaspelte.
Bildung, Digitalisierung, Energiepolitik bleiben liegen
Noch weniger Zeit, genau jeweils eine Minute, blieben für den wahren Höhepunkt dieses Abends, das Schlusswort der Kandidaten. Allerdings wurde es ein unfreiwilliger Höhepunkt, denn ein deutlicheres Auseinanderfallen von Debatte und Fazit ließ sich kaum vorstellen.
Schulz sagte, wir lebten in einer Zeit des Umbruchs, es forderte den Mut zum Aufbruch. Merkel beklagte, ganz als sei sie vorher nicht dabei gewesen, man habe ja leider zu wenig über die Themen der Zukunft gesprochen, sie meinte wohl den digitalen Wandel. Zukunft gestalten, nicht bloß die Vergangenheit verwalten, so lautet der großkoalitionäre Tenor zum Ende.
Doch ein ehrliches Schlusswort müsste lauten. Genau das war 90 Minuten lang nicht vorgekommen. Bildung. Digitaler Wandel. Umwelt-und Energiepolitik. Für all das war keine Zeit in dieser "Zukunftsdebatte".