Bundestagswahl 2021 Union, FDP und Grüne könnten vom Briefwähler-Boom profitieren

Bei der diesjährigen Bundestagswahl wird eine Rekord an Briefwählern erwartet. Quelle: dpa

Jeder zweite Wahlberechtigte könnte bei dieser Bundestagswahl per Brief abstimmen. Das nützt vor allem der CDU – und verursacht Ärger bei den Meinungsforschungsinstituten.

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Nicht jeder Partei kommt der hohe Anteil an Briefwählern wohl gelegen. Einige Parteien dürften sich über die hohe Stimmenanzahl per Brief freuen, andere hingegen versuchen ihre Wähler bewusst ins Wahllokal zu locken. Und auch den Demoskopen erschwert die Briefwahl die Wahlprognose.

Die Briefwahl ist dieses Jahr so beliebt wie noch nie. In Hamburg haben knapp zwei Wochen vor der Wahl bereits 37,5 Prozent der Wahlberechtigten Briefwahlunterlagen beantragt. 2017 waren es zum gleichen Zeitpunkt nur 23,4 Prozent. Auch in Brandenburg hatten Anfang September bereits 325.000 Wahlberechtigte die Briefwahl beantragt, 2017 waren es zum gleichen Zeitpunkt erst 140.000 gewesen. Das entspricht einer Zunahme von 132 Prozent.

Die Corona-Pandemie ist natürlich einer der Gründe für den großen Zuwachs. Einige Wählerinnen und Wähler entscheiden sich aus Angst vor einer Ansteckung im Wahllokal für den Postweg. Aber allein mit der Pandemie lässt sich der rasante Anstieg der Briefwahl nicht erklären. „Bei den Landtagswahlen wie beispielsweise in Rheinland-Pfalz hat Corona eine größere Rolle als jetzt gespielt“, sagt Uwe Jun, Politikwissenschaftler an der Universität Trier. Diese fanden im März während des Lockdowns statt. Damals gaben rund 66 Prozent ihre Stimme per Brief ab, 2016 waren es nur 31 Prozent. „Bei der Bundestagswahl ist entscheidender, dass die Wähler mobiler und bequemer ihre Stimme abgeben wollen“, sagt Jun. 

Die Anzahl der Briefwähler steigt seit Jahren. Entschieden sich 2009 noch 21,4 Prozent aller Wähler für die Briefwahl, waren es bei der vergangenen Bundestagswahl 2017 schon 28,6 Prozent.



Laut Jun gibt es zwei Gruppen, die die Briefwahl bevorzugen. Zum einen die Wähler, die auf jeden Fall wählen wollen und durch die Briefwahl vermeiden wollen, zur Stimmabgabe am Wahlsonntag verhindert zu sein. Zum anderen wollen vor allem jüngere und in Städten lebende Wähler „ihre Flexibilität bewahren und am Wahltag auch etwas anderes machen können“, sagt Jun.

Alles in allem haben von diesen Wählergruppen bei der Bundestagswahl 2017 besonders CDU und CSU profitiert. Die Union erhielt damals deutlich mehr Briefwahlstimmen als im Wahllokal. „Bei den älteren Unionsanhängern trifft gerade das Pflichtbewusstsein zu“, sagt Jun.

Auch die FDP ist ein Gewinner der Briefwahl. So haben die Liberalen bundesweit 10,3 Prozent der Zweitstimmen per Urne bekommen, in den Briefwahlbezirken waren es hingegen zwölf Prozent. Auch die Grünen verzeichneten ein leichtes Plus bei den Briefwahlstimmen. „Die Briefwähler beider Parteien seien teilweise jene urbane Gruppen, die mehr persönliche Flexibilität am Wahltag bevorzugen“, sagt Jun.

Für die Sozialdemokraten, die Linken und auch die AfD könnte der hohe Briefwahlanteil dieses Mal zum Nachteil werden. Die SPD bekam 2017 anderthalb Prozentpunkte weniger Zweitstimmen per Briefwahl als an der Urne. „Die ältere SPD-Wählerschaft ist weniger mit der Briefwahl vertraut“, erklärt Politikwissenschaftler Jun. Auch das Wählerklientel der AfD habe sich in der Vergangenheit eher spontan im Wahllokal für die Partei als vorab per Briefwahl entschieden.

Bei dieser Wahl sieht Jun allerdings keine besonderen Auswirkungen der Briefwahl auf den Wahlkampf oder das Wahlergebnis. „Da die Zahl und Struktur der Briefwählerschaft sich der Gesamtwählerschaft annähert, werden die Effekte der Briefwahl immer geringer.“



Die im Vorfeld befürchtete Vorentscheidung der Wahl durch den hohen Anteil der Briefwähler dürfte deshalb wohl ausbleiben. Das liegt vor allem daran, dass viele die Unterlagen zwar beantragt, aber noch nicht wieder abgegeben haben. Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters haben in Köln 41,1 Prozent der Wahlberechtigten die Briefwahl beantragt, aber erst 16,1 Prozent der Unterlagen sind wieder eingegangen. In München sind erst 12,3 Prozent der Briefwahlstimmen abgegeben, in Erfurt knapp über zehn Prozent. Es kommt also nun auch bei den Briefwählern auf die heiße Wahlkampfphase an.

Ein Grund für die langsame Rücksendung der Briefwahlunterlagen könnte die große Unentschlossenheit der Wahlberechtigten sein. Laut dem Allensbach-Institut sind noch 40 Prozent der Wahlberechtigten unentschieden. Die Parteien müssen nun auch um Wechselwähler bei den Briefwählern kämpfen.

Streit zwischen Forsa und Bundeswahlleiter

Der hohe Anteil an Briefwählern erschwert auch den Meinungsforschungsinstituten die Arbeit. Sie wollen bei ihren Befragungen auch wissen, ob jemand per Briefwahl gewählt hat und wenn ja, wen. Diese Ergebnisse fließen dann in die Sonntagsfrage mit ein. 

Doch im August drohte der Bundeswahlleiter den Demoskopen ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro an, wenn sie diese Daten veröffentlichen oder weiter für die Sonntagsfrage benutzen. Dabei bezieht sich der Bundeswahlleiter auf Paragraph 32 des Bundeswahlrechts. Dieser verbietet die Veröffentlichung von Abstimmungsdaten von Wählern vor dem Ende der Wahl. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat dagegen Klage vor dem Verfassungsgericht Wiesbaden eingereicht, da es die Briefwahldaten nie einzeln veröffentlicht, sondern nur „aggregiert“ mit den übrigen Umfrageergebnissen.

Warum der Bundeswahlleiter erst jetzt diese Praxis moniert, ist unklar. Auf Nachfrage heißt es, dass man nach einem Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“ die Meinungsforschungsinstitute angeschrieben habe. Ob die bereits seit Jahren angewendete Praxis vorher schon bekannt gewesen sei, will ein Sprecher wegen des laufenden Verfahrens nicht kommentieren. Auch Forsa-Chef Manfred Güllner verweigert deswegen aktuell die Aussage. Eine Entscheidung aus Wiesbaden wird noch diese Woche erwartet.

Auch wenn die Vorentscheidung durch Briefwähler bei dieser Bundestagswahl also noch nicht gefallen ist, sollte geklärt werden, wie die hohe Anzahl an Briefwählern in Umfragen korrekt dargestellt wird. „Würden wir die Entscheidungen der Briefwähler rauslassen, wäre das Umfrageergebnis schief, weil beispielsweise die Wähler der AfD häufiger an der Urne wählen“, sagt Güllner.

Mehr zum Thema: Die Deutsche Post geht für die Bundestagswahl 2021 von deutlich mehr Briefwählern aus. Das Unternehmen warnt davor, die Briefwahl-Unterlagen als Einschreiben zu versenden.

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