Bundestagswahl Merkel und Steinbrück duellieren sich um die Macht

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Partei der Gerechtigkeit


Einen Slogan verbreitet er schon jetzt: „Es geht um Wir-Werte statt um Ego-Werte.“ Die SPD will wieder als Partei der Gerechtigkeit wahrgenommen werden, die die Märkte zügeln und die Renten erhöhen will. Für die Nebenrubrik Wirtschaftskompetenz bürgt allein der Kandidat. Doch auch Steinbrück packt nun regelmäßig die Erzählung von der „zerfasernden Gesellschaft“ und ihren „Fliehkräften“ aus. Damit will er um die Wähler der Mitte kämpfen, denen flexiblere Arbeitsmärkte Angst machen. Es gebe zwar keine Wechselstimmung, konstatiert Steinbrück. „Aber viele Menschen fragen sich, ob etwas in Unwucht geraten ist in der Gesellschaft.“

Schutzschirm aus Versprechen

„Soziale Gerechtigkeit ist nicht unsere erste Kernkompetenz“, gestehen Merkels Strategen. „Deshalb dürfen wir da nur wenige Flanken offen lassen.“ Unangreifbar sein, das ist das Ziel; ein Schutzschirm aus Versprechen gegen den erwarteten Gerechtigkeitswahlkampf. CDU-Generalsekretär Gröhe hofft, dass die Honorarkraft Steinbrück „für einen Sozialneid-Wahlkampf völlig unglaubwürdig“ sei. Sicherheitshalber nehmen CDU und CSU aber doch Neues in das Sortiment ihres Programmbauchladens auf; nicht nur sozialpolitische Schnürsenkel liegen bereit, auch ein paar kräftigere Stricke, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.

Die tarifvertragliche Lohnuntergrenze soll das Gegenstück zum Mindestlohn der vereinigten Linken sein; die Finanztransaktionsteuer hat Merkel nun adoptiert, „damit die Banken endlich ihren Beitrag leisten“. Und für jene Mütter, die ihre Babys vor 1992 geboren haben, soll es zumindest „ein Zeichen“ geben: schrittweise sollen auch ihnen Kindererziehungszeiten bei der Rente gutgeschrieben werden. Soll kein Genosse sagen können, die CDU habe nicht an alle gedacht.

"Klare Verhältnisse, nur nicht klar welche"
Edmund Stoiber, CSU, ehemaliger Ministerpräsident von Bayern:„Ich weiß, was es heißt, Mutter von drei kleinen Kindern zu sein.“ Quelle: dpa
Lothar Späth, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg (1978-1991):„Wir haben jetzt klare Verhältnisse, aber wissen noch nicht welche.“ Quelle: dpa
Hans Eichel, ehemaliger Bundesfinanzminister (1999-2005):„Alle zehn Jahre werden die Menschen ein Jahr älter.“ Quelle: REUTERS
Roland Koch, Vorstandschef Bilfinger, ehemaliger Ministerpräsident von Hessen (1999-2010):„Die Beschilderung muss der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit angepasst werden.“ Quelle: dpa
Theo Waigel, ehemaliger Bundesfinanzminister (1989-1998), seit 2009 Ehrenvorsitzender der CSU:„Die Mark wird durch den Euro sicherer.“ Quelle: dpa
Rudolf Scharping, seit 2005 Vorsitzender des Bunds Deutscher Radfahrer, ehemaliger Verteidigungsminister (1998-2002) und Kanzlerkandidat (1994):"Mein ganz persönliches Herz schlägt für die Kinder im Kosovo" Quelle: REUTERS
Helmut Kohl, ehemaliger Bundeskanzler (1982-1998) und CDU-Parteivorsitzender "Ich weiß nicht, was mein Freund Mitterrand darüber denkt, aber ich denke genauso." Quelle: dpa-dpaweb

Dass die CDU sich müht, eine bessere SPD zu sein, wollen die Sozialdemokraten als Feigenblattpolitik entlarven. Nur das Original stehe für gesetzliche Mindestlöhne statt allgemeine Lohnuntergrenzen. Für starre Frauenquoten statt Flexiquoten mit Selbstverpflichtung. Für die Bürgerversicherung statt Fünf-Euro-Pflege-Bahr.

Steinbrück setzt auf Tür-zu-Tür-Wahlkampf

Steinbrück will weg von den lästigen Debatten um Honorarverträge, im Wahlkampf soll es endlich um Inhalte gehen. Er selbst hat darauf gedrungen, den Programmparteitag auf den 14. April vorzuziehen. Die heiße Wahlkampfphase soll ohnehin erst nach dem Sommer beginnen. Dabei denkt die SPD über neue Wege nach. „Ich bin im Zweifel, ob das Format der Großveranstaltung noch Sinn macht“, sagt Steinbrück. Seine Wahlkampfmanager setzen auf einen Tür-zu-Tür-Wahlkampf. Die Spitzen-Genossen sollen nah an die Menschen ran. Es könnte also sein, dass Steinbrück demnächst mal klingelt.

Merkel will bis zum Sommer nur regieren, nicht konfrontieren. Ihr einlullender Wahlkampfstil, den sie nach dem Misserfolg der Reformrhetorik 2005 schon beim Wahlgang 2009 erprobt hat, heißt bei Politikwissenschaftlern „asymmetrische Demobilisierung“: Wer keine Angriffsflächen bietet, schläfert die Anhänger des Gegners ein. Die Gefahr: die symmetrische Demoralisierung. Denn die eigenen Leute wollen ja gern mal so richtig Wahlkampf machen. Das heißt für sie: den Sozis eins überbraten, den Grünen die Meinung geigen, die Linkspartei-Sozialisten hinter den gedanklichen eisernen Vorhang verbannen.

Ein präsidialer Kuschelkurs kann dazu führen, dass neben den Anhängern der Konkurrenz auch die eigenen Fans am Wahltag daheim den Hochrechnungen entgegenträumen, statt den Stimmzettel einzuwerfen.

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