Das will übrigens die SPD genauso, auch wenn dies in der nebenstehenden Tabelle nicht zum Ausdruck kommt: Dort ist nämlich nur die Veränderung für bestehende Familien berechnet, denen die Sozialdemokraten Bestandsschutz beim Splitting gewähren. Für künftige Lebensgemeinschaften soll es hingegen kein Ehegattensplitting mehr geben. Offenbar möchte es sich die Traditionspartei nicht mit ihrer alten Familienklientel verscherzen und präsentiert sich beim Splitting als Light-Version der Grünen und Linken.
Vergleicht man die aktuellen Wahlprogramme mit denen vor vier Jahren, so zeigt sich eine deutliche Verschärfung auf der Belastungsseite. Damals wollte die SPD die Einkommensklasse 100 000 Euro noch verschonen, die Grünen planten nur einen Aufschlag von gut 900 Euro, der heute auf mehr als 2500 Euro anschwillt. Bei Familien haben sich die Belastungspläne verdoppelt (SPD) beziehungsweise vervierfacht (Grüne). Konstant bleibt derweil die Linke.
Stärke weckt Begehrlichkeiten
Was aber hat SPD und Grüne zur steuerpolitischen Radikalisierung bewogen? Versiegende Steuereinnahmen können es nicht sein, im Gegenteil: Sie erreichen zurzeit jährlich neue Rekordstände. In diesem Jahr dürften Bund, Länder und Gemeinden schätzungsweise 615 Milliarden Euro einnehmen, 131 Milliarden Euro mehr als zu Beginn der Legislaturperiode. Und in vier Jahren sollen es 704 Milliarden sein, also weitere 89 Milliarden obendrauf.
So stehen die Parteien zur geplanten Steuererhöhung
Der Spitzensteuersatz soll nach dem Willen der Sozialdemokraten auf 49 Prozent für Einkommen ab 100.000 Euro steigen. Eine Vermögensteuer soll hohe Vermögen belasten, aber eine Substanzbesteuerung von Unternehmen vermeiden. Die Abgeltungsteuer für Kapitaleinkünfte soll 32 Prozent statt wie bisher 25 Prozent ausmachen. Das Ehegattensplitting will die SPD für künftige Ehen durch eine individuelle Besteuerung ersetzen, Unterhaltspflichten aber berücksichtigen. Mehreinnahmen sollen in Schuldenabbau und Bildungsinvestitionen fließen. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte nun, dass vielleicht auf einen Teil der Steuererhöhungen verzichtet werden könnte, wenn der Kampf gegen Steuervermeidung erfolgreich sei und für Mehreinnahmen sorgen würde.
Ähnliche Pläne wie die SPD verfolgen die Grünen. Auch nach ihren Vorstellungen soll der Spitzensteuersatz auf 49 Prozent steigen und das - anders als bei der SPD - schon für Einkommen ab 80.000 Euro. Zudem soll es eine Abgabe von einem Prozent auf Vermögen ab einer Million Euro geben, die rund 100 Milliarden Euro einbringen soll. Sonderregeln sollen dabei verhindern, dass Betriebe zu sehr belastet werden. Statt des Ehegattensplittings soll es eine Individualbesteuerung geben, wobei der Grundfreibetrag übertragen werden kann. Vorerst soll der Splittingvorteil nur gedeckelt werden, um bestehende Ehen mit Haushaltseinkommen bis zu 60.000 Euro zu schonen. Mehreinnahmen sollen in Bildung, Infrastruktur und Schuldenabbau fließen.
Steuererhöhungen lehnt die Union ab. Vor allem Unternehmen sollen von weiteren Belastungen verschont werden. Die Bürger sollen durch eine Abmilderung der sogenannten kalten Progression um schätzungsweise sechs Milliarden Euro entlastet werden - eine Reform, die in dieser Legislaturperiode im Bundesrat scheiterte. Das Ehegattensplitting, von dem auch Paare ohne Kinder profitieren, soll um ein sogenanntes Familiensplitting erweitert und der Freibetrag für Kinder schrittweise auf den für Erwachsene geltenden Steuer-Freibetrag gehoben werden.
Eine höhere Steuerbelastung für Bürger und Unternehmen wird im Wahlprogramm der Liberalen "entschieden" abgelehnt. Anders als bei der letzten Bundestagswahl vor vier Jahren aber stehen Steuersenkungen nicht mehr im Mittelpunkt. Ganz klar heißt es: "Die Haushaltskonsolidierung hat Vorrang". Die FDP will dennoch weiterhin das Einkommensteuerrecht vereinfachen und - wie die Union - ungewollte Steuermehrbelastungen durch die kalte Progression bekämpfen. Zudem hat sie dem Solidaritätszuschlag ("Soli") den Kampf angesagt, legt sich aber nicht auf ein Datum zur Abschaffung fest.
Der Spitzensteuersatz soll auf 53 Prozent steigen, und zwar bereits für Einkommen ab 65.000 Euro. Hohe Vermögen sollen mit einer Millionärsteuer belegt werden: die erste Million bleibt steuerfrei, danach soll ein Steuersatz von fünf Prozent auf Privat- und Betriebsvermögen gelten. Große Erbschaften sollen deutlich höher besteuert werden, Bezieher mittlerer Einkommen sollen dagegen weniger Steuern zahlen.
Steinbrück und sein grüner Wunschpartner Jürgen Trittin sprechen von einem hohen Investitionsbedarf in Bildung und Infrastruktur. Diesen gab es jedoch auch schon vor vier Jahren. Damals aber hing Deutschland in den Seilen, litten die Unternehmen unter der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, klafften riesige Löcher in den öffentlichen Haushalten. Damals wagten SPD und Grüne es nicht, massive Umverteilungspläne zu Lasten der Leistungsträger aufzustellen – aus Angst, die Wirtschaft könnte noch tiefer in den Abwärtsstrudel gerissen werden. Heute steht Deutschland unerwartet stark da. Diese Stärke weckt offenbar Begehrlichkeiten.
Grüne mit mehr Stehvermögen auf dem linken Bein
Doch selbst Sozialdemokraten scheint es dabei inzwischen mulmig zu werden. Vor allem die angekündigte Wiedereinführung der Vermögensteuer bringt sie in Nöte. Vor einem Jahr noch wollten mehrere SPD-geführte Bundesländer einen entsprechenden Gesetzentwurf im Bundesrat einbringen. Daraufhin kalkulierte der in Essen beheimatete ThyssenKrupp-Konzern für sich die Folgen durch – eine Zusatzbelastung im dreistelligen Millionenbereich, Risiken für die Arbeitsplätze – und legte die Rechnung in Düsseldorf Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) vor. Die Wirkung war durchschlagend: Die SPD-Länder legten ihren Gesetzentwurf prompt auf Eis.
Mehr Stehvermögen auf dem linken Bein zeigen die Grünen. Als Steinbrück und SPD-Chef Sigmar Gabriel vor zwei Monaten einen Verzicht auf Steuererhöhungen ins Spiel brachten – für den Fall, dass durch eine Bekämpfung von Steuerhinterziehung mehr Geld in die Staatskasse flösse –, höhnte Trittin über die "Hasenfüßigkeit" der Genossen.