Wie wäre das: Jeder deutsche Arbeiter, jeder Angestellte bekommt sein Bruttogehalt ausbezahlt, jeder muss aber anschließend mehrere Schecks ausstellen: einen an das Finanzamt, einen an die Rentenversicherung, einen an die Krankenkasse. Und, ach ja, bitte die Überweisung für die Arbeitslosen- und Pflegeversicherung nicht vergessen. Ein ordentlich verdienender, allein stehender Beschäftigter mit 6100 Euro Bruttogehalt wäre dann etwa ziemlich lange mit dem Scheckschreiben beschäftigt. Denn beinahe die Hälfte seines Lohns, genauer: 2800 Euro, müsste er Monat für Monat an die diversen staatlichen Kassen überweisen.
Wir spüren die Belastung gar nicht
Reiner Holznagel lächelt, die Scheckvorstellung ist für ihn eine Art Traum – weil aus Sicht des Steuerzahlerbund-Präsidenten so der ganz alltägliche Albtraum des deutschen Steuer- und Abgabenstaates sehr viel greifbarer würde.
„Das Problem ist doch: Wir leben in Deutschland in einer Nettogesellschaft“, sagt Holznagel. Jeder Beschäftigte schaue nur auf den Betrag, der vom Brutto am Ende übrig bleibe. „Durch diese verengte Sicht spüren die Bürger gar nicht, wie exorbitant ihre Belastung ist.“
Und deshalb haben Leute wie Holznagel, die entschieden Steuersenkungen fordern, einen schweren Stand gegenüber den vielen Politikern, die mit immer mehr Sozialleistungen um die Gunst der Bürger buhlen – und den anlaufenden Wahlkampf einmal mehr in einen Überbietungswettkampf um Wohltaten verwandeln dürften.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz fordert die freie Kitaversorgung für alle. CSU-Chef Horst Seehofer wünscht sich ein Baukindergeld von 12.000 Euro pro Zögling, die Familienministerin will ein Familiengeld von monatlich bis zu 300 Euro einführen, wenn die Eltern ihre Arbeitszeit reduzieren.
Und das Bundeswirtschaftsministerium legt gerade im Wahlkampfmodus hektisch einen Multimillionenplan zur Förderung der Innovationsfähigkeit von deutschen Mittelständlern auf. Als ob der Staat darin wirklich ein Experte sei.
Solche Wahlgeschenke gibt es natürlich nicht umsonst, sie erfordern viele Schecks der Bürger. Laut OECD muss der allein stehende deutsche Durchschnittsbeschäftigte aktuell eine Steuer- und Abgabenlast von 49,4 Prozent seines Einkommens stemmen – das ist in Europa Spitze, nur die Belgier werden noch stärker geschröpft. Ein Großteil der Bundesbürger darf die Früchte seiner Arbeit also nur zur Hälfte genießen, die andere Hälfte wird sofort kassiert und sozialisiert.
Wo bleibt der Aufschrei?
Inzwischen zahlt jeder elfte Beschäftigte den Spitzensteuersatz von 42 Prozent (plus Solidaritätszuschlag), hat das Institut der deutschen Wirtschaft errechnet. Allein an Steuern haben Bund, Länder und Gemeinden im vorigen Jahr 700 Milliarden Euro eingenommen, Rekord.
Warum ertönt der Schrei nach Steuersenkungen dann nicht viel lauter? Wie kann Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ernsthaft und ungestraft über Steuersenkungen von 15 Milliarden Euro schwadronieren, gerade einmal zwei Prozent des jährlichen Steueraufkommens – nicht einmal genug, um den „Mittelstandsbauch“ abzuspecken, jenen Effekt des starken Steuertarifanstiegs bei Einkommen zwischen 8653 und 15.670 Euro jährlich. Dafür wäre ein doppelt so hoher Betrag nötig.
Will der Bürger etwa betrogen werden? Die Antwort lautet: teilweise schon.
Aus diesen Gründen bekommt nicht jeder Arbeitslose auch Geld
Nicht jeder, der seinen Job verliert, hat auch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das entscheidende Schlagwort ist hier die Anwartschaftszeit, also wie lange jemand gearbeitet hat, bevor er Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen möchte/muss. Die Regelanwartschaftszeit hat erfüllt, wer in den letzten zwei Jahren vor der Arbeitslosmeldung mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat.
Wer zwar gearbeitet hat, aber nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, hat ebenfalls keinen Anspruch. Wer sich also schwarz etwas nebenher verdient hat, kann das nicht als reguläre Beschäftigung geltend machen.
Die Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs beträgt sechs bis 24 Monate. Sie ist abhängig vom Lebensalter und der Dauer der vorherigen Versicherungspflichtverhältnisse (§ 147 Abs. 2 SGB III). Danach gilt der Anspruch auf Arbeitslosengeld als aufgebraucht, bis die vorangegangenen Bedingungen wieder erfüllt sind. Wer also zum Beispiel nach einem Jahr keinen neuen Job hat, kann das Arbeitslosengeld I nicht neu beantragen, sondern bekommt Arbeitslosengeld II.
Das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) ist einkommensabhängig (§ 9 Abs. 1 SGB II). Menschen, deren Partner beziehungsweise Partnerin ausreichend verdienen, um die Existenz beider zu sichern, haben keinen Anspruch darauf.
Das sagt zumindest Karl-Rudolf Korte, Politikprofessor an der Universität Duisburg-Essen. Korte ist ein drahtiger Herr, der in fernsehtauglichen Sätzen formuliert, Vermessung des Wählerwillens ist sein tägliches Geschäft. „Steuersenkungen sind politisch kein Siegerthema“, sagt Korte. „Soziale Wohltaten dagegen sehr.“